Abschiede

Selena

 

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Abschiede waren nichts neues im Leben von Joe Dawson, und es schien ihm, als würden sie mit den Jahren immer grausamer. Er hätte nicht geglaubt, daß etwas geschehen könnte, daß ihn noch mehr treffen würde als das, was aus seinem Schwager James Horton geworden war. Manchmal schreckte er immer noch aus Alpträumen hoch, in denen er auf Horton zielte und es nicht fertig brachte, zu schießen.

Ich werde eine Kerze für dich anzünden.

Dann hatten es Jacob Galati und Jack Shapiro fertig gebracht, Beobachter und Unsterbliche um ein Haar in einen Krieg gegeneinander zu hetzen, und eine Zeit lang hatte Joe geglaubt, durch seinen Versuch, sowohl der Organisation als auch Duncan MacLeod die Treue zu halten, beide verloren zu haben. Die schuldbewußte Leere in seinem Magen, der bittere Geschmack von Verrat im Mund, all das war wieder da, und hatte sich seit dem Tod von James nur noch verstärkt. Am Ende hatten Mac und er ihre Freundschaft wieder gekittet, und er war zu den Beobachtern zurückgekehrt. Aber die Gesichter seiner Kollegen, die sich bereit machten, ihn zu exekutieren, verfolgten ihn noch immer, genau Galatis seltsam jugendlich wirkender verblüffter Zorn, als er ihn auslieferte, MacLeod, der sich am Kai abwandte, und Methos’ scharfe, kalte Feststellung: "Rede dir das nur oft genug ein, Joe, vielleicht glaubst du es dann irgendwann."

Es war eine der wenigen Momente gewesen, in denen Methos nichts, aber auch gar nichts mehr von Don Salzers jungen Protegé Adam Pierson an sich hatte, und mit das letzte, was Joe für fast ein dreiviertel Jahr von dem ältesten Unsterblichen hören sollte.

Damals glaubte ich, ich hätte sie beide verloren, dachte Joe mit einer Mischung aus Verzweiflung und Zynismus, und es könne unmöglich noch schlimmer kommen. Ich hätte es besser wissen müssen. Unsterbliche sind immer noch steigerungsfähig.

Der Abschied, der seit ein paar Tagen an ihm zehrte, war mehr als eine Steigerung, und das Schlimmste war, er wußte nicht, ob es nicht erst der Anfang war. Er saß in seinem Büro und starrte auf die Uhr. Es war erst eine Stunde vergangen, seit ihn Mac verlassen und sich auf den Weg zum Flughafen gemacht hatte. Zwölf weitere Stunden, und er würde in Rumänien sein. Auf der Suche nach vier Mythen aus dem Bronzezeitalter, von denen einer noch eine Woche vorher mit ihm an der Bar gesessen und Joe beim Spielen seiner Gitarre zugehört hatte.

Joe vergrub das Gesicht in den Händen. Manchmal wünschte er sich die Naivität eines Kindes zurück. Schließ die Augen und tu so, als sei nichts geschehen, und wenn du sie wieder öffnest, wird alles wieder wie früher sein. Kronos und Cassandra waren nie hier, die vier Reiter der Apokalypse sind nur allegorische Figuren aus der Bibel, und das einzig Störende an Methos ist seine Unfähigkeit, auch nur ein einziges Mal irgend jemand anderen das letzte Wort behalten zu lassen.

Rede dir das nur oft genug ein, Joe, flüsterte es wie ein Echo in ihm, vielleicht glaubst du es dann irgendwann.

