Soliloquy

Bimo

 

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Kronos.

Joe hätte noch ewig in das Gesicht starren können, daß ihm vom Monitor seines Computers entgegenblickte. Die Form irgendwo im Mittelfeld zwischen rund und quadratisch, der hellen Haut und dem kurzen, aschblonden Haar nach war es eindeutig kaukasischer Prägung. Ohne die markante, etwa zehn Zentimeter lange Narbe am rechten Auge beinahe ein Allerweltsgesicht. Ohne das irre, kalte Flickern in den seegrünen Augen fast angenehm.

Egal, wie lange Joe es betrachtete, es kam ihm vor wie eine leere Projektionsfläche für all die Grausamkeiten zu denen der menschliche Geist anscheinend fähig war. Ein Alptraum aus den Tiefen Cassandras und MacLeods Vergangenheit, Verkörperung eines vagen Konzeptes vom absoluten Bösen. Die Empfindungen, die Cassandras Schilderungen in ihm für diesen Mann erweckten, waren in ungefähr so abstrakt und unmöglich in Worte zu kleiden, wie die Gefühle, die man aus dem sicheren Abstand der späten Neunziger Jahre den Monstren der Nazidiktatur entgegenbrachte. Schon allein der Name machte es schwer, ihm einen festen Platz innerhalb der realen Welt zuzuordnen. Kronos. Das war der Titan, jüngster Sohn der Gaia, Mörder seines Vaters. Keine Gestalt des wirklichen Lebens, die ohne Vorwarnung über die Idylle von Seacouver hereinbrechen und damit den Auftakt zu einer Tragödie so großen Ausmaßes liefern konnte.

Vergeblich versuchte Joe gegen die Welle von Zorn, Frustration und Angst anzukämpfen, die erneut in ihm hochstieg. Sie ergriff Besitz von ihm, schleuderte ihn einmal kräftig durch und ließ ihn zurück mit bebenden Lippen und einem Gefühl von Übelkeit, als hätte er einen ganzen Liter Salzwasser geschluckt.

Am schwersten zu verarbeiten war die eigene Hilflosigkeit. Das zum Warten verdammt sein, während Duncan MacLeod sich allzu bereitwillig in Suche nach einem übermächtigen Gegner stürzte. Mac mit seinem verfluchten Drang, das Böse auszumerzen und diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Mac, in dessen Augen nur zu deutlich abzulesen war, daß es bei der überhasteten Abreise nach Rumänien längst nicht mehr um Kronos oder die anderen Reiter ging, sondern um das Ende einer Freundschaft.

Immer wieder kehrte Joes Verstand zu der kurzen aber heftigen Diskussion in MacLeods Apartment zurück.

- Vietnam. Glaubst Du, unsere Gewehrkugeln wären um die Kinder herumgeflogen?

- Das war etwas anderes. Ihm hat es gefallen, weil er aus Freude getötet hat.

Erschütternder als ihr Inhalt war die bittere Gewißheit, die in MacLeods Worten schwang. Methos und Freude am Töten?

Töten aus Selbsterhaltungstrieb oder zur Verteidigung derer, die er liebte. Ja. Töten, weil rings um ihn der Wahnsinn tobte und es keine andere Möglichkeit gab, als sich von ihm mitreißen zu lassen. Ja. Seine eigenen Erfahrungen hatten ihn gelehrt, wie schnell so etwas ging. MacLeod, der in so vielen Schlachten gekämpft hatte, daß er sie wahrscheinlich kaum noch zählen konnte, wußte wie verlockend er war, der kollektive Blutrausch.

Aber Morden aus reinem Vergnügen? Nein, nicht Methos. Zumindest nicht der Methos, den Joe Dawson die letzen Jahre über gekannt hatte, zuerst als sanften, unauffälligen aber brillianten jungen Mann aus der Pariser Forschungsabteilung, später als den 5000jährigen Zyniker. Überaus charmant, aber gelegentlich ein solches Aas, daß es einem glatt die Sprache verschlug.

Joe bezweifelte, daß er jemals erfahren würde, was um Gottesnahmen bei der letzten Konfrontation zwischen dem alten Unsterblichen und MacLeod vorgefallen war. Mac weigerte sich, mehr über die Begegnung zu sagen, als zwei simple Sätze.

