Crusader III

Tatjana

 

"Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?" Der alte Mann saß hinter dem Tisch, den man aufgebaut hatte, und seine kühlen Augen blickten streng auf die fünf Männer, die behauptet hatten, man hätte sie vor ein paar Tagen entführt. Gerade hatte man ihnen vorgehalten, daß sie einen recht vertraulichen Umgang mit ihren Entführern hegten, sollten die Pilger es tatsächlich gewesen sein. Dies war nun die alles entscheidende Frage, die Licht in das mysteriöse Dunkel bringen sollte.

Ratlos sahen die fünf sich an. Sie hatten keine Ahnung, was sie antworten sollten. Sie standen hier vor dem gefürchteten Tribunal und ihnen war klar, daß sie nur durch eine geschickte Verteidigung diese Versammlung lebend wieder verlassen könnten. Doch die, die stets für sie eingetreten waren, waren nicht hier. Ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, um sich um andere Dinge zu kümmern!

"Sie wollten eigentlich nichts von uns. Sie haben sich nach Sehenswürdigkeiten erkundigt, nach der Kirche und dem Markt", begann dann der eine zu erklären, doch schon bei den ersten Worten merkte er, wie ihm das mißlang. "Nach Sehenswürdigkeiten?" Die spottende Stimme, die sich ätzend anhörte, ließ keinen Zweifel aufkommen, was sie von dieser Erklärung hielt. Als ob die Kreuzfahrer sich jemals um Kirchen und dergleichen geschert hätten! Sie gehörte zu demjenigen, der schon bei der letzten Versammlung ein strenges Vorgehen gegen die fünf verlangt hatte, und zustimmendes Gemurmel breitete sich aus.

"Aber es ist die Wahrheit!" "Die Wahrheit, ja? Wessen Wahrheit? Die, die ihr für uns wollt, damit ihr euch hinter unserem Rücken mit dem Feind verbünden könnt, um euch Vorteile zu verschaffen? Habt ihr vergessen, was in Antiochia geschah? Die, welche die Kreuzfahrer beschützen wollten, die ihnen überhaupt erst den Zugang zur Stadt ermöglicht haben, wurden allesamt umgebracht! Frauen, Kinder, alle!!! Ich sage, so weit darf es nie wieder kommen!" Das Gemurmel wurde lauter. "Ist es nicht genug, daß die Mädchen und Frauen angepöbelt und gar geschändet werden??? Daß man seines Lebens nicht mehr sicher ist, sobald das Kreuz dieses Christus auftaucht?" Die leidenschaftlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, auch wenn es die fünf Männer das Leben kosten würde. Selbst der alte Mann nickte langsam, aber immer wieder.

Trotz allem wünschte er sich, seine Tochter wäre hier und könnte ihm raten. Salina war klug und verständig und er war sich sicher, sie würde hier die beste Lösung für ihr Problem finden. Doch sie weilte nicht unter ihnen und so mußte er sich wohl oder übel für weitere Wege entscheiden.

Nachdenklich ruhte sein Blick auf den fünf Männern, die ihm schon so lange Jahre gute Dienste geleistet hatten. Sie sollten ihn verraten haben? Er konnte es nicht glauben! Doch alles sprach gegen sie, und war Antiochia nicht auch durch Verrat gefallen? Beunruhigt erwiderten die Männer den Blick ihres Königs. Das sah gar nicht gut aus!

"...Und ich sage euch, wir müssen jetzt endlich handeln! Wir dürfen uns nicht länger verstecken und so tun, als gäbe es uns nicht!!! Und bei denen..." An dieser Stelle zeigte ein spitzer Finger anklagend auf die Beschuldigten. "...werden wir anfangen!" Es war unglaublich! Es wurde zum Brudermord aufgerufen und die Menschen klatschten Beifall!

Ergeben senkten die Todgeweihten die Köpfe. Das war es also. Sie würden sterben, weil jemand zu mißtrauisch war und es niemanden gab, der ihre Partei ergriff. Jetzt fehlte nur noch das Urteil des Tribunals.

Die alten Männer, die am Tisch saßen, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten aufgeregt. Dann erhob sich der, der in der Mitte saß, und verkündete mit klarer Stimme: "So hört denn unser Urteil: ihr wurdet schuldig befunden, mit dem Feind zu paktieren, und werdet deshalb zum Tode verurteilt. Geht und nehmt euer Schicksal entgegen. Mögen die Götter euch gnädig sein!"

Schweigend trennten sich die Palastgetreuen; ihr Tribut an die zum Tode verurteilten, die stumm hinter ihren Vollstreckern hergingen und weder nach links noch nach rechts blickten. Ihr Tod erwartete sie, - sie hatten es nicht eilig.....

"Herr! Herr!" Ungestüm wurde der Eingang von Kronos' Zelt beiseite gerissen und Markus stürzte hinein, seine weit aufgerissenen Augen starr auf den Mann gerichtet, der ihm stirnrunzelnd entgegensah.

Kronos hatte am Vorabend mit seinen Gefährten zusammengesessen und getrunken. - Viel mehr, als ihnen zuträglich war! Und dann war er zurück gegangen, zu seinem Zelt. Er wollte Alana zeigen, daß er sie auch wie eine Hure behandeln würde, fühlte sie sich als solche. Und dann hatte er sie gesehen: Wangen und Augen noch vom Weinen gerötet, immer noch angezogen und - unendlich schön. Er hatte es nicht über sich gebracht und hatte sich auf den Stuhl gesetzt und sie die ganze Nacht beim Schlafen beobachtet. Er hatte ihr einfach nur zugeschaut und an nichts gedacht, bis ihn Markus nun aufstörte!

"Was ist?" "Herr, schnell! Das müßt Ihr Euch ansehen!" sprudelte der Knappe aufgeregt hervor, unruhig von einem Bein auf das andere trippelnd. Seufzend erhob Kronos sich, bevor der kleine Narr Alana aufweckte mit seinem Geschrei. Er folgte ihm hinaus und quer über den Platz. "Was gibt es denn?" wollte er wissen, als es ihm zu dumm wurde. Doch anstatt zu antworten, führte Markus seinen Herrn weiter, bis sie auf den freien Platz vor dem Lager ankamen. - Und Kronos es selber sehen konnte!

Dort standen grob gezimmerte Kreuze, an denen die Leichen derer hingen, die sie Tage zuvor verschleppt und später wieder freigelassen hatten. Ihre Mörder hatten sie aufgeschlitzt, vom Hals bis zum Bauch, und der Sand unter ihnen war rot von Blut. Sie trugen nun nicht mehr die Schleier, wie bei der Versammlung, sondern ihre normale Alltagskleidung. Oder vielmehr das, was davon noch übrig war. Und vor ihnen lagen im Staub.... kleine, goldene Münzen. Auf der einen Seite war eine Schrift eingraviert, die schon sehr alt sein mußte, und auf der anderen war das Abbild des Königs zu sehen: ein Mann im mittleren Alter, gekrönt mit einem Kranz aus Blättern. Keine Frage, die Rebellen hatten mit voller Absicht ihre "Visitenkarte" hinterlassen. Die Kreuzfahrer sollten wissen, wem sie den gewaltsamen Tod der vermeintlichen Verbündeten zu verdanken hatten!

Kronos lächelte. Es war ein befreites, zufriedenes Lächeln, das sich auf seinem Antlitz und in seinen Augen wiederfand, und ihm ein heiteres Aussehen verlieh. Ja, so was! Da waren die Rebellen wohl ein wenig nervös geworden, wie!? Sie töteten ihre eigenen Leute, nur weil ein paar Soldaten sie nach dem Weg und ein paar Sehenswürdigkeiten gefragt hatten? - Eine Maßnahme, die selbst ihm überzogen erschien. Das Lächeln wandelte sich in ein sehr zufriedenes Grinsen und er machte auf dem Absatz kehrt, um D'Aguile zu holen. Sollte der Franzose sich das selber ansehen. Dies hier war sein Werk! Nur durch sein Genie waren sie in der Lage gewesen, die Rebellen aufzustören und sie kopflos zu machen. Sollte Leonard ihm das erst mal nachmachen!!!

'Was aber wäre, wenn man die Stadt von innen heraus zersetzen könnte?'

Jetzt wußten sie es: es wäre perfekt!!!!

D'Aguile überschlug sich fast vor Freude und lobte sich und seine Taktik über alle Maßen, hatte sie doch zur Ermordung dieser Heiden geführt.

Kronos bedachte den Mann mit einem dunklen Blick. Wieder einmal bewunderte er, wie dumm der Franzose doch sein mußte. Konnte er denn wirklich nicht über seine eigene Nasenspitze hinaussehen? Sah das hier etwa aus, wie das Resultat aus monatelangen, vergeblichen Versuchen, die Rebellen ausfindig zu machen? D'Aguiles Spione hatten es ja noch nicht einmal geschafft, den Treffpunkt der Feinde ausfindig zu machen! In Gedanken seufzte er schwer auf. Hoffentlich zogen sie bald weiter. Noch viel länger mit diesem Idioten in einem Lager würde er auf keinen Fall aushalten!!!

Leonard war in so guter Stimmung, daß er Wein und Bier für alle anordnete, um ihren ersten Sieg über die Rebellen zu feiern. Es sollte ein Gelage geben, so weit es sich hier organisieren ließ, und er wünschte eine ausgelassene Feier!


* *
 

Schmunzelnd ging Kronos zu seinem Zelt zurück. Er war bester Stimmung und freute sich auf einige ungestörte Zeit mit Alana. - Doch das Zelt war leer, als er eintrat! Mit einem Blick erfaßte der Mann, daß der Wasserkrug fehlte, und er machte sich auf den Weg zum Brunnen, in dessen Nähe ein Wasserloch war, in dem sonst das Vieh getränkt wurde.

Er ließ das Lager hinter sich und wanderte einen recht unangenehmen, steinigen Weg zum Brunnen, der um diese Zeit verlassen dalag. Dann wandte er sich nach Osten und hinter der nächsten Düne erblickte er endlich den Gegenstand seiner Überlegungen: Alana kniete am Ufer des Wasserloches und flocht sich die Haare. Neben ihr stand der Tonkrug, zu dem sie nun den Gürtel, der ihr Gewand zusammenhielt, legte. Fast lautlos trat er zu ihr, und erst, als er sie ansprach, bemerkte sie ihn: "Ich habe dich gesucht."

Erschrocken fuhr sie herum und ihre großen blauen Augen starrten ihn mit einem Flackern, das er nicht deuten konnte, an. Schnell senkte sie ihren Blick, ihre Finger nestelten nervös an ihren Gewandfalten.

"Verzeiht mir, ich hätte Euch Bescheid geben sollen", murmelte sie erstickt. Kronos seufzte. "Ja, das hättest du." Er hockte sich hinter ihr hin und betrachtete interessiert ihren Rücken, bis er es aufgab, auf ein Wort von ihr zu warten. "Bist du fertig oder willst du noch Baden?" Eine absurde Frage, hatte sie doch damit begonnen, sich auszuziehen, aber wenigstens etwas, was er zu ihr sagen konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.

"Ich.... wollte gerade..." Locker erhob er sich und reckte sich genüßlich. "Gut. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich es dir gleichtue? Nein? Dann hilf mir bitte beim Auskleiden!" Sie kam seinem Wunsch nach und als er ins Wasser stieg, das angenehm kühl war und ihn erfrischte, beobachtete er nebenbei Alana, die sich auszog und dann hinterherkam. Sie tauchte unter und kam dann fast sofort wieder hoch, prustend und spuckend. Kronos lachte. "Kannst du etwa nicht Schwimmen?" Verwundert sah sie ihn an. Vergessen war der Verdruß und die Traurigkeit, die er ihr bereitet hatte. "Nein, Herr. Könnt Ihr es denn?" "Aber sicher doch." erwiderte er nicht minder verwundert als sie. Ihm kam es merkwürdig vor, daß jemand nicht Schwimmen konnte, konnte es doch im Zweifelsfall lebenswichtig sein! Dann fiel ihm ein, daß hier, rund um ihn herum, nur Wüste war. Was für einen Grund sollte es geben, in dieser Einöde schwimmen zu können? Er mußte über sich selber den Kopf schütteln.