Ungläubigkeit war seine erste Reaktion gewesen, als Mac ihm von der Begegnung zwischen Cassandra und Methos erzählt hatte. Die Frau log, oder sie litt unter Wahnvorstellungen. Methos konnte unmöglich der Mann sein, den sie beschrieb. Während Mac sich auf die Suche nach Methos machte, rief Joe im Computer Cassandras Akte ab, in der Hoffnung, sie als notorische Lügnerin, als eine der vielen Methos-Jäger oder zumindest als Verrückte zu entlarven. Er wurde enttäuscht. Cassandras Akte hatte Lücken, und enthielt manche düsteren Stellen, aber nichts, was die Beobachter in ihrem langen Leben dokumentiert hatten, wies auf Wahnsinn hin. Und sie gehörte definitiv nicht zu den Jägern unter den Unsterblichen. Falls sie nicht sehr, sehr diskret vorgegangen war, lag der letzte Kopf, den sie genommen hatte, etwa fünfhundert Jahre zurück. Länger, als Duncan MacLeod am Leben war. Das schloß natürlich nicht aus, daß sie mit einem Mal beschlossen hatte, ihren Lebensstil zu ändern, den ältesten Unsterblichen um seiner angesammelten Macht willen zu töten und dazu Zwietracht zwischen ihm und Duncan MacLeod stiftete. Aber so sehr Joe an dieser Theorie hing, er mußte doch eingestehen, daß sie sich mit der Möglichkeit, daß Cassandra schlicht und einfach die Wahrheit sagte, in etwa die Waage hielt.

Bei dem Studium von Cassandras Akte fiel ihm noch etwas auf. Auf der Suche nach Querverweisen zu Methos fand er zunächst nichts, was ihn erleichterte, bis der methodische Beobachter in ihm auf die Idee kam, sich zu erkundigen, wer außer Cassandras Beobachtern in den letzten Jahren noch Zugang auf diese Informationen genommen hatte. Als der Name Adam Pierson auf dem Bildschirm seines Gerätes flirrte, wurde ihm kalt. Natürlich bewies das noch immer nichts. Als Verantwortlicher für das Methos-Projekt mußte Adam Pierson die Akten aller Unsterblichen durchgehen, die auch nur annähernd an Methos’ Alter herankamen und ihm begegnet sein könnten. Aber laut der Benutzerdatei hatte Adam Pierson sich mit schöner Regelmäßigkeit einmal im Jahr in Cassandras Unterlagen umgesehen, zuletzt kurz, ehe er die Beobachter verließ. Das bedeutete zumindest, daß er wußte, wie sie aussah. Aber in Macs Dojo hatte er behauptet, nicht zu wissen, um wen es sich handelte.

Joe hoffte noch immer, daß Cassandra log, aber ein winziges Korn des Zweifels war gesät. Dann kehrte Mac zurück, und die Zeit der Zweifel war vorbei. Joe hatte Mac zornig erlebt, verzweifelt, enttäuscht, erbittert, sogar gebrochen, nach Tessas Tod, aber dennoch fehlten ihm die Worte, um den Zustand des Mannes zu beschreiben, der in seiner Küche auf und ab ging und in einem Moment von mörderischer Wut gepackt schien, um schon im nächsten so zu klingen, als stünde er kurz vor einem Tränenausbruch. Zeit, um selbst mit dem Schock fertig zu werden, gab es da nicht; Joe blieb nur, instinktiv zu reagieren, um zu retten, was noch zu retten war, selbst, wenn das bedeutete, in die Schatten seiner eigenen Vergangenheit zu greifen.

"Das habe ich. Vietnam. Glaubst du denn, die Kugeln sein um die Frauen und Kinder herumgeflogen?"

"Das ist etwas anderes. Weil er", Mac schluckte und wandte sich ab, als sähe er etwas unerträgliches, "es genossen hat. Weil er aus Freude getötet hat."

Nicht unser Methos, wollte Joe wieder protestieren, doch er sprach es nicht aus. Nicht mehr. Was auch immer genau zwischen den beiden Unsterblichen vorgefallen war, Methos hatte offenbar bestätigt, genau das gewesen zu sein, was Cassandra von ihm behauptet hatte. Soviel zur Menschenkenntnis von Joseph Dawson, jenem Meister der Psychologie, der es bereits für unmöglich gehalten hatte, daß sein Schwager James, der Mann, den er seit Jahrzehnten kannte, schätzte und ohne den er sich seine Familie nicht denken konnte, in der gleichen Zeit eine Gruppe mörderischer Fanatiker aufgebaut hatte, mit dem einzigen Ziel, die Unsterblichen vom Angesicht der Erde zu vertilgen.