- Joe, Ich habe ihn gefunden. Dieser Bastard. Es ist aus zwischen uns.

Der Zorn und die tiefe Verletztheit in Macs Augen, der versteinerte Ausdruck in seinem bis zum Zerreißen angespannten Gesicht, einfach alles deutete darauf hin, daß diese Begegnung das Universum des Highlanders bis in die Grundfesten erschüttert haben mußte. Woher nahm er die Sicherheit über einen seiner engsten Freunde zu richten, als hätten die letzten Jahre niemals stattgefunden. Als wäre Methos - unser Methos, wie Joe ihn in einem vergeblichen Verteidigungsversuch bezeichnet hatte- keinen Deut besser als Kronos.

Zögernd blickte Joe noch einmal zu der Fratze auf dem Monitor, dann langte er mit der rechten Hand unter den Tisch und drückte die Powertaste. Er hatte nicht den Nerv, Rücksicht auf die Befindlichkeit eines übersensiblen Betriebssystems zu nehmen. Ein Klickgeräusch, begleitet von einem vorwurfsvollen Aufheulen der malträtierten Maschine, danach gähnende Schwärze.

Joe hatte den Eindruck, daß er momentan ohnehin nicht fähig war, nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn ernsthaft zu arbeiten. Zwei ganze Tage und Nächte ohne Schlaf hinterließen ihre Spuren. Fast war er dankbar für die bleierne Taubheit in Körper und Seele, die zunehmend von ihm Besitz ergriff. Ihm schien, sein Verstand bewegte sich nur noch in engen, konzentrischen Bahnen, Kronos, Cassandra, MacLeod, Methos.....

Daß es nichts gab, was er noch hätte tun können erfüllte Joe mit einer verzweifelten Unruhe. Wahrscheinlich das einzige, was ihn momentan noch auf den Beinen hielt, war die Angst vor dem, was unweigerlich geschehen würde, wenn Bukarest sich tatsächlich als die richtige Fährte herausstelle. Duncan MacLeod gegen die Reiter. Ein Szenario der unbegrenzten Möglichkeiten, jede einzelne erschreckender als die vorangegangene.

Bei der kurzen Verabschiedung auf dem Flughafen von Seacouver hatten weder Joe noch der vierhundert Jahre alte Schotte gewagt, den Gedanken offen auszusprechen. Sie brauchten es auch nicht. MacLeods Entschlossenheit den Reitern ein Ende zu setzten beantwortete alle Fragen, auch die nach Methos. Noch eine stumme gegenseitige Umarmung, dann verschwand der Highlander hinter den Sicherheitskontrollen. Joe war nicht in der Lage gewesen, ihm Glück zu wünschen.

Alles, was ihm blieb, war ein winziger Strohhalm irrationaler Hoffnung, daß es für beide, sowohl Duncan als auch Methos noch eine Chance gab, diesem Desaster mit heiler Haut zu entrinnen.

Na komm schon, Dawson.....Wie wahrscheinlich ist das? Einer von ihnen wird draufgehen. Wenn du Pech hast, verlierst du sie beide.

Joe kannte die leise sadistische Stimme in seinem Kopf nur zu gut.. Die, die immer das schlimmste annahm und der es soviel Vergnügen machte, ihn zu quälen. Manchmal, wenn er Glück hatte, gelang es ihm, sie durch seine Musik zum Schweigen zu bringen. Manchmal......, nur nicht jetzt.

Alles, was er tun mußte, war vom Schreibtisch aufzustehen, und die wenigen Schritte vom Büro hinüber zur Bar zu laufen. Seine Gitarre würde dort stehen, wo er sie zurück gelassen hatte. Vorsichtig an die Seitenwand der Bühne gelehnt. Zum Greifen nah. Was ihn davon abhielt, sie zu nehmen, das vertraute Vibrieren der metallenen Saiten zwischen seinen Fingern zu spüren, war die Tatsache, daß er sie nach den ersten paar Takten mit aller Wucht gegen die Wand schmettern würde. Unwillkürlich verzog der Gedanke seine Lippen zu einem bitteren Lächeln.

Na Joe, soweit ist es also schon mit Dir gekommen?

Ja, wahrscheinlich. Eindeutig befand er sich in jenem Stadium, indem die Summe seiner Gefühle sich eigentlich nur noch in sinnloser Spontangewalt gegen friedliebende Gegenstände entladen konnten. Gegen jene, die ihm am meisten bedeuteten.