"Komm her, ich bringe es dir bei." Alana sah nicht gerade begeistert aus, doch es stand ihr nicht an, sich den Wünschen ihres Herrn zu widersetzen. Leicht nahm Kronos sie auf beide Arme, so daß ihr Körper waagerecht im Wasser schwebte, und erklärte ihr, was sie tun sollte. Zwar stellte sie sich nicht dumm an, doch ihr fehlte einfach das Talent zum Schwimmen, und Kronos gab es schließlich auf. Er nahm einfach die Arme unter ihr weg und sie platschte ins Wasser, bis sie prustend wieder auftauchte und ihn empört anfunkelte. Er grinste amüsiert. "Was ist dir? Ist es naß?" Statt einer Antwort schlug sie mit der flachen Hand gegen die Oberfläche des Wassers und spritzte es ihm ins Gesicht. Daraus entstand eine herrlich alberne Balgerei, bis er sie packte und hoch über seinen Kopf hob. "Gibst du auf?" Sie zappelte. Er reckte sich noch etwas mehr. "Gibst du auf?" fragte er noch einmal lachend. "Ja, ja! Laßt mich runter!" Für einen Augenblick war er versucht, sie einfach fallen zu lassen, dann überlegte er es sich anders und holte sie sanft wieder runter.

"Zieh dich an. - Es gibt was zu Feiern!" Sie wateten ans Ufer und stiegen gemächlich hinaus. "Wirklich?" Ihre blauen Augen strahlten ihn an, und Kronos dachte daran, daß es vielleicht doch keine schlechte Idee war, hier zu bleiben und ihre eigene Siegesfeier zu machen. Dann verwarf er diesen Gedanken wieder. D'Aguile würde ihn an seiner Seite sehen wollen, um seine uneingeschränkte Macht demonstrieren zu können.

"Ja. Unseren ersten kleinen Sieg über die Rebellen." Alana hielt in der Bewegung inne; sie hatte eben ihr Gewand aufgenommen und preßte es nun an ihre Brust. Kronos drehte ihr den Rücken zu und konnte deshalb ihre Reaktion nicht sehen, doch er hörte, wie sie ihn atemlos fragte: "Wie das?" "Komm, mach mir mal den Umhang fest...." Ihre flinken Finger befestigten die Spangen an seinen breiten Schultern, während er weitersprach: "... So wie es aussieht, werden die Rebellen nervös und gehen sich gegenseitig an den Hals. - Wenn das so weitergeht, brauchen wir uns nur hinsetzen und in aller Ruhe abzuwarten. Danke, Kind." Er richtete den Umhang, damit er richtig fiel und sah ihr dann beim Ankleiden zu. Seine dunklen Augen blickten nachdenklich, dann ging es wie ein Ruck durch die Gestalt. "Sag mal, Alana: wie stehst du eigentlich zu den Rebellen?" Sie lächelte ihn flüchtig an. "Ich weiß nicht, was Ihr meint."

Sie nahm den Krug auf und ging an ihm vorbei zum Brunnen, um das Wasser zu holen, so wie sie es jeden Tag tat.

"Na ja, ich meine, du bist doch von hier, du müßtest dich eigentlich noch an den König erinnern und gewiß weißt du auch etwas über die Rebellen und die anderen." "Welche anderen?"

Sie holte den schweren Eimer hoch und goß das kostbare Naß vorsichtig um. Dann stellte sie den Eimer ab, schulterte den Krug gekonnt und begann langsam dem Lager zuzugehen.

"Die, die ihren König wiederhaben wollen." "Herr, die, die Ihr verfolgt, egal ob Rebellen oder Palastgetreue, .... Ihr sucht immer dieselben Menschen."

Verblüfft starrte er sie an, die so ungerührt weiterschritt, als plaudere sie mit ihm über das Wetter. Er mußte schon einen Schritt zulegen, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte, um sie wieder einzuholen.

"Du meinst, diese beiden Gruppen sind eigentlich nur eine einzige?" frage er scharf. "Ja, Herr." Das änderte alles! Bisher hatten sie sich darauf versteift, sich gegen zwei Gruppen wehren zu müssen. Wenn es nur eine einzige wäre, so, wie Alana es sagte, dann.... Ja, dann wäre es ein wahrhaft lächerlich einfaches Unterfangen, um sie endgültig auszulöschen!

In Kronos' Kopf begann es zu arbeiten, sein Geist spann schon wieder neue Pläne, um sich dieses lästigen Problems endgültig entledigen zu können. - Doch dazu brauchte er noch mehr Informationen!


* *
 

Im Lager herrschte eine ausgelassene Stimmung: überall waren Soldaten und Huren miteinander vermischt, schrilles Lachen, das von zuviel genossenem Alkohol zeugte, schwerer Geruch von Schweiß und Sperma machte das Atmen unerträglich. Die Hitze tat ihr übriges dazu und über all dem lag der Duft von frisch gebratenem Fleisch, das auf Spießen über offenem Feuer garte. Erst in diesem Moment wurde Kronos bewußt, was Alana wohl jeden Tag spürte: ein Leben hier war schier unerträglich! Penetrant laut und übelriechend.

Wenn er erst mal sein eigenes Heer hatte, würde es so was nicht mehr geben!, schwor er sich.

Selbst in ihrem benebelten Zustand zollten ihm die Menschen Respekt und traten für ihn und seine Sklavin zur Seite, damit sie ungehindert passieren konnten. Kronos wartete, bis sie den Krug im Zelt abgestellt hatte, dann machte er sich mit ihr auf den Weg, seinem Kriegsherrn Gesellschaft zu leisten. Allerdings saß er wie auf heißen Kohlen und er konnte förmlich spüren, wie angeekelt Alana war. Er wollte sich mit ihr zurückziehen, sich mit ihr etwas unterhalten, doch Leonard ließ ihn nicht weg. Erst, als er einen jungen, gutaussehenden Knaben für seine Seite gefunden hatte, erlaubte er seinem Berater gnädig, sich zu entfernen. "Komm." Der Mann berührte das Mädchen leicht bei der Schulter und eilig verließen sie diesen Ort, der ihnen beiden so viel Unbehagen bereitete.


* *
 

"Erzähl mir, was du über die Palastgetreuen weißt!" Alana schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter und dachte kurz nach. "Nicht viel, Herr. Sie wollen den Thron für ihren König zurückerobern und die Stadt und das Land von den Besatzern befreien." Unwirsch fuhr er mit der Hand durch die Luft. Warum erzählte sie ihm was, das er alle Tage auf den Straßen hören konnte und die Spatzen von den Dächern pfiffen? Wagte sie es tatsächlich, ihm mal wieder etwas vorzuenthalten?

"Erzähl mir vom König." bat er sie leise. Alana wälzte sich auf den Rücken und schob einen Arm unter ihren Kopf. "Tjaa, was soll ich Euch erzählen?... Er war sehr mächtig und niemand hätte jemals gewagt, sich gegen ihn zu erheben. - Bis die Kreuzfahrer in unser Land kamen und...." Sie stockte kurz, dann fuhr sie ruhiger fort: "Er war ein Tyrann, der sein Volk wie die eigene Familie unterjochte und keine Meinung außer seiner eigenen gelten ließ." "Das Volk haßte ihn?" "Ja, ich glaube schon." "Was geschah mit ihnen?" "Das, Herr, weiß niemand. Die Palastgetreuen sagen, sie leben. Das Volk hofft, sie würden erlöst, und ihr... ihr hofft, daß sie tot sind. Und irgendwo dazwischen wird wohl die Wahrheit liegen." "Und was ist mit dir?" "Verzeihung?" "Ich meine, wie stehst du zu ihnen? Du bist hier geboren, hier aufgewachsen. Du mußt dir doch auch deinen Teil dazu denken." Kronos richtete sich etwas auf und angelte über ihren Leib hinweg nach dem Krug mit Wein und schenkte sich nach. Als er sich zurücksinken ließ, sah er direkt in zwei wundervoll schillernde, blaue Augen, die ergeben zu ihm aufgeschlagen waren.

"Herr, ich kann nicht denken", flüsterte sie rauh. "Immer, wenn ich die Augen schließe, sehe ich Euch und...." "Und?" Mit belustigter Neugier sah er sie an. Seine kleine, so leicht durchschaubare Sklavin wurde über und über rot und senkte die Lider. "Und da ist kein Platz mehr für etwas anderes", beendete sie ihren Satz beschämt. Der dunkle Krieger lachte leise und beugte sich über sie. "Und das ist auch gut so, meine Kleine", flüsterte er ihr zu, bevor er sie an sich zog und küßte....

Nun kam er doch noch zu seiner ganz privaten Siegesfeier!


"He, Sklavin!"

Fragend wandte Alana sich um, dem Mann zu, der sie angerufen hatte. Der Mann stand bei einem Zelt mit einigen anderen Soldaten. Sie hatten getrunken und hofften nun auf eine angenehme Unterhaltung. Sie hatten das Mädchen gesehen, das sich langsam durch die Zeltreihen bewegte, und sie hatten keine Ahnung, daß sie zu Turok gehörte.

"Komm her!"

Zögernd näherte sie sich den Männern, die sie unverschämt anstarrten. Einige Schritte vor ihnen blieb sie abwartend stehen. Oh ja, mit der würden sie sich köstlich amüsieren!, da waren die Männer sich sicher.

"Komm, Mädchen, setz dich zu uns und unterhalte uns ein wenig!" forderte einer der Männer sie nun auf. Zurückhaltend schüttelte Alana den Kopf. "Ich...habe den Auftrag, Wasser zu holen. Bitte, laßt mich gehen." Schwankend stand einer der Soldaten auf und kam auf sie zu. Stocksteif blieb sie stehen. "Aber, aber, Mädchen. Wer wird denn so zickig sein, hm? Sieh, wir sind doch alles nette Kerle und du bist ein nettes Mädchen.... Los, komm schon!" "NEIN!" Sie machte einen Schritt rückwärts. Wut zeichnete sich auf den groben Zügen des einfachen Soldaten ab, doch anstatt sich ihr weiter zu nähern, schlenderte er wieder zu den anderen zurück. "Wißt ihr, ich habe den Eindruck, daß sie ein wenig widerspenstig ist, findet ihr nicht auch? Tjaaa, dann wollen wir ihr doch mal etwas Respekt beibringen...." Mit einer langsamen, betont lässigen Bewegung zog er aus seinem Gürtel ein Messer, so groß wie ein halber Kinderarm, die Klinge eine gute Hand breit.

Auf Alanas Gesicht zeigte sich Furcht, doch sie blieb weiterhin stehen. Sie wollte nicht glauben, daß die Soldaten sie wirklich töten wollten.

Markus sah diese Szene. Er drehte sich eilig um und lief so schnell er konnte fort.

Aufreizend ließ der Soldat die Klinge in der Sonne blitzen, kratzte sich den Dreck unter den Fingernägeln mit der Spitze weg und deutete dann damit auf das Mädchen. "Nun? Hast du es dir überlegt? Möchtest du uns nicht doch Gesellschaft leisten?" Alana starrte mit Grauen erfüllt auf die blinkende Klinge. "Nein", murmelte sie fast tonlos.