Nicht James. Nicht Methos.

Nicht du, sagten die Augen von Jacob Galati zu ihm, nicht der Mann, dem MacLeod sein Leben anvertrauen würde.

Seine eigene Schuld suchte ihn heim. Unsterbliche waren nicht die einzigen, die mit dem Wissen um ihre Fähigkeit, zu töten, leben mußten. Ja, er konnte sich vorstellen, daß Methos einmal eine Zeit durchlebt hatte, in dem er es genoß, zu töten, auch wenn es Adam, den er seit zehn Jahren kannte, so unähnlich schien. Nur hatte Mac leider recht. Der Blutrausch eines Krieges war eine Sache. Nicht entschuldbar, doch verständlich. Was die vier Reiter praktizierten, über einen Zeitraum hinweg, in dem mehr als eine Zivilisation entstand und unterging, war unendlich kühler, kalkulierter, und konnte damit nicht mehr erklärt werden.

Methos, warum?

Joe hatte gehofft, selbst mit Methos sprechen zu können, oder zumindest eine Nachricht von ihm zu erhalten. Aber das Apartment, das Methos in Seacouver bewohnt hatte, weil er nicht ständig auf Macs Couch kampieren konnte, war leer, und weder Joe, noch später Mac oder Cassandra hatten etwas gefunden. Es gab keinen Anruf, keinen Brief, kein E-Mail. Nichts.

Der Zorn, der sich allmählich in Joe sammelte, konzentrierte sich zunächst auf das einfachste Objekt, auf die Fremde, auf Cassandra. Es war alles ihre Schuld, dachte er, während MacLeod mit versteinertem Gesicht in seinem Büro saß und Joe verzweifelt versuchte, einen Sinn in die ganze Katastrophe zu bringen. Wenn sie nicht wäre, wäre das alles nicht so geschehen. Gleichzeitig sagte ihm die nagende Stimme seines Gewissens, daß er es sich zu einfach machte. Ganz abgesehen von allem anderen wäre Kronos auch ohne Cassandra nach Seacouver gekommen. Was Joe von Melvin Koren wußte, genügte, um ihn bei dem Gedanken an Kronos schaudern zu lassen, dazu brauchte gar nichts zusätzliches.

Unmöglich, sich Methos, Don Salzers zurückhaltenden Protegé, Alexas Adam, der wie ein Schuljunge errötet war, als sie ihn zynisch nannte, mit Kronos in einem Raum vorzustellen. Joe neigte selbst dazu, Methos den meisten Teil der Zeit als Jungen zu behandeln. Es war bei den meisten Unsterblichen nicht einfach, an ihr Alter zu denken, aber unmöglich bei fünf Jahrtausenden und einem entschlossen in die Gegenwart vernarrten Dauerjugendlichen. In Gedanken hörte Joe Richie Ryan empört ausrufen: "Fünftausend Jahre Weisheit soll der da drauf haben?"

Es war komisch gewesen. Damals. Jetzt konnte er nicht umhin, sich daran zu erinnern, wie die Angelegenheit weitergegangen war. Richie hatte in seiner energischen Verteidigung des anderen Methos darauf hingewiesen, wie dieser ihm seinen Kopf angeboten hatte.

"Warum hat er das getan?"

"Vielleicht, weil er Angst vor dir hatte", hatte Duncan, der selbst von der Person des anderen Methos und seiner Botschaft verwirrt war, zögernd gemeint.

"Oder", hatte Methos eingeworfen, "weil er wußte, daß du ihn nicht nehmen würdest." Und er hatte sich zu Duncan umgedreht und ihm einem undeutbaren Blick zu geworfen. Damals hatte Joe nicht weiter darauf geachtet; schließlich machte er sich Sorgen um Richie, und war gleichzeitig halb belustigt, halb fasziniert von der Vorstellung eines zweiten, propheten-ähnlichen Methos. Jetzt erinnerte er sich wieder, und ihm kam ein häßlicher Verdacht.