Joes Liebe zur Musik war so stark, daß sie die Blues Bar zu seinem eigentlichen Zuhause gemacht hatte. Sein Apartment war bloß ein Ort an dem das Bett stand, auf dem er schlief, der Schrank in dem er seine Kleidung aufbewahrte. Austauschbar, ohne persönliche Bedeutung. Unberührt von all jenen Erinnerungen, die in der Bar auf ihn warteten, heimtückischer als Dickens Geist der vergangenen Weihnacht. Beinahe konnte er ihn direkt vor sich sehen. Methos, wie er sich mit so faszinierender Lässigkeit auf den Stühlen herumfläzte, daß Joe jedesmal im Stillen um seine Mobiliar fürchtete. Methos, wie er MacLeod bei einem alten schottischen Whiskey mit haarsträubenden Geschichten aus seiner langen Vergangenheit aufzog. Richie Ryans ungläubiges Starren als Joe und MacLeod ihm die wahre Identität des alten Unsterblichen offenbarten.

Was? Fünftausend Jahre soll der da auf dem Buckel haben? Tut mir leid Jungs, das kaufe ich euch einfach nicht ab.

Wenn er ehrlich war, glaubte Joe manchmal selber nicht an Methos Alter. Fast war es eine Art Spiel zwischen den beiden geworden. Methos, der sich in Joes Gegenwart so benahm, wie ein zynischer, verantwortungsloser Junge, keinen Tag erwachsener als sein Äußeres vermuten ließ und Joe, der ihn auch exakt genauso behandelte.

Die Momente, in denen durch die Fassade eines noch immer nicht ganz erwachsenen Anfangdreißigers einen Augenblick lang der uralte Unsterbliche schillerte, waren flüchtig. Niemals dauerten sie länger als einen Atemzug oder den Schlag eines menschlichen Herzens. Subtile, eigentlich kaum festzumachende Variationen von Körperhaltung, Blick oder dem weichen, dunklen Timbre seiner Stimme. Dennoch genügten sie, Joe Dawson jedes einzelne Mal ein klammes Frösteln empfinden zu lassen, so als hätte er durch Methos klare, rätselhafte Augen in ein Fenster zur absoluten Ewigkeit geschaut.

Obwohl er, wenn er Joes Reaktion bemerkte, jedesmal innerhalb von Sekundenbruchteilen in den patentierten "I´m just a guy"- Modus zurückwechselte, hatte Joe immer geahnt, daß das kurze Aufblitzen seiner wahren Natur wesentlich mehr sein mußte, als die bloße Folge momentaner Unachtsamkeit. Zu gut paßten sie in den komplizierten Tanz aus "Mein bester Freund Joe" und "Tut mir leid, Junge, so nah sind wir uns nicht", den Methos jedesmal in Joes Gegenwart aufführte. Beinahe als versuchte er, Joe mitzuteilen, daß es besser war, ihm gegenüber wachsam zu bleiben, auf der Hut......Ein fast schon absurder Zug von Aufrichtigkeit in jemandem, der Manipulation zur höchsten persönlichen Kunstform erhoben hatte. Methos hatte nie zu der Vermutung Anlaß gegeben, nach fünftausend Jahren auf diesem Planeten gäbe noch immer etwas, daß er noch nicht getan hätte. Etwas zu dem er nicht fähig wäre. Sowohl im Guten wie im Bösen.

Hell - Been there. Done that.

MacLeod hatte Recht. Was wußte er denn schon von Methos?

Weder die Abgründe in die der Unsterbliche im Laufe seines Lebens geblickt hatte, noch das Leid noch den Wahnsinn. Auch nicht die Träume und Hoffnungen. Bloß, daß er es irgendwie fertig gebracht hatte, dieses Höllenfeuer zu überstehen, ohne den Verstand zu verlieren. Nicht viele der wirklich Alten schafften das.

Wieso war es nur so verdammt leicht, zu vergessen, daß Methos bei all seinem liebenswerten Studentencharme in erster Linie eines war? Ein Überlebender, einer der wenigen großen Gewinner im tödlichen Spiel der Unsterblichkeit.

Im stillen Halbdunkel des Büros kam es Joe beinahe so vor, als könne er Cassandra lachen hören, die Stimme voll von Bitternis und spottendem Mitleid.