"Wie bedauerlich!" heuchelte der Mann nun, visierte kurz und mit einem hellen Blitzen flog die Klinge rasend schnell auf das Mädchen zu.

Fassungslos sah Alana die Waffe auf sich zu rasen, doch sie konnte sich nicht bewegen. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken, doch nicht einer ließ sich greifen. Hilflos wartete sie den Treffer ab...

Ihre Finger öffneten und schlossen sich nervös, doch bevor sie die Hand nach dem Dolch ausstrecken konnte, um ihn abzuwehren, fuhr eine große Hand vor ihr Gesicht und fing das Messer ab. Ihr Kopf flog herum und sie sah direkt in Kronos' finsteres Gesicht. Erleichtert atmete sie auf.

"Was geht hier vor?" bellte der Mann. "He, Mann! Reg dich nicht auf! Ist doch nur eine Sklavin! Davon gibt es hier doch genug!" Unheilvoll loderten die dunklen Augen von D'Aguiles Berater und den Männern wurde es beklommen zumute. So ganz allmählich drang es durch ihr benebeltes Bewußtsein, daß der Kerl vor ihnen kein Soldat wie alle anderen war. So, wie er dastand, groß und stolz, unnahbar und eine eisige Kälte verströmend. Schräg hinter ihm stand ein Knappe und wartete. Wer war dieser Kerl?

Nun wandte der Fremde dem Sprecher sein Gesicht zu, während er mit einer Hand die kleine Sklavin zu seinem Knappen hinschob. "Und warum holt ihr euch dann nicht eine andere?"

Die kalte Stimme und die Augen, wie aus Eis, bewirkten, daß sich der Alkohol verflüchtigte und sie wurden den Mantel des Mannes gewahr. Ein langer schwarzer Mantel aus feinem, weichen Tuch, mit dem Kreuz der Pilger auf der Schulter, an seiner Seite: ein riesiges Breitschwert, dessen Gewicht ihn scheinbar nicht weiter störte.

Es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen! "Turok!" Der Angesprochene lächelte schmal. Der Anführer der Meute fiel vor ihm auf die Knie. "Vergebt uns, Herr! Wir wußten nicht, daß sie Euch gehört. Ihr werdet es uns doch nicht nachtragen, oder?"

In den unergründlichen Tiefen seiner Augen blitzte es kurz auf, dann verzog ein kühles Lächeln Kronos' Lippen. "Aber nicht doch. Wir kämpfen ja immerhin für die gleiche Sache, nicht wahr." Damit drehte er sich um und ging, gefolgt von seinem Knappen und seiner Sklavin, die immer noch kein Wasser geholt hatte.


* *
 

Marla stieß ihre Freundin Ishphan mit dem Ellenbogen an und deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der Turok stand und sich mit ein paar betrunkenen Soldaten auseinandersetzte. Neugierig scharten sich ein paar weitere Küchenhelfer um sie, um auch einen Blick zu erhaschen. Gewiß würde es gleich ein furchtbares Geschrei geben, wenn Turok die Bande nicht gar tötete. - Er war sehr eigen mit dem, was er für sich beanspruchte und Alana zählte er zu seinem Besitz. Sie hatten nicht mitbekommen, was passiert war, aber wenn D'Aguiles Berater selbst sich dazu herabließ und sich um diese Angelegenheit kümmerte, so mußte es schon was zu bedeuten haben.

Wie erstaunt - gemischt mit Enttäuschung, weil sie sich Kurzweil versprochen hatten - waren sie, als Turok sich lächelnd abwandte und, gefolgt von seinem Knappen und Alana, ging!


Der einsame Reiter stand lässig an sein Pferd gelehnt in der sengenden Mittagshitze und wartete, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, damit die Sonne sein Gesicht nicht verbrannte. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unbarmherzig herunter, der heiße Wüstenwind trieb Wolken aus Sand vor sich her, beinahe spielerisch, jedoch absolut tödlich, wenn man nicht auf der Hut war. Mit der Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn und verfluchte den Mann, den er hier treffen wollte, in Gedanken. Warum kam er so spät, zur Hölle??? Beruhigend klopfte er seinem riesigen Hengst den schlanken Hals, als er unruhig zu werden begann. Tatsächlich schaffte er es und das Tier stand wieder still.

Da endlich erhob sich hinter einer Düne Staub und kurze Zeit danach erschien ein Reiter auf der Kuppe, blickte kurz prüfend ins Tal und kam dann im rasenden Galopp angesprengt. Vor dem Wartenden zügelte er sein Pferd, bis es schließlich stand.

"Du kommst spät!" knurrte der Mann, der so lange gewartet hatte, verstimmt. Der andere grinste frech. "Mag sein, aber dafür habe ich, was Ihr wolltet." Kronos zog aus seinem Mantel einen kleinen Beutel mit Geldmünzen und warf ihn dem Mann auf dem Pferd achtlos zu, der ihn geschickt auffing und gierig in den Händen wog. Dann glänzten seine Augen tückisch. "Ihr habt mir übel mitgespielt, Herr. Wie wäre es mit einem kleinen Bonus?" Kronos' Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, doch ohne ein Wort der Erwiderung zog er seine private Geldbörse hervor und warf dem Unverschämten noch ein paar weitere Münzen zu. "Übertreib es nicht!" warnte er den Mann. Der sammelte hastig die Münzen ein und zog dann unter seinem Hemd einen kleinen Lederbeutel hervor, der an einem Lederband befestigt war. Den warf er dem Mann im teuren Mantel, mit dem Kreuz der Pilger auf der Schulter, zu, der ihn öffnete und dessen Inhalt auf seine Hand rollen ließ: kleine, goldene Münzen. Auf der einen Seite war eine Schrift eingraviert, die schon sehr alt sein mußte, und auf der anderen war das Abbild des Königs zu sehen: ein Mann im mittleren Alter, gekrönt mit einem Kranz aus Blättern.

Kronos lächelte zufrieden. Das würde ein Kinderspiel werden! Die Rebellen waren schon so gut wie ausgelöscht!

Als er sich der beobachtenden Blicke des anderen bewußt wurde, steckte er den Lederbeutel weg und zog sein Schwert. Erschrocken fuhr der Städter zurück. "Aber, Herr, Ihr hattet mir absolute Sicherheit versprochen!" Kronos lächelte harmlos. "So? Ja, dann habe ich wohl gelogen, was?" Kraftvoll fuhr sein Arm durch die Luft, die von dem leisen, pfeifenden Geräusch zerschnitten wurde, das die Klinge beim Zerteilen der Luft verursachte, - und mit vor Verwunderung aufgerissenen Augen kippte der tote Mann Gesicht voran in den Sand, der sich unter ihm blutrot färbte.

Angeekelt wischte der schlanke Kreuzritter sein Schwert am Hemd des Städters ab, nahm ihm das Geld, das er ihm gegeben hatte, wieder ab und saß auf. Ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen, ritt er im scharfen Tempo ins Lager der Kreuzfahrer zurück, wo ihn neue Aufgaben erwarteten.


* *
 

"Was bedeuten diese Zeichen?" Kronos packte den Alten am Kragen, dem schon vor Angst der kalte Schweiß auf der Stirn stand. Er hielt ihm die kleinen Münzen hin, auf die der alte Mann einen scheelen Blick warf und dann den Kopf schüttelte. Wütend drehte Kronos den Kragen des Alten enger und dem quollen fast die Augen aus dem Kopf, als ihm so jäh die Luft ausging.

"Herr, ich weiß es nicht!" japste er in höchster Not. "Bei den Göttern, ich schwöre es! Seht es ist..." Hier mußte er husten und der Berater D'Aguiles sah sich gezwungen, den Kerl loszulassen, damit er wieder zu Atem kam. Der hustete und keuchte noch etwas, bevor er den Krieger und seine Kumpane hinterlistig musterte. "Turok, diese Schrift wird niemand lesen können im einfachen Volk!" quetschte er dann hervor. "Ach?" Kronos' linke Augenbraue zuckte nach oben. "Und warum nicht?" "Herr, diese Schrift ist schon lange tot. Sie wird nur noch denen gelehrt, die im Palast leben. Wenn Ihr jemanden wollt, der sie übersetzt, so sucht einen der Palastgetreuen!"

Außer sich vor Wut stieß Kronos den Mann von sich, der rückwärts über einige Körbe stolperte und dann unsanft zu Boden fiel. Und der dachte gar nicht daran, sich zu wehren.

Vor ihm standen Turok, in einen neuen langen Mantel gehüllt, das Kreuz der Pilger auf der Schulter, das todbringende Schwert an seiner Seite, und die Führer, die ihm folgten. Kronos wollte herausfinden, was die Zeichen auf den Münzen bedeuteten und ob sie ihnen vielleicht einen Hinweis auf das neue Versteck der Rebellen geben könnten, und so hatte er sich mit seinen Getreuen auf den Weg gemacht, in die Stadt, und er hatte sich den ersten Kerl geschnappt, der für Geld seine eigene Mutter verkaufen würde und quetschte ihn gerade aus. - Leider ohne Erfolg!

Und so zog es sich hin. Es gab niemanden unter den Städtern, der in der Lage gewesen wäre, diese Zeichen zu deuten. Der Krieger war sich sicher, daß sie die Wahrheit gesagt hatten. - Eine Schwertklinge am Hals konnte die Wahrheit manchmal doch sehr reizvoll erscheinen lassen. Sie klapperten die gesamte Stadt ab, doch immer bekamen sie die gleiche Antwort: "Diese Schrift könnten nur noch Palastgetreue entziffern."

Kronos war außer sich vor Zorn, eine kleine steile Falte stand zwischen seinen Augen, die wie Kohle glühten. In diesen Momenten war er drauf und dran, die gesamte Stadt in Schutt und Asche zu legen, so, wie D'Aguile es vor Tagen gefordert hatte.

Sie überließen nichts dem Zufall und befragten aber auch wirklich jeden in der Stadt, egal ob hier seßhaft oder nur zugezogen. Es kostete den Krieger Mühe, sich zu beherrschen und nicht vor lauter Wut diese dummen Menschen umzubringen, die es wagten, ihnen zu trotzen. Und selbst wenn sie die Schrift wirklich nicht lesen konnten, - es war ihm so was von egal! Er brauchte einen, an dem er seine Wut auslassen konnte! Und das schnell!!!

Unverrichteter Dinge schwangen sie sich bei einbrechender Dämmerung auf die Pferde und galoppierten in halsbrecherischem Tempo in das Lager der Kreuzfahrer zurück.

Alana erwartete ihn mit seinem Nachtmahl und düster schweigend aß er. Robert kam zu ihm und setzte sich ihm gegenüber. "Ist es nicht verwunderlich, daß niemand uns helfen will? Wie wollt Ihr sie zum Sprechen bringen, Turok?" Der wischte sich die Hände an seiner Hose ab und nahm einen Schluck Wein, bevor er antwortete: "Indem wir sie an ihrer empfindlichsten Stelle treffen!" Robert lächelte seinen Führer verschwörerisch an. "Sagt mir, Turok, habt Ihr schon einen Plan?" "Das ist D'Aguiles Aufgabe", entgegnete der andere kalt. "Ja, er ist ein wirklich guter Führer", spottete der Engländer. "Immerhin hat er es ja auch geschafft, daß die Rebellen langsam kopflos werden und sich wie Waschweiber benehmen! - Wenn Ihr mich fragt, so waren die fünf Toten noch viel zu wenig!" Ein Scheppern ließ die Köpfe der beiden Männer herumfahren. Alana verneigte sich demütig. "Verzeiht mir, Herr, ich war ungeschickt." Sie hatten die stille Anwesenheit der kleinen Sklavin ja ganz vergessen! Kronos winkte ab. "Gib uns Wein und dann laß uns alleine!" Flink kam sie seinem Befehl nach, doch als sie das Zelt verlassen wollte, hielt er sie noch mal zurück: "Ruf mir die Führer zusammen! Sie sollen sich bei mir einfinden und sich beeilen!!!" Hastig machte das Mädchen sich auf den Weg.