"Wann", hatte er Mac einmal gefragt, als der Schotte in auskunftsfreudiger Stimmung war, "kam dir eigentlich der Verdacht, daß es sich bei dem alten Mann um einen Dauergast in deinem Leben handeln würde?"

"Ich glaube, schon, als er mir seinen Kopf anbot."

Joes gequälte Grübelei, ob Methos sie alle beide von Anfang an manipuliert hatte, schlug in eine erneute Welle des Ärgers gegen Cassandra um. Für diesen Teil zumindest war sie verantwortlich. Für die Zweifel, für die Schatten, die sich aus ihrer Vergangenheit nun auch auf die letzten zwei Jahre erstreckten und fast jeden schönen Moment eine Doppelbedeutung unterlegten, für Macs Zorn, der Methos mit einem Schlächter wie Kronos gleichsetzte.

Joe hielt inne. Der Mann, den Cassandra beschrieben hatte, der Mann, der über hunderte von Jahren hinweg mit Kronos gemordet hatte, *war* um keinen Deut besser als Kronos. In der Hitze des Augenblicks war es leicht gewesen, zwischen dem Methos der Vergangenheit und dem der Gegenwart zu unterscheiden, als handele es sich um zwei verschiedene Menschen. Aber nun, da er mit seinen Gedanken und Ängsten alleine war, verweigerte sich die Klarheit, mit der er Cassandras Methos ins Bronzezeitalter verwiesen hatte und von seinem Methos, der Jahrtausende später lebte, trennte.

Er erinnerte sich, wie er mit MacLeod über Kage gestritten hatte. Damals war es Joe gewesen, der nicht akzeptieren wollte, daß ein brutaler Mörder sich zum guten hin ändern konnte. Er hatte Mac für naiv gehalten. Seine eigenen Worte suchten ihn heim, mit schmerzhafter Deutlichkeit. *Kage kennt dich. Er spielt dir nur etwas vor. Jemand wie Kage ändert sich nie. *Stell dir vor, flüsterte eine höhnische, kalte Stimme in Joe, du hättest Adam Pierson nie kennengelernt. Stell dir vor, du wärest nichts als MacLeods Beobachter, und liest in den Chroniken über seine Freundschaft mit Methos. Dir käme ganz gewiß nicht der Verdacht, daß da jemand manipuliert, was das Zeug hält, um einen wirksamen Schutzschild gegen andere Unsterbliche zu haben, oh nein. Du würdest nie annehmen, ein Überlebenskünstler von 5000 Jahren könnte Mac am Ende nur ausnutzen, um selbst der letzte lebende Unsterbliche zu sein. *Ich weiß auch nicht mehr über Methos als du.*Adam kannte er seit zehn Jahren, aber Adam hatte nie existiert. Methos kannte er seit zwei Jahren. Was waren zwei Jahre im Vergleich zu fünf Jahrtausenden? Nichts. Und Methos war jetzt bei Kronos. Er hätte Joe anrufen können, oder eine Nachricht hinterlassen, auf irgend einem Weg, nur einen Satz, aber er hatte nichts dergleichen getan. Nein, dachte Joe, aber wann hätte Methos das je? Ohne Abschied zu verschwinden war seine Spezialität. Doch er kam wieder. Bisher war er immer zurückgekehrt, und immer dann, wenn es zählte, wenn es wirklich wichtig war. Vielleicht waren zwei Jahre ein Nichts für die Unsterblichen. Aber sie waren alles, woran sich Joe halten konnte und halten wollte.