Du glaubst immer noch, er ist dein Freund, Dawson. Nicht?
Denkst Du denn, jemand so unvorstellbar alt, wie Methos, würde auch nur einen Pfifferling für dich geben, wenn er dich nicht genau so gebrauchen, ausnutzen könnte, wie er auch MacLeod benutzt? Als Beschützer. Ergebenen Hüter seiner Geheimnisse. Schoßhund.
Laß mich dir verraten, Joe: Der Tod ist Niemandes Freund, bloß ein Spieler, der deine Seele fängt und mit ihr tut, was immer ihm beliebt.....

Eine abgründige Vorstellung. Jede einzelne Faser seines Herzens schrie förmlich danach, sie für kompletten Mumpitz zu erklären. Dennoch trug sie eine unleugbare, erbarmungslose Logik in sich. Dunkel und abwegig, doch eindeutig im Bereich des Möglichen. Vielleicht letztendlich stimmiger als alles andere.....

Die Hände fest gegen Gesicht und Schläfen gepreßt, so fest als ob physischer Schmerz die Kraft hätte, den Gedanken zu verjagen, ließ Joe seinen Kopf auf die Brust sinken und seine Augen füllten sich mit Salzwasser.

Ohne daß er die Kraft hatte sich dagegen zu wehren, stiegen Bilder eines fremden, wesentlich jüngeren Methos in ihm auf. Der Methos Cassandras - nicht seiner - wie er an Kronos Seite durch die vorderasiatischen Steppen streifte und plünderte, mordete, vergewaltigte; alles Leben auslöschend, welches das Pech hatte, zufällig seinen Weg zu kreuzen.

Dreitausend Jahre waren eine lange Zeit, doch lang genug, um einen Menschen so vollständig zu verändern? Wie um alles in der Welt paßte das? Derselbe Mann, der vor Jahrtausenden aus purem Vergnügen Cassandras Stamm niedergemetzelt hatte, war auch derjenige, der sich bedingungslos dazu bereit erklärte, sein eigenes Leben für das Duncan MacLeods zu geben. Derjenige, der einfach alles daran gesetzt hatte, die letzten Monate einer sterbenden jungen Frau gleichzeitig auch zu ihren schönsten zu machen. Derjenige, dessen Stimme vielleicht das einzige gewesen war, das einen dem Tode nahen Joe Dawson in einem dunklen, modrigen Weinkeller in Paris am Leben gehalten hatte.

Komm schon Joe. Nicht Du. Ich will Dich nicht auch nicht verlieren. Noch nicht jetzt......

Er war es, der keine Minute von seiner Seite gewichen war, bis sicher stand, daß Joe den immensen Blutverlust, den Schock, und das darauf folgende Fieber überstehen würde. Hatte über ihn gewacht, nicht mit nach jahrhunderte langer Erfahrung in Fleisch und Blut übergegangenener ärztlicher Routine, sondern als Freund.. Wenigstens war das, was Joe damals geglaubt hatte. Und so verrückt es auch klang, etwas in ihm klammerte sich immer noch an diese Vorstellung. Vielleicht bloß weil die Alternative zu unerträglich war, um sie zu akzeptieren.

Nun, Dawson, blind aus einem absurden Gefühl familiärer Zugehörigkeit? Lernst Du denn niemals aus deinen Fehlern? Bei deinem Schwager hast du die Katastrophe auch nicht kommen sehen.

Cassandras Stimme war dieses mal kein Lachen, sondern das heisere, nagende Flüstern bitterer Einsicht.. Schon alleine seine erste, instinktive Reaktion Methos bedingungslos in Schutz zu nehmen, bewies Joe, daß er längst jenseits aller notwendigen Distanz stand. Er hatte sie aufgegeben für einen Tanz mit dem Teufel, für eine seltsame, unmögliche Freundschaft zu dem rätselhaftesten Wesen, das die Welt je gesehen hatte.

Ganz gleich, wer oder was Methos auch immer gewesen sein mochte, was immer er jetzt war, ein Teil von Joe Dawson -das Herz, weissgott nicht der Verstand - glaubte an das Gute in ihm.. Wollte daß Methos überlebte......und das einzige, was er im Moment für ihn tun konnte, war zu beten, daß Duncan MacLeod zu der selben Entscheidung kam.

Ende