Nur wenige Augenblicke später trat der erste der geforderten Männer ins Kronos' Zelt und setzte sich abwartend hin. Nachdem sie alle komplett waren, lehnte der dunkle Mann sich zurück und ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Erwartungsvoll hingen die Augen der anderen an seinen Lippen, begierig, ein weises Wort von ihm zu vernehmen, ihre Befehle zu erhalten, die sie ihrem Ziel näher bringen würden.

"Ich will, daß ihr Kleider besorgt. Einfache Kleidung, wie sie die Landbevölkerung trägt, für.... acht... Nein!, neun ausgewachsene Männer. Dazu einen Esel und einen Ochsen, eine Kiepe, etwas Heu und Stroh. Und das so schnell wie möglich." "Was habt Ihr vor?" wunderte Patrick sich gründlich. Kronos lachte leise. "Wir wollen doch mal sehen, ob wir es schaffen, die Nervosität, die unter den Rebellen herrscht, auf die Bevölkerung auszuweiten, und ihren Haß auf den König und seine Getreuen nutzen, um dieses leidige Problem endlich loszuwerden."

Atemlos preßte die lauschende Gestalt an einer der äußeren Zeltbahnen die Hand auf den Mund, um nur ja keinen Laut des Entsetzens hören zu lassen. Die dunklen Augen waren weit aufgerissen, als sie weiter lauschte...

"ALANA!!!"

Ein kaum wahrnehmbares Rascheln und die dunklen Augen des Lauschers kreuzten sich mit strahlend blauen, die ihn kühl musterten. Alana setzte ihre hochmütigste Miene auf, auch wenn sie sich nicht so sicher fühlte wie sie tat, bis der andere sich hastig umdrehte und davonhetzte. Ein verächtliches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, dann betrat sie das Zelt, aus dem Kronos sie gerufen hatte.

"Ihr habt nach mir gerufen, Herr?" "Hol Wein!" Kronos' dunkle Augen ruhten bedeutungsvoll auf ihr, doch sie schien es nicht zu bemerken, denn mit einem leichten Nicken drehte sie sich wieder um und verschwand. Wenige Momente später brachte sie die gewünschten Krüge und schenkte ein. Kronos kostete vorsichtig und zog sie dann mit einem zufriedenen Lächeln auf seine Knie.

Sie hatte ihn doch verstanden! Kronos war Krieger mit Leib und Seele und die Verbundenheit mit seinen Gefolgsleute war ihm sehr wichtig, doch deshalb teilte er noch lange nicht den kostbaren Wein, den Alana ihm stets besorgte, mit ihnen! Das schlechte Zeug, das allgemein im Lager gereicht wurde, war gut genug für sie.

"Wollt Ihr uns Eure Pläne nicht mitteilen, Turok?" Patrick hatte es immer noch nicht aufgegeben, auch wenn seine Blicke von der bloßen Haut der Sklavin Turoks angezogen wurden, die der Berater gedankenverloren streichelte.

Nun hob der den Blick und grinste. "Den werde ich euch mitteilen, wenn ihr mir bringt, was ich verlangt habe! Versteht mich nicht falsch, alles muß unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit geschehen und ich wünsche keinen Fehlschlag. Dieser Plan ist todsicher!" William grinste. "Wie wahr!" stichelte er freundlich, worauf Kronos den Kopf in den Nacken legte und herzhaft lachte.

"Also, ihr besorgt die Dinge und wir treffen uns morgen wieder. Hier um die gleiche Stunde. - Und dann werden wir alles weitere besprechen." Damit waren die Führer entlassen und gingen, genauso neugierig wie zuvor und genauso schlau.

"Ihr habt einen Plan, Herr?" Alana stellte die Krüge fort, die sie nachher wieder wegbringen würde, wenn ihr Herr geruht hatte, sie zu leeren. "Ja." "Es geht um die Rebellen, nicht wahr?" Verwundert sah er auf. Alana wandte ihm den Rücken zu, sie räumte seinen Mantel weg und brachte dann das Kettenhemd an seinem Platz an. Seine dunklen Blicke bohrten sich in ihren Rücken, bis sie sich endlich umdrehte und ihn unruhig ansah. "Herr?" wisperte sie fragend.

"Seit wann interessierst du dich so für die Rebellen? Hast du nicht selber gesagt, du würdest die hassen?" "Nein, Herr. Ich habe gesagt, daß ich glaube, daß das Volk sie haßt." Er lehnte sich zurück, die Arme hinterm Kopf verschränkt. Seine linke Augenbraue zuckte belustigt. "Also stehst du hinter ihnen?" "Nein...Ja.... Das hab ich nicht gesagt.... Ich meine,..." Hilflos stotternd brach sie ab, als er sie so in die Ecke drängte.

Einladend klopfte er auf sein Knie und das Mädchen kam zu ihm hinüber und setzte sich artig darauf. Sanft legte er beide Arme um sie und drückte sie leicht an sich. Sie war ihm treu ergeben, das wußte er. Und nie würde sie es wagen, ihn zu hintergehen, da war er sich ebenso sicher. Er wollte sie nur ein wenig aufziehen mit seinem Gerede, bis ihm etwas einfiel. "Sag mir, Alana, kommt Erisan nicht auch von hier?" "Ja. Warum?"

Erschrocken schlug sie sich mit der Hand auf den Mund. Wie konnte sie es nur wagen, ihn unaufgefordert mit Fragen zu belästigen?

Doch er lachte nur leise. Dann schob er sie sanft von sich, seinem Lager zu. "Sei lieb und zieh dich schon mal aus. Ich komme gleich zu dir." "Herr, Erisan ist nicht im Lager!" Ihre halblaut gerufenen Worte hielten ihn im Eingang auf und wieder einmal verwundert drehte er sich zu ihr um.

"Woher weißt du das?"

Sie wand sich. "Ich... Ich habe ihn gesehen. Er verließ das Lager." "Und wohin ist er gegangen?" "Ich...weiß nicht." "Lüg nicht!" Hilflos rang sie die Hände, verzweifelt, daß er ihr nicht glaubte. "Herr, ich weiß es wirklich nicht!" beteuerte sie aus tiefstem Herzen. Tränen schimmerten in ihren blauen Augen, als sie ihn kummervoll ansah.

Sofort tat es ihm leid, sie so angefahren zu haben, und er wünschte sich, er wüßte etwas, womit er sie wieder zum Strahlen bringen könnte. Ein paar Tage Ausspannen bei Methos, das wäre genau das richtige!

Er streckte die Hand nach ihrer Wange aus und streichelte sie sacht. "Ich habe noch einiges zu tun, aber was hältst du davon, wenn du mich danach für ein paar Tage begleitest? Ich möchte einen alten Freund besuchen." "Ihr habt Freunde hier in der Gegend?" Die Tränen versiegten und erstaunt sah sie ihn an. "Wundert dich das?" Er lachte auf angesichts ihres Erstaunens, daß er Freunde hatte. Dann öffnete er geschickt die Spangen auf ihren Schultern und gab ihrer Schulter einen Stoß, so daß sie rückwärts auf sein Lager fiel. Er beugte sich über sie und strich den dünnen Stoff weg.

Doch das war nicht das was sie wollte und so setzte sie sich wieder auf. "Herr, warum sagt Ihr mir nicht, was Ihr von Erisan möchtet? Ich bin auch von hier. Vielleicht kann ich Euch helfen?" Nachdenklich sah er sie an. Sie hatte recht! Sie war ebenso von hier wie jeder andere, den er befragt hatte, auch. Warum sollte er sie von der Befragung ausnehmen?

Seufzend erhob er sich und holte den kleinen Lederbeutel hervor, in dem er die Münzen aufbewahrte, die ihm so viel Verdruß bereiteten. Schwer ließ er sich neben ihr auf das Lager fallen und holte ein paar Münzen heraus. Alana holte tief Luft. "Diese Münzen sind verboten, Herr!" stieß sie heiser hervor. "Ich weiß. Ich will wissen, was die Zeichen bedeuten. - Kannst du sie lesen?" Sie hielt einige Münzen in der offenen Hand und starrte sie lange an. "Den Göttern zum Gefallen und dem König zu Ehren." murmelte sie dann tonlos.

Sie reichte die goldenen Stücke wieder an Kronos zurück, der sie einsteckte und dann den Beutel beiseite legte. Lange betrachtete er sie, den Kopf leicht schräg gelegt, bis sie unruhig anfing, hin und her zu rutschen. Endlich ließ der Unsterbliche sich dazu herab, mit ihr zu sprechen: "Sag mir doch bitte, mein Kind, woher du dein Wissen nimmst! Wenn ich es recht in Erinnerung habe, dann können nur die diese Schrift lesen, die im Palast gelebt haben.... Also?" Alana wurde blaß um die Nase, als ihr Herr sie so offensichtlich zurechtwies und sie schien für einen Augenblick in sich zusammensinken zu wollen. Kronos beugte sich vor. "Hast du im Palast gewohnt?" Die Augen weit aufgerissen, schüttelte sie fast panisch den Kopf, daß die langen Haare nur so flogen. "Nein!" stieß sie hervor. "Ich habe den Palast nie betreten! Meine... Meine Eltern beherrschten sie und ich..." Mit einem feinen Lächeln winkte Kronos ab. "Laß gut sein." meinte er nur dazu, gleichzeitig zog er das Mädchen an sich und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Leicht gruben sich seine Zähne in ihre dünne Haut und sie seufzte leise auf. Er grinste.....


* *
 

"Die Kreuzfahrer planen etwas! Ich glaube, Turok holt zu seinem finalen Schlag gegen uns aus. Wenn ich nur wüßte, was er vorhat!" Die Gestalt, die in dunkle Schleier gehüllt war, schritt unruhig auf und ab, verfolgt von den nachdenklichen Blicken des alten Mannes, dem sie Bericht erstattete. "Was macht dich so sicher?" fragte er leise. Die Gestalt hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. "Ich kann es nicht genau sagen. Ich habe gehört, wie sie sich über weitere Pläne unterhalten haben, aber er ließ sich nichts weiter entlocken. - Das macht mir angst! Turok ist ein starker Gegner. Stärker als jeder, dem wir vor ihm gegenüber standen. Alle seine Pläne sind mit Erfolg gekrönt und wir sollten uns vielleicht erst mal zurückhalten. Was meint Ihr?" Schweigen breitete sich zwischen den beiden aus, in dem jeder von ihnen über ihre Lage nachdachte und auf einen Weg aus dieser Sackgasse sann.

"Können wir ihn besiegen?" "Man sagt von ihm, er wäre der Leibhaftige." Verärgert wischte die faltige Hand durch die Luft, als wollte sie die Worte des dunkel Gewandeten fortwischen. "Ich weiß selber, was man über ihn sagt!" versetzte er scharf. "Können wir ihn besiegen, frage ich!?" "Niemand ist unbesiegbar!" tönte es dumpf aus den Schleiern hervor. "Aber ich brauche Zeit. - Und Hilfe. Alleine werden wir es nicht schaffen." "Assassinen?" Ein rauhes Lachen war die Antwort. "Nein, gewiß nicht! Wir brauchen keine Meuchelmörder und Attentäter. Aber mehr Leute im Lager könnten nicht schaden. Zur Ablenkung. Haben wir nicht noch..." Man konnte der Gestalt das breite Grinsen förmlich anhören, als sie dem Alten ihren Plan unterbreitete und ihre Forderungen stellte. Der Mann nickte geduldig und sie trennten sich mit der festen Zusage weiterer Unterstützung.