Es hatte einen Moment gegeben, in dem er versucht hatte, mit Cassandra darüber zu sprechen. An und für sich vermied er es, das Wort an sie zu richten, weil ihm bewußt war, daß seine Antipathie zum Teil irrational war und sich kaum verschleiern ließ. Die Situation war ohnehin angespannt genug, und er wollte nicht noch einen weiteren Konflikt heraufbeschwören. Cassandra sprach ihrerseits ebenfalls kaum mit ihm. Deswegen überraschte es ihn, als sie bei der Durchsuchung von Methos’ Wohnung plötzlich innehielt, ihn musterte und erklärte, er solle sich setzten. Seine Prothesen schmerzten in der Tat, aber Joe war zu sehr daran gewöhnt, als daß er es sich anmerken ließ, und war sicher, seine Mimik im Griff zu haben.

"Sie waren zu lange auf den Beinen", sagte Cassandra sachlich. "Die Reibung muß unerträglich sein."

"Was wissen Sie schon davon?" entfuhr es ihm, aber sie war nicht beleidigt. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, sah er ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen.

"In den meisten Jahrhunderten meines Lebens", erwiderte sie, "war ich Heilerin. Das müßten Sie wissen. Sie haben schließlich meine Chroniken gelesen, nicht wahr?"

Er setzte sich auf den einzigen einigermaßen bequem aussehenden Stuhl, und überlegte, ob er das bestätigen sollte. Ihre grünen Augen ließen ihn nicht los. Der prüfende, kühle Blick, nicht unbedingt feindselig, aber abwägend, einschätzend, kam ihm bekannt vor, aber er wußte nicht, an wen sie ihn erinnerte, bis ihm mit einem Frösteln einfiel, daß Methos ihn genauso gemustert hatte, als sie sich zum ersten Mal nach Macs Entdeckung der wahren Identität von Adam Pierson wieder begegnet waren. Es war der alterslose Blick eines Geschöpfes, das nicht mehr mit normalen menschlichen Maßstäben zu messen war. Die unerwartete Assoziation brachte ihn dazu, impulsiv zu bemerken:

"Es ist Jahrtausende her. Sie müssen doch schon lange darüber hinweg gekommen sein."
Ihre Miene veränderte sich. Mit einer Mischung aus Mitleid und Herablassung entgegnete sie: "Er hat Sie ebenfalls getäuscht. Darin ist er ein Meister."

"Das beantwortet meine Frage nicht", gab Joe wütend zurück.

"War es eine Frage? Wollen Sie ernsthaft eine Antwort darauf?"

"Ja", sagte Joe und meinte es zu seiner eigenen Verblüffung so.

Cassandra schaute an ihm vorbei. Die Einrichtung des Apartments war anonym; Methos hinterließ nirgendwo Gegenstände persönlicher Art. Sie ging zu dem Regal, in dem eine Reihe sichtbar gelesener Taschenbücher stand, und zog eines heraus.

"Wenn Sie an ihn denken", begann sie, "ist es das, was Ihnen dann einfällt? Bücher? Gesellschaft? Freundschaftliche Diskussionen?"

"Mehr oder weniger", entgegnete Joe, der nicht die Absicht hatte, sich in Details zu ergehen. Cassandras Gesicht verhärtete sich, aber ihre Stimme blieb gleichmäßig.

"Die Kleinigkeiten des Alltags, die eine Beziehung zu einem anderen Menschen ausmachen?"

"Ja."

"An diese Kleinigkeiten denke ich auch. Nur hinterließ er damals keine Bücher. Ich erinnere mich an die guten Tage, an denen ich nicht starb. Es waren nicht sehr viele. Tage, an denen er sonst niemanden tötete, gab es nicht, und im Gegensatz zu mir wurden sie nicht wieder lebendig. Ich glaube nicht, daß Sie wissen möchten, wie wir starben."

Joe wandte sich ab. "Nein", erwiderte er heiser.

"Dann kommen Sie mir auch nicht mit der heilenden Kraft von Jahrtausenden."

Um die Vorstellungen zu verscheuchen, die sie in ihm geweckt hatte, klammerte sich Joe das, was in ihm geschwelt hatte, seit MacLeod mit Cassandra in seine Bar gekommen war.