* *
 

Schweigend betrachtete Kronos die Kleidung, die man ihm gebracht hatte. Man hatte sie von irgendwo her organisiert, und sie waren schlicht perfekt für sein weiteres Vorgehen. Nicht neu, sondern teilweise schon ziemlich verschlissen, geflickt und nicht gerade am saubersten. "Alana!" Ein leichter Lufthauch und ein leises Klingen der goldenen Manschetten zeugten von ihrer Anwesenheit, als sie auf seinen Ruf hin eintrat. Grüßend neigte sie das Haupt vor den Führern, die sie entzückt beobachteten, und verneigte sich dann demütig vor Kronos. "Herr?" "Ich wünsche, daß du das Lager nicht mehr verläßt. - Nicht ohne meine Begleitung oder meinen ausdrücklichen Auftrag! Hast du mich verstanden?" "Wie Ihr wünscht, Herr." "Und jetzt habe ich noch einen Auftrag für dich. Geh und such Markus. Ich will, daß ihr uns neun Satteldecken besorgt. - Er soll dir tragen helfen. Und achte darauf, daß sie unversehrt sind!" "Ja, Herr." Sie verneigte sich noch einmal und eilte davon, um seine Wünsche sofort zu erfüllen.

"Ein hübsches Kind, Turok", bemerkte William Monnay. "Ihr habt ein unglaubliches Glück gehabt. Hätte ich sie vor Euch gesehen, könntet Ihr Euch nicht so angenehmer Gesellschaft erfreuen." Kronos grinste breit. "Dann kann ich mich ja richtig glücklich schätzen", erwiderte er ironisch. Natürlich wußte er um den Neid, den der Besitz Alanas bei den anderen Heerführern auslöste, aber ebenso war er auch davon unterrichtet, daß sich viele von eben diesen Soldaten den Küchenmädchen zugewandt hatten, die größtenteils auch recht hübsch waren und die willig auf die Lager der Männer kamen.

"So verratet uns doch Eure Pläne!" forderte Patrick den Berater D'Aguiles nun auf. "Wozu braucht Ihr diese ganzen Sachen?" Lässig streckte der Mann seine langen Beine unter dem Tisch aus und rekelte sich zufrieden. "Wie ich euch gestern ja schon mitteilte, will ich den Haß, den die Bevölkerung gegen den König hegt, weiter schüren und ihn dazu benutzen, daß die Rebellen ihren Rückhalt verlieren." "Und wie soll das gehen, Turok? Wollt Ihr jeden einzelnen mit dem Schwert bekehren?" Kronos lachte laut auf. "Ja, das wäre doch keine schlechte Idee! - Zumindest würde das unter Garantie funktionieren!" Er angelte nach seinem Becher und setzte ihn an die Lippen. "Nein,.." sagte er dabei. "... mir schwebt da was ganz anderes vor." Gedankenverloren fuhr sein Finger auf dem Becherrand umher, bis er endlich fortfuhr: "Wie würde wohl die Stadtbevölkerung reagieren, wenn die Rebellen anfingen, die Leute, für die sie angeblich kämpften, umzubringen?"

Über Patricks Gesicht zog ein breites, verstehendes Grinsen. "Ihr meint, es könnte durchaus sein, daß die Rebellen sich gegen ihre eigenen Leute stellen? Sei es aus Mißtrauen oder aus Gier?" Mit einem breiten Grinsen nickte Kronos nur. "Ein guter Gedanke. Aber was haben diese Sachen damit zu tun?" Robert Clavier zollte Kronos' Idee Respekt, wenn er auch noch die ein oder andere Frage zu ihrem Plan hatte.

Jetzt verwandelte sich das Grinsen auf Kronos' Zügen in ein katzenhaftes Lächeln und seine Augen blinkten beinahe fröhlich, als er antwortete: "Ich habe da schon ein paar Leute im Auge, die uns dienlich sein können. - Kein Verlust für uns oder die Welt. Sie werden bedauernswerte Opfer der verblendeten Fanatiker sein, und es ist an uns, dieses Spektakel zu inszenieren."

"Wie?"

Kronos schnurrte wie ein Tiger. "Laßt es euch erklären, Freunde...."


* *
 

Die Männer wußten gar nicht, wie ihnen geschah, als sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und aus ihren Zelten geschleift wurden. Sie hatten mal wieder zuviel getrunken und waren so kaum in der Lage, sich gegen diese rüde Behandlung zu wehren. Man schaffte sie in die Wüste, wo sie niemand hören würde.

Grob stieß man sie zu Boden, wo sie keuchend sitzen blieben. Nur langsam verflüchtigte sich der Rausch des Weines und sie konnten wieder klar denken. - Und ihre unangenehme Situation erkennen! Rund um sie herum standen Männer, die in lange, dunkle Mäntel gehüllt waren, aber es handelte sich offensichtlich um Soldaten. - Unschwer an den militärischen Stiefeln zu erkennen, die sie trugen. "He Freunde, was soll das?" Der Rädelsführer der am Boden hockenden machte Anstalten sich zu erheben, als ihm jemand in den Weg trat und es verhinderte. "Wir sind doch welche von euch!" rief er nun aus, immer mehr verärgert über diese ungeheuerliche Behandlung. "Stimmt genau. Wir kämpfen ja immerhin für die gleiche Sache, nicht wahr." Ein großer Mann trat vor sie hin und mit einer eleganten Bewegung, die zu einem Adeligen gepaßt hätte, streifte er sich seine Kapuze vom Kopf.

"Turok!!!"

Kronos lächelte geschmeichelt. "In voller Größe, Freund", spottete er kühl. "Ihr habt uns gesagt, Ihr würdet uns nichts nachtragen! Herr, hätten wir gewußt, daß sie Eure Sklavin ist, so..." Mit einer knappen Handbewegung unterbrach der Mann im Mantel den Redefluß des Soldaten. "Es geht hier nicht um meine Sklavin oder das verbotene Anfassen meines Eigentums. Vielmehr geht es darum, daß wir eure Hilfe benötigen bei der Ausrottung der Rebellen. Wollt ihr uns helfen?" Sichtlich erleichtert blickte der Soldat ihn an und auf seinen Zügen spiegelte sich Ergebung wider. Ergebung für diesen Heerführer, der als erster seine unangefochtenen Qualitäten im Kampf erkannt hatte! Ob man ihn beförderte, wenn er erfolgreich wäre?

"Jederzeit, Herr!" stieß er hervor. "Verfügt über uns und unsere Leben!" Kalt grinste der dunkle Krieger. Der Kerl vor ihm wußte gar nicht, wie recht er mit dieser Aufforderung hatte! "Gut." Auf einen Wink von ihm wurden die Sachen gebracht und vor die Auserwählten hingelegt. Fragend starrten sie darauf. Sie konnten sich keinen Reim darauf machen, was sie nun damit anfangen sollten.

Bevor Kronos ihnen erklären konnte, wurden sie von drei weiteren Soldaten unterbrochen, die Erisan brachten und ihn mit einem groben Stoß in den Staub warfen. Von unten her starrten die dunklen Augen den furchteinflößenden Berater an, zornig und rebellisch, voll mühsam unterdrückter Wut auf den Krieger, der ehrfurchtgebietend vor ihm stand und ihn mit kühler Belustigung musterte.

"Wie schön, dann haben wir ja alle beisammen, die uns helfen werden." Er tat ein paar Schritte, bevor er sich mit einer großartigen Bewegung wieder umdrehte und die Männer am Boden mit festem Blick ansah. "Ihr habt die wichtige Aufgabe, euch in die Stadt zu begeben. Mit eurer Hilfe werden wir endlich Herr der Lage werden!" Er deutete flüchtig auf die Kleidung. "Zieht das an!" befahl er kalt. Hastig wurde seinem Wunsch entsprochen und als sie fertig waren, begutachtete Kronos sein Werk. So ganz zufrieden war er noch nicht. Nach ein paar Handgriffen, etwas Schmutz und dem Reiben der Sachen am Vieh, damit es den Geruch annahm, gab er sich endlich zufrieden. Danach schwangen sie sich auf die Pferde und ritten im scharfen Galopp in die Stadt, wo sie ihr Vorhaben vollenden würden.....


* *
 

"Turok!!!" Fragend hob der Gerufene seinen Blick, als die näselnde Stimme nach ihm verlangte. Sie klang aufgebracht und sehr erregt, und schnelle Schritte nährten sich seinem Zelt. "Turok! Zieht Euch an und folgt mir!" D'Aguiles Stimme überschlug sich fast, als er atemlos im Eingang stand und seinen Berater, der beim Morgenmahl saß, mit wässrigen Augen anstarrte. Ohne eine Miene zu verziehen stand Kronos auf und nahm schweigend seinen Mantel, den Alana ihm umlegte. Dann griff er im Vorbeigehen sein Schwert und folgte seinem Kriegsherrn. Der stand draußen und wartete bereits mit den Pferden ungeduldig auf ihn. Markus reichte seinem Herrn die Zügel, Kronos saß auf und dann ließen sie eilig das Lager der Pilger hinter sich.

"Wollt Ihr mir nicht sagen, was Euch so aufbringt, edler Herr?" fragte der Krieger unterwegs fast unterwürfig. "Meine Spione berichteten mir von unglaublichen Geschehnissen in der Stadt! Die Rebellen scheinen sich jetzt sogar an der eigenen Bevölkerung zu vergreifen! Ich will mir selber ein Bild der Lage machen und Eure Aufgabe ist es, sie endgültig auszulöschen!" "Meine Aufgabe?" In Kronos' Stimme klang leiser Spott, der Leonard jedoch vollkommen entging, war er in Gedanken doch schon bei diesen merkwürdigen Geschehnissen, die in letzter Zeit häufiger in der Stadt auftraten. Litten die Rebellen denn schon unter Größenwahn?

Sie bogen um die letzte Ecke und konnten dann das ganze Ausmaß der Vorkommnisse sehen: mitten auf dem Platz lagen verstreut die Leichen von sechs Männern. Ein jeder trug die Kleider der Stadtbewohner oder der Menschen, die in der näheren Umgebung lebten, und sie alle waren vom Hals bis zum Bauch hinab aufgeschlitzt und auf ihren Leibern lagen kleine, goldene Münzen, die unschuldig im hellen Licht der langsam steigenden Sonne blinkten. Auf der einen Seite war eine Schrift geprägt, die schon sehr alt sein mußte, auf der anderen war das Abbild des Königs zu sehen: ein Mann im mittleren Alter, gekrönt mit einem Kranz aus Blättern.

'Den Göttern zum Gefallen und dem König zu Ehren!"

Kronos grinste ein wenig. Ja, ihm konnte das auch gefallen! Ob sich der König dieser lausigen Stadt diese Ehre auf die Fahne schreiben wollte? Er wagte es zu bezweifeln....

Die beiden hohen Herren stiegen ab und gingen langsam um die Leichen herum. Angeekelt stieß D'Aguile den einen oder anderen mit dem Fuß in die Seite, so daß der Tote auf den Rücken rollte und seine leeren, glanzlosen Augen in den Himmel starrten. Kronos ging mit ausdrucksloser Miene zwischen den Toten einher, bis er das scharfe Atemholen D'Aguiles vernahm. Er trat an seine Seite. "Was ist Euch, edler Herr?" Der Franzose war bleich geworden und mit einer matten Bewegung deutete er auf den Leichnam zu seinen Füßen. "Das ist Erisan!" stammelte er. Kalt streiften die Blicke seines Beraters den Angesprochenen, bis er wenig teilnehmend antwortete: "Er kam von hier. Wahrscheinlich war er einer der Spione, welche die Rebellen in unser Lager geschmuggelt haben." "Ja, aber..." D'Aguile verstand die Welt nicht mehr und Kronos log unverfroren weiter: "Offenbar ist den anderen die Ergebenheit für Euch aufgefallen und sie dachten, Erisan würde sie verraten. - Deshalb haben sie ihn getötet."

Langsam nickte der Adelige. Ja, das war eine logische Erklärung, die er verstand. Genauso mußte es gewesen sein! Trotz allem war er erschüttert. Er hatte Erisan liebgewonnen, auf eine ganz besondere Art und Weise, und nun war er tot! Mit schmerzerfüllter Miene wandte er sich ab.

"Kümmert Euch um die Sache, Turok, und klärt sie auf. Ich werde mich zurückziehen und.... unser Weiterziehen planen." Zustimmend neigte der Gemeinte den Kopf und Leonard entfernte sich hastig.

Kronos hob den Kopf und begegnete den kalten Blicken seiner Kumpane, die alle hier versammelt waren. So, als würden sie sich nicht kennen, wies er sie mit befehlsgewohnter Stimme an: "Schafft sie weg und reinigt die Straße! Der Gestank ist ja nicht zum Aushalten!" Im Rücken konnte er das erste Murren hören und als die Soldaten nun zur Seite traten, um die Toten fortzuschaffen, wurde es lauter und lauter. Die Menschen erkannten die Münzen, welche die Rebellen stets benutzten, um ihre Taten zu kennzeichnen, und ihr Unmut über die Rebellen machte sich breit. Von hinten aus dem Pulk konnte Kronos Patricks Stimme vernehmen, der, in die bäurische Kleidung gehüllt, mitten unter den Leuten stand und nun laut rief: "Mord! Seht doch nur: die Münzen! Sie haben den Verstand verloren!!!" Seine Stimme überschlug sich fast und Kronos zollte ihm in Gedanken Tribut für diese gelungene Vorstellung.

Das Murren wurde lauter und von der anderen Seite des Mobs erklang nun die Stimme eines anderen Gefolgsmannes von Kronos: "Wer soll nun uns und unsere Familien schützen, wenn die, die für uns kämpfen, sich plötzlich gegen uns stellen?" Offenbar wurde der Sprecher nun die Gegenwart der Soldaten gewahr, denn er brach hastig ab, zog seine Kapuze tief ins Gesicht, nahm seinen Ochsen und hastete weiter. Niemand hielt ihn auf. Die Städter schwiegen und nur zäh löste die Versammlung sich auf. Kronos sah Patrick, der mit seinem Esel und einer Kiepe auf dem Rücken mit den Menschen ging, um weiter Ärger unter ihnen zu schüren.

Alles verlief genau nach Plan!

Der Hufschlag eines Pferdes durchbrach die alltäglichen Geräusche, die bisher nur vom Murren der arbeitenden Soldaten unterbrochen wurden. Ein Reiter hielt auf Kronos zu, saß schwungvoll ab und beugte vor dem Krieger das Knie. "Ich habe eine Nachricht für Euch, Herr." Damit reichte er dem Mann einen Brief, den der annahm und das Siegel erbrach. Stirnrunzelnd las er die Nachricht, die man ihm schickte und grinste. Vielleicht gab es doch einen Gott? Einer seiner Spione, die überall verteilt waren, teilte ihm mit, daß die Templer langsamer vorankamen, als sie es ursprünglich geplant hatten. Sie wurden durch Angriffe aufständischer Muslime aufgehalten und hatten ein wenig Mühe, sich dagegen zu wehren. Angeblich hatten sie das Heer aufgeteilt und zogen nun auf zwei verschiedenen Wegen weiter, um ihren Auftrag zu erfüllen. Diese Verzögerung kam Kronos mehr als nur gelegen. Allerdings mußte er sich mit seinen Plänen sputen, sollten sie mit Erfolg gesegnet sein, bevor die Rivalen aus dem eigenen Land eintrafen.

Der Berater D'Aguiles überwachte noch die "Aufräumarbeiten", bevor er sich auf den Weg zurück ins Lager machte. Er saß lange Zeit bei Leonard, der noch immer untröstlich über den jähen Tod seines Liebhabers war, aber darauf konnte Kronos keine Rücksicht nehmen!

"Edler Herr, wenn wir weiterziehen, sollten wir vorher die Rebellen ausgeschaltet haben, damit unsere Truppen, die nach uns hier lagern, keine Probleme mit ihnen haben. Es wird Euren Ruhm bei Eurem König gewiß mehren, wenn er davon erfährt, wie klug und besonnen Ihr gehandelt habt." "Ich weiß, daß Ihr recht habt, Turok." murmelte der Franzose kaum hörbar. "Ich überlasse es Euch, alle weiteren Maßnahmen zur Vernichtung dieser Heiden zu veranlassen. Und ich will Erfolge sehen, habt Ihr das verstanden!?" Bei den letzten Worten war die Stimme des Adeligen lauter und schärfer geworden, so daß Kronos ein wenig verwundert aufsah, doch klugerweise schwieg er und neigte lediglich sein Haupt. In seinem Kopf lagerten schon wieder eine Menge Pläne, die mit Sicherheit alle von Erfolg gekrönt sein würden, hätte er freie Hand bei deren Ausführung.

Nachdem er Leonard verlassen hatte, suchte er nicht sein Zelt auf, sondern das von Robert, der bereits auf ihn wartete. Sie zogen sich um und machten sich erneut auf, um in der kleinen Wüstenstadt Zwietracht zu säen.


* *
 

Sie fanden die Städter in einem großen Haus versammelt und mischten sich unerkannt unter sie. Die Männer waren schon lauthals am debattieren, was geschehen war. Die einen glaubten nicht, daß die Toten das Werk der Rebellen war, kämpften sie doch für den König und für das Volk. Die andere - und weitaus stärker vertretene - Seite waren die, die gegen die Rebellen wetterten. Sie hatten Angst um ihre Familien, um ihr Hab und Gut. - Und sie waren stark!

Kronos hielt sich im Hintergrund und zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht, war sein Gesicht und vor allem die Narbe, die er trug, zu auffällig, als daß man sie öffentlich zeigen sollte. Gebannt lauschte er den Leuten....

"Ich glaube nicht, daß SIE es waren." "Ach? Und waren die Münzen nicht Beweis genug? Niemand sonst hat sie noch!" "Man kann sie schnell prägen lassen!" "Ja, gerade vor wenigen Tagen war Turok mit ein paar von ihnen bei mir und hat mich nach der Inschrift gefragt!" "Ja, bei mir war er auch!" "Ja, bei mir auch!" Es fanden sich noch einige, die Kronos ein paar Tage vorher befragt hatte.

Insgeheim fluchte der dunkle Krieger. Seine Taktik war wohl doch nicht so schlau gewesen, wie er gedacht hatte!

"Und? Konnte ihm jemand sagen, was die Inschrift bedeutet?" Ein paar Männer lachten rauh auf. "Sehen wir aus wie diejenigen, die im Palast lebten? Nur die lernen diese Sprache! Und wenn einer von uns im Palast lebte, so hat er guten Grund, um darüber zu schweigen!!!" "Unser König Sophyos war nicht der Schlechteste! Unter ihm hat das Land geblüht!" "Er hat uns unterjocht!" rief Kronos mit verstellter Stimme dazwischen. "Er war ein Tyrann! Habt ihr das vergessen???" Die Männer nickten und murmelten zustimmend vor sich hin.

"Und was haben wir jetzt? Die Pilger haben unser Land ausgedörrt und bald werden sie weiterziehen und lassen uns in unserem Elend zurück! Ich würde lieber mit vollem Bauch sterben, als elendig zu verhungern!" "Meine Frau hat soeben ihr Neugeborenes verloren und meine Nachbarin ihren zweijährigen Sohn! Wir können so nicht weiterleben!"

"Mord und Totschlag sind nicht von den Göttern gewollt! Sophyos und seine Berater hätten sich damals mit den Kreuzfahrern verbünden sollen, anstatt zu versuchen, sie aus dem Land zu vertreiben. - Dann wäre einiges anders geworden!" "Verräter! Willst du dich und deine Familie etwa an die Teufel verkaufen?" Ein Mann, der zwar das Jünglingsalter bereits hinter sich gelassen, das gesetzte aber noch nicht erreicht hatte und der Kronos schräg gegenüber auf einer Kiste saß, blickte von seinen gefalteten Händen auf und seine Stimme klang ganz ruhig, als er fragte: "Habt ihr Alana gesehen? Sie lebt seit drei Monaten im Lager und sie sieht bei weitem nicht mehr so verhungert aus wie vorher!" Ein kaltes Lachen war die Antwort. "Natürlich nicht! Sie teilt ihr Lager mit Turok, wußtest du das nicht? Wie kann man nur?" "Sie wird ihre Gründe haben." erwiderte ein anderer. "Ja! Sie haßt die Pilger aus tiefster Seele. Es muß etwas wirklich Wichtiges sein, das sie dort hält." Der, der vorher so dreckig gelacht hatte, lachte schon wieder. "Ja, und ich kann dir auch sagen, was es ist! Bei mir hätte sie das leichter bekommen!"

Kronos ballte die Faust unter seinem Mantel, als er mit anhören mußte, wie man über Alana sprach. So, sie haßte die Pilger aus tiefstem Herzen? Nun, davon ließ sie ihn nicht viel spüren. Aber zu hören, daß man über sie redete, als sei sie ein Stück Vieh, traf ihn tief. Er erinnerte sich an die verächtlichen Blicke auf dem Marktplatz, an das Mädchen aus der Schenke, an die Alte, die Alana angespuckt hatte....... Und er erinnerte sich an einen warmen Leib, der sich an seine Seite schmiegte, der angenehm schwer auf seinem Arm ruhte, der ihm Mantel und Schwert umlegte, an sanfte Augen und ein wundervolles Lächeln.... Wut stieg in ihm auf.

"Ach? Mit einem Mal?" spottete Ceal. "Was ist denn jetzt schon wieder?" "Dein Kronos ist ganz schön.... sprunghaft in seinen Ansichten. Und auch etwas sehr....hmmm... Er richtet über andere, obwohl er selber keinen Deut besser ist. Macht er das immer so?" "Immer", bestätigte Methos ruhig. "So was!" schimpfte Ceal auch schon weiter. "Da regt er sich auf, weil ein paar Typen über seine Wärmflasche lästern, dabei behandelt er sie auch nicht gerade vorbildlich." "Inwiefern?"

Jetzt war Methos wirklich überrascht. Er hatte immer den Eindruck gehegt, daß Kronos sehr gut zu Alana gewesen war und sie nicht wie eine gewöhnliche Sklavin behandelt hatte. Dann mußte er sich eingestehen, daß Ceal ja gar nicht wissen konnte, wie man damals mit Sklaven umgegangen war. - Es hätte sie bestimmt auch zutiefst schockiert!

"Na, guck doch mal: er bietet sie seinem Heerführer an, als Geschenk sozusagen! Ist es denn zu glauben??? Im Grunde genommen benutzt er sie doch nur." "Ach, Ceal!" Methos legte seinen Arm um ihre schmalen Schultern und zog sie zu sich herüber. "Die Zeiten waren damals einfach anders. Du kannst mir glauben, es gab bestimmt Tausende, die liebend gerne mit Alana getauscht hätten. Er hat sie nicht wie eine Sklavin behandelt, sondern wie einen Menschen." "Ist das nicht ein und dasselbe?" "Nein, leider nicht. Sag mal, hast du denn nie 'Roots' geguckt??? Oder 'Queeny'?" Ceal zog den für sie typischen Flunsch. "Ääähhh.... nöö... Sollte ich?" "Kind, das ist doch Allgemeinbildung!" stöhnte Methos theatralisch auf.