"Aber warum mußten Sie Mac mit hinein ziehen?"

"Es war Duncan", antwortete Cassandra kalt, "der sich eingemischt und mich davon abgehalten hat, mich zu rächen. Erst bei Kronos und dann bei Methos. Jetzt sucht er ebenfalls nach ihnen, und es wäre töricht, seine Hilfe abzulehnen."

"Sie benutzen ihn", sagte Joe anklagend.

"Und Sie haben das nie getan?"

Er hatte sie bisher die paranormalen Kräfte, die sie laut ihren Akten besaß, nicht ausüben sehen, aber langsam glaubte er daran. Sie konnte es nicht wissen. Laurens verzweifelte Schreie, seine eigene Unfähigkeit, ihr zu helfen, und der brennende Haß auf ihren Mörder, den Unsterblichen Durgan. Und die Erleichterung, zu wissen, daß Duncan MacLeod ihn zur Rechenschaft ziehen würde. Machen wir uns nichts vor, dachte Joe. Ihn umbringen würde, das war es, was ich damals wollte. Und was ich bekam. Aber Durgan hat Lauren vor meinen Augen ermordet.

Cassandra würde vermutlich sagen, daß die Reiter die Menschen, die sie liebte, ebenfalls vor ihren Augen ermordet hatten. Jedes weitere Wort war fruchtlos. Und das Schlimmste war, er verstand sie.

Das Warten war das Schlimmste, jetzt, wo MacLeod und Cassandra Seacouver verlassen hatten. Das Warten und die Erinnerungen. Er hatte sich in seinem Büro verbarrikadiert, um nicht in die Bar gehen zu müssen, aber es half nichts. An der Pinwand neben dem Schreibtisch hing noch immer eine Karte, die ihm Alexa aus Santorin geschrieben hatte. Den Screensaver, der seit geraumer Zeit schon den Bildschirm seines Computers heimsuchte, hatte ihm Methos besorgt, als er das Ding für ihn programmierte.

Wirklich, Joe, nur weil du Historiker bist, heißt das noch lange nicht, daß du so ein vorsintflutliches Modell benutzen mußt.

Sagte der Mann, der als Arzt seine mittelalterlichen Methoden an unschuldigen Beobachtern praktiziert. Wann warst du noch mal in Heidelberg, um Medizin zu studieren?

Du hast überlebt, oder?

Die Kleinigkeiten, die den Alltag ausmachen. Frotzeleien und Diskussionen und die Erinnerung daran, daß dieser Mann ihm das Leben gerettet hatte. Freundschaft. Und jetzt konnte er noch nicht einmal mit ganzem Herzen darauf hoffen, daß Methos diese Katastrophe überlebte. Nicht, wenn es bedeutete, daß Mac deswegen starb.

Joseph, kommentierte die kalte innere Stimme wieder, und Joe erkannte mit einem Schaudern, daß sie seinem Schwager gehörte, das ist es, was die Unsterblichen tun. Sie töten einander. Du bist Beobachter. Du weißt das. Sich mit einem Unsterblichen anzufreunden, war töricht genug. Sich mit mehreren anzufreunden... Duncan, Richie, Methos, Amanda. Wie wäre es mit einer kleinen Wette, Joseph? Wie hoch sind die Chancen, daß alle vier das nächste Jahrtausend erleben? Es war ihm gleich. Er wollte, daß sie alle überlebten, ganz gleich, wie unrealistisch es war. Er wollte, daß Mac und Methos beide aus dem Inferno zurückkehrten, in dem sie sich alle derzeit befanden. Vielleicht würde er nie wieder in der Lage sein, Methos so zu vertrauen wie früher. Doch es würde genügen, zu wissen, daß ihn noch gab.

Joe konnte nur hoffen, daß MacLeod zu der gleichen Schlußfolgerung gelange. Er blickte auf die Uhr. Erst zwei Stunden. Die Zeit wurde immer langsamer, und das Warten immer unerträglicher. Aber es war besser als ein Abschied für immer.