"He Pops, ich bin nun mal ungebildet. Wußtest du das etwa nicht?" "Nenn mich nicht so!" "Warum nicht?" In ihren Augen blitzte der Schalk, als sie ihn nun ganz unschuldig ansah. "Weil ich dann das Gefühl habe, du denkst, daß ich alt wäre!" "Methos, du bist alt!" klärte sie ihn ernst auf, dann brach ein Lachanfall aus ihr heraus, von dem sie sich kaum erholen konnte. Er stieß ein Wort zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, das sie nicht verstand, dann stimmte er in ihr Lachen mit ein.

"Also, was nun: isser oder isser nich?" fragte Ceal schließlich japsend. Methos fächelte sich Luft zu. "Er ist. - Er weiß es bloß noch nicht." Sie nickte, immer noch glucksend, und las weiter...

"Gewiß sind Demios und Mehbat sehr froh, daß sie fort ist." überlegte ein anderer nun. "Warum?" fragte Kronos neugierig. "Ein Maul mehr zu stopfen ist schon schwer. - Erst recht, wenn es nicht das eigen Fleisch und Blut ist!"

"Genug! Alana wird ihre Gründe haben, wenn sie bei Turok bleibt. Ihr habt ihr das Leben hier auch nicht gerade leichtgemacht." "Wäre sie uns entgegengekommen, wäre es das gewesen. Aber sie hält sich ja für was Besseres..." "Wir sollten darüber nachdenken, was wir gegen ein weiteres Übergreifen der Rebellen tun können!" warf Robert nun im schweren, nachlässigen Akzent der Landbevölkerung ein, den zu lernen ihn viel Mühe gekostet hatte.

"Aber was? Wir wissen ja noch nicht einmal, wer sie sind!" "Das läßt sich ja herausfinden." Kronos wandte sich ab und verschwand leise. Ihm war das zu dumm! Wenn die weiterhin so palaverten, würden sie eher an Altersschwäche sterben, als daß sie etwas gegen die Rebellen oder die Palastgetreuen oder wie immer sie sich auch nannten unternahmen! Dumme Sterbliche!, schimpfte er in Gedanken vor sich hin.

Aber im Großen und Ganzen war er recht zufrieden mit den Fortschritten, die seine Pläne machten. Er mußte jetzt nur noch dafür sorgen, daß die Menschen in der Stadt sich gegen die Rebellen und ihre Gefolgsleute stellten und ihm vielleicht den einen oder anderen auslieferten. Wie war das? Sie hatten noch nicht einmal mehr das Nötigste zum Leben? Gut, dann konnte ja ein kleiner finanzieller Anreiz der Wahrheit bestimmt auf die Sprünge helfen. Er lächelte vor sich hin, als er davoneilte....


* *
 

Robert betrat sein Zelt und schüttelte sich das lange Haar auf, das verschwitzt in seiner Stirn hing. Stumm schob Kronos ihm einen Becher Wein hin und sah zu, wie der andere ihn in einem Zug durstig leerte. Er hatte Zeit, er wartete...

Endlich setzte Robert den Becher ab und ließ sich auf den Stuhl seinem Führer gegenüber fallen. "Sie glauben noch nicht so recht daran, was geschehen ist." Kronos' linke Augenbraue zuckte. "So? Dann werden wir sie wohl davon überzeugen müssen, daß sie es glauben müssen." Er blickte auf die Zeltplane, während er besonnen weitersprach: "Sind die anderen noch in der Stadt?" "Ja, Turok!" Er nickte knapp. "Gut. Sorg dafür, daß es morgen wieder ein paar Tote gibt. Und übermorgen wieder und den Tag darauf auch, so lange, bis sie es begriffen haben! Und wenn es gar nichts anders geht, nimm auch ein paar Frauen. - Das funktioniert immer!" Er erhob sich geschmeidig. "Wollen wir doch mal sehen, wer von uns schlauer ist!?" Und während Kronos Robert verließ, streifte der sich den Umhang wieder über und begab sich noch einmal in die Stadt, um seine Anweisungen weiterzugeben.


Die Spannung, die unter den Verhüllten herrschte, war greifbar und erfüllte den Raum mit einer Mischung aus Angst und Verzweiflung, als sie sich das nächste Mal trafen. Wut, die sich breitmachte und wie lautlose Wellen über sie schwappte, um wieder zu verebben und danach wieder mit neuer Gewalt zurückzukehren.

Ihnen allen steckten die Ereignisse der vergangenen Tage in den Knochen, dazu kam die Ungewißheit, was mit ihren Leuten im Lager der Kreuzfahrer war. Die Leute dort hatten striktes Verbot, die Zeltstadt zu verlassen und so waren sie alle im Unklaren, was geschehen war.

"Turok steckt hinter all dem, ich weiß es!" stieß eine hünenhafte Gestalt dumpf hervor und brach so das unheilvolle Schweigen, das herrschte. "Ja, mag sein. Aber was sollen wir tun? Nach draußen gehen und den Leuten sagen: 'Wir waren es nicht, sie lügen euch an!'? In der Stimmung, in der sie momentan sind, werden sie uns eher meucheln, anstatt uns zuzuhören!" Allgemeines Kopfnicken bestätigte diese Vermutung.

Sie waren in arge Bedrängnis geraten und wußten es. Nun fehlte ihnen ein guter Plan, um dort wieder herauszufinden.

"Aber wir können es nicht auf uns sitzen lassen, daß man uns derart verunglimpft! Wir müssen einfach etwas tun!!!"

Salina, warum bist du nicht hier? Mit einem leisen Aufstöhnen ließ der alte Mann seine Stirn auf seine verschränkten Unterarme sinken und er atmete schwer. Was sollte er nur tun? Turok würde sie vernichten, es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie ausfindig machte. Er fühlte sich müde und alt; und zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, er könnte die Verantwortung, die er trug, in jüngere Hände abgeben, sich zurücklehnen, in dem festen Glauben, die anderen würden schon alles richten. - Aber er war alleine und mußte nun seine Getreuen in die wahrscheinlich letzte Schlacht führen, so, wie er es schon unzählige Male getan hatte, früher, als er noch jung gewesen war....

"Ja, wir müssen etwas tun!" murmelte er erstickt. Aber was? Auf seiner Stirn zeigten sich tiefe Falten, als er angestrengt nachdachte. Noch nie hatte er es mit einem Gegner wie Turok zu tun gehabt und er fühlte seine Ohnmacht dem dunklen, fremden Krieger gegenüber.

"Ich finde, wir sollten es ihnen heimzahlen! Wahrscheinlich werden sie wieder mal ihren Sieg über uns feiern! Das wäre die Gelegenheit, um zuzuschlagen und ihnen eine empfindliche Wunde zuzufügen!" "Und was hast du vor?" Kurzes Schweigen, dann war die Stimme wieder da: fest und klar, mit dem leichten, nachlässigen Akzent, der den Menschen hier so zu eigen war: "Wir warten, bis die Dunkelheit hereingebrochen ist und die Soldaten betrunken eingeschlafen sind. Dann schleichen wir uns in ihr Lager und töten sie!" Ein verächtliches Schnauben war die erste Reaktion auf diesen Vorschlag. "Einfach so? Wir gehen rein, töten ein paar Pilger und spazieren wieder raus? Mann, weißt du, was du da redest? Wir haben es hier mit Turok und seinen Männern zu tun!" Unter den Schleiern, die das Gesicht des ersten Sprechers verhüllten, verzog ein listiges Grinsen das Gesicht des Sprechers.

"Nun, dann müssen wir halt dafür sorgen, daß sie beschäftigt sind und Turok weit weg ist!"

Ein nachdenkliches Schweigen breitete sich aus, bis einer es brach: "Ich mache mit! Es ist immer noch besser, als langsam zu krepieren!" Eine weitere Hand hob sich. "Ich mache auch mit!" "Ich auch!" "Wann soll es losgehen?" Immer mehr Hände gingen in die Höhe und meldeten sich freiwillig für diese Mission, die entweder Erfolg oder Tod bringen würde. Je nachdem, wie klug sie es anstellen würden.

"Gut, laßt uns darüber sprechen, wie wir es anstellen werden...."


"Alana, meinen Mantel!" Eilig kam sie seinem Befehl nach und mit fliegenden Händen brachte sie den Mantel an Kronos' breiten Schultern an. "Ihr reitet fort?" Nachlässig trank er den Rest Wein aus, der noch in seinem Becher war, und stellte ihn dann mit Nachdruck ab. "Ja. Warte nicht auf mich, es wird spät werden." Wie in den letzten Tagen so oft!, dachte sie bitter, während sie geschickt ein paar Sachen zusammenpackte und das kleine Päckchen dann sorgfältig verschnürte. "Euer Mahl. Ihr solltet nicht ohne etwas reiten, Herr. Die Anstrengungen entkräften selbst einen Krieger wie Euch schnell." Mit einem leichten Lächeln nahm er ihr das Bündel ab und hielt es achtlos in der Hand. "Denkst du, ich kann nicht auf mich selber achtgeben?" fragte er sie mit liebevollem Spott in der Stimme. Sacht strich seine große Hand über ihre Wange, die sich jetzt schamrot färbte. "Nein, Herr... Niemals würde ich... Ich dachte nur... Ich wollte....." stammelte sie hilflos, dann brach sie ab und senkte schnell ihren Blick.

Kronos lachte. "Ich weiß, was du wolltest." Wenn es überhaupt noch möglich war, so wurde sie noch roter und schien im Erdboden versinken zu wollen. "Herr, seid Ihr ein Gott?" wisperte sie ängstlich. Verwundert sah er auf sie nieder. "Wie kommst du denn darauf?" Er setzte sich noch einmal auf den Stuhl und zog sie auf seine Knie. Seine Arme umschlangen fest ihre Mitte, doch sie blickte ihn immer noch nicht an.

"Ich... Ihr..." "Ganz ruhig! Hol einmal tief Luft und dann beginne noch mal von vorne!" wies er sie freundlich an. Sie tat, was er ihr sagte, und begann noch mal: "Es ist nur, weil Ihr immer wißt, was andere tun oder sagen. So könnt Ihr nur ein Gott sein!" Ihre weit aufgerissenen blauen Augen starrten ihn fragend an. Sie war sich gar nicht bewußt, daß diese Handlung einer Beleidigung gleichkam und ihr gar nicht anstand.

Er lachte leise. Ein Gott! Vor ach so vielen Jahren war er mal einer gewesen. Für die Menschen war er es gewesen. Er hatte über Leben und Tod entschieden, man hatte vor seinem Wort gezittert, allein seine Anwesenheit hatte gestandene Krieger zu winselnden Waschlappen gemacht. Wie schnell war man seinen Wünschen nachgekommen und wie viele Menschen hatten erfahren müssen, daß Gnade nur etwas für Schwächlinge war!?

Die Leute hier hielten ihn für einen Gott? Gut! Sie fürchteten ihn, das war in Ordnung. Aber wenn sie ihn für einen Gott hielten, so würde es seine Pläne wesentlich erleichtern. Man würde es kaum wagen, ihn anzurühren. - Und damit war auch Alana relativ sicher. Er wußte, daß ihre Aktionen sicher nicht gerne gesehen waren in der Stadt und daß es Racheakte geben würde. Er machte sich Gedanken um seine kleine Sklavin, die tagsüber immer alleine war, war er doch mit dem Planen und Ausführen seiner nächsten Schritte beschäftigt und kaum im Lager.

Ihm wurde bewußt, daß sie noch immer auf eine Antwort von ihm wartete und so lächelte er sie milde an. "Kind, wenn ich ein Gott wäre: was würdest du dir von mir wünschen?" Ihre Schultern sackten zusammen und sie dachte angestrengt nach. "Ich... weiß nicht, Herr. Eigentlich habe ich keine Wünsche." Sie log! Er konnte in ihrem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Seine Arme schlossen sich fester um sie. "Sag es mir ruhig." flüsterte er ihr heiser ins Ohr. Entschuldigend hob sie die schmalen Schultern. "Ich... würde gerne das Lager verlassen, um Baden zu gehen." Sie hob ihren Blick. "Das Waschen an der Schüssel geht zwar, aber ich kann mich mittlerweile selber nicht mehr riechen, Herr. Ein Bad wäre mein einziger Wunsch an Euch."

Kronos seufzte leise. "Verschwende deine Wünsche an mich nicht mit solchen Dummheiten, mein Kind!" tadelte er sanft. "Sieh, wenn ich bei dir eine Ausnahme mache, werden es mir andere gleichtun. - Und dann hätte das Verbot seinen Sinn verloren, verstehst du? Ich habe momentan nicht die Zeit, daß ich dich begleiten könnte. Also wirst auch du hierbleiben müssen." Er sah, wie sie schwer schluckte. "Ein paar Tage noch, Alana." Seine gedämpfte Stimme klang eindringlich und sie nickte stockend. "Ja, Herr. Ganz wie Ihr es wünscht", murmelte sie tonlos.

Genervt schob er sie von seinem Schoß und erhob sich. "Das Abendmahl werde ich mit Robert einnehmen, du brauchst also nicht damit zu warten." beschied er ihr kühl, dann verließ er sein Zelt und ging zu Clavier, der ihn bereits ungeduldig erwartete.

Mit brennenden Augen starrte sie ihm hinterher...


* *
 

"..., nicht einmal einen Schritt darf man mehr machen, ohne daß einer hinter dir steht und dich anschreit!" erboste Marla sich und ihre Augen funkelten dabei aufsässig.

Trotz Turoks Verbot hatte sie den Versuch gemacht, das Lager zu verlassen, um Wasser zu holen, war dabei allerdings heftigst mit einem Soldaten zusammengestoßen, der sie zurückgeschickt hatte. - Und darüber ließ sie sich jetzt im Kreise der Küchenmägde aus, die zustimmend nickten, hatten sie doch auf die ein oder andere Art und Weise dieselben Erfahrungen gemacht.

"Gibt es überhaupt Ausnahmen?" fragte eine und eine andere winkte schnaufend ab. "Bestimmt! Aber dann nur für Leute wie Alana oder so. Sie hat doch überall Vorrechte!" "Laß Alana in Ruhe!" fauchte Marla das Mädchen an, das sich streitlustig zur Verteidigung rüstete. "Wieso? Es stimmt doch! Ich garantiere dir, sie hat Erlaubnis, das Lager zu verlassen!"

"Da muß ich dich enttäuschen", ließ sich da Alanas ruhige Stimme vom Eingang her vernehmen und die Mädchen zuckten ertappt zusammen. Als Turoks Sklavin jetzt eintrat, blickten einige der Mädchen scheu zur Seite. "Ich darf ebensowenig das Lager verlassen wie jeder andere auch. - Noch nicht einmal ein Bad hat er mir erlaubt, als ich ihn darum bat!" fügte sie an Marla gewandt hinzu, die mitleidig den Arm ihrer Freundin nahm. "Hat er was darüber gesagt, wie lange das andauern soll?" Unwissend hob Alana die schmalen Schultern und ließ sie wieder sinken. "Nein."


"Herr, ich habe Euch doch nichts getan!" jammerte der halbe Knabe, der vor Turok auf dem Boden kniete und ängstlich auf das blutige Breitschwert starrte, das schon zwei anderen Kameraden den Tod gebracht hatte. "Du lebst", stellte der Furchteinflößende ruhig, ja beinahe zutraulich fest. Etwas wie Bedauern schwang in seiner Stimme, die dunkel durch die Gasse grollte, in der sie sich befanden. "Ist das nicht Grund genug?" Bevor der Knabe schreien konnte, hatte Kronos ihm mit einer schnellen Bewegung die Kehle durchtrennt und leblos kippte der junge Körper zur Seite. - Ausdruckslos beobachtet von Kronos und seinen Kumpanen. Patrick griff nachlässig in seine Tasche und warf ein paar Goldmünzen auf die Toten.

"Laßt sie liegen." Kronos drehte sich um und seine Augen suchten intensiv die Häuser ringsum ab, ob sie nicht doch jemand beobachtet hatte. Er hatte da so ein komisches Gefühl, aber er konnte niemanden ausmachen. Er säuberte seine Klinge am Hemd eines der Toten und steckte es dann weg. Leicht fiel der Mantel darüber, als er sich nun drehte. "Was liegt noch an?" "Da ist eine erneute Versammlung im Haus des ehemaligen Stadthalters. Sie reden mal wieder über die Palastgetreuen."

Kronos' Augen unter der Kapuze verengten sich. "Gut. Patrick, du wirst hingehen und sie davon unterrichten, daß es weitere Tote gegeben hat. Du bist nur mit Müh und Not demselben Schicksal entgangen, sag ihnen das. Überzeug sie davon, daß es weitere Tote geben wird, hält man sie nicht auf!"

"Ja, Turok!" Patrick warf sich seinen Mantel um und eilte durch die Nacht davon.

"Wird es funktionieren?" Roberts dunkle Augen suchten in der Nacht seinen Anführer, der kaum drei Schritte neben ihm ging, aber fast vollkommen mit dem Schwarz der Nacht verschmolz. Er bewegte sich lautlos, wie ein Schatten, und das nötigte Robert Respekt ab.

"Natürlich. Oder erwartest du etwa was anderes?" klang nun Kronos' gelangweilte Stimme neben ihm auf.

"Nein, Herr. Das tu ich nicht."


Patrick hatte einen Orden verdient für die Vorstellung, die er bot: keuchend und scheinbar am Ende seiner Kraft stolperte er mitten in die Versammlung hinein, von seiner Schulter tropfte Blut und Schweiß stand ihm auf der Stirn. Ermattet lehnte er sich an die Wand und rang scheinbar einer Ohnmacht nahe nach Atem. Matt winkte er ab, als ihn ein Mann anfuhr: "Was ist? So sag doch, Mann!"

Schwer ließ der Engländer seinen Oberkörper nach vorne fallen und stützte sich auf seine Oberschenkel, schwer nach Atem ringend und sehr überzeugend japsend. "Da...Da draußen...." Er machte eine matte Handbewegung zur Straße hin. "Die Palastgetreuen.... drei Jungen... tot.... Konnte mich.... gerade... noch..... retten...." Theatralisch sank er in die Knie, doch das fiel kaum einen mehr auf. Die Männer stürzten hinaus, um den Wahrheitsgehalt dieser Worte zu überprüfen. Nach einiger Zeit kamen sie alle düster schweigend wieder zurück und versammelten sich in stiller Wut.

"Einer von denen war mein Neffe!" brummte dann einer. "Ein halbes Kind noch, unfähig jemandem etwas Böses zu tun. Bei den Göttern, ich schwöre, ich werde diese Hunde zur Strecke bringen!!!" Schluchzend brach seine Stimme und dieses Schluchzen war das einzige, das die ungemütliche Stille durchbrach. Ein anderer Mann trat auf ihn zu und sprach leise auf ihn ein, ihm immer wieder beruhigend auf die Schulter klopfend. Patrick empfand einen Hauch von Mitleid mit dem armen Kerl, doch schnell verflüchtigte dieses Gefühl sich und in ihm war nurmehr Platz für all die Dinge, die Turok sie lehrte. Oh ja, Turok würde ihn gewiß loben für seinen Erfolg. Wenn es so weiterging, brauchten sie sich keinerlei Sorgen mehr zu machen.

"Was ist da draußen geschehen?" wandte sich nun einer der Städter an den vermeintlichen Überlebenden dieses Massakers. "Wir..." Patrick schnappte nach Luft, dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen, als würde ihn die Erinnerung an das Erlebte quälen. "Wir waren auf dem Weg hierher, als sie uns überfielen! Es war schrecklich! Ich rannte davon, um Hilfe zu holen, doch sie waren überall...... Einer von ihnen streckte mich nieder und dachte wohl, ich wäre tot, so daß er mich nicht weiter beachtete. - Sonst wäre ich jetzt auch tot!" Er sprach hastig und abgehackt, um seinen Worten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. - Und hatte Erfolg! Die Mienen um ihn herum verfinsterten sich zusehends und drohendes Gemurmel erhob sich wie Bienengesumme und erfüllte den Raum.

Oh ja, Turok konnte sehr zufrieden sein! Patrick grinste in Gedanken.

Und schon wurden die ersten Stimmen gegen die Palastgetreuen laut, dann immer mehr und mehr, bis ein wahrer Orkan losbrach und die restlose Vernichtung der Aufrührer versprach.

Äußerst zufrieden machte Patrick sich auf den Heimweg. Er hatte gute Nachrichten für seinen Anführer!.....


Alana wurde von verschwörerischem Wispern geweckt und blinzelte müde. Am Eingang stand Turok mit einem Mann, den sie nicht erkennen konnte, weil der Leib ihres Herrn davor stand. Doch sie konnte seine aufgeregte Stimme hören und die kam ihr bekannt vor. Dazwischen immer wieder die ruhige, melodische Stimme Turoks, die den einen oder anderen Kommentar abgab und dem Haspeln etwas von seiner Hektik nahm. Worüber sprachen sie? Sie versuchte, etwas heraus zu hören, doch es gelang ihr nicht und so drehte sie sich auf die andere Seite und stellte sich wieder schlafend. Nur Augenblicke später spürte sie den Mann, der wieder zu ihr zurückkam und unter die Decke schlüpfte. Als er seinen Arm um sie legte, zuckte sie zusammen, so kalt war er.

"Hab ich dich geweckt?" Die kalte Haut seiner Brust schmiegte sich an ihren Rücken, als suchte sie dort die Wärme, die sie verloren hatte. Nachdem der erste Schock verklungen war, drehte sie sich zu ihm um. "Soll ich Euch Wein erhitzen, Herr? Ihr werdet krank, wenn Ihr Euch nicht aufwärmt." Er zog sie auf sich rauf und schlang die Arme um sie. "Bei dir wird mir schon warm werden, Mädchen, mach dir keine Sorgen." Als sie nicht antwortete, schob er sie seufzend fort. "Na schön, tu es. Du wirst ja vorher doch keine Ruhe geben!" Flink schlüpfte sie aus dem Bett und beeilte sich, ihrem Herrn den wohltuenden Wein zuzubereiten, der ihn vor Krankheit schützen sollte.

Kronos stellte den Becher weg und streckte die Hand nach dem Mädchen aus, das auf den Decken hockte und ihn aufmerksam beobachtete. Sie war jetzt warm und die Kleine lächelte sanft. "Fühlt Ihr Euch besser?" "Frag mich nachher noch mal!" murmelte er, sie ganz nahe an sich heranziehend....

Den Wein hätte sie besser selber trinken sollen. Kronos fühlte, wie kalt sie war und in den letzten Tagen war sie auch ein wenig blaß gewesen. Er hatte es darauf geschoben, daß sie das Lager nicht verlassen durfte, aber vielleicht wurde sie ja auch krank? Na, hoffentlich nicht! Das war das letzte, was er gebrauchen konnte!


Lässig, sich seiner Ausstrahlung voll bewußt, schritt Kronos durch seine Männer hindurch, auf den Mann zu, der in ihrer Mitte stand und ihm furchtlos entgegensah.

"Seid Ihr Turok?" verlangte er zu wissen.

Kronos nickte knapp. "Ja. Was willst du von mir?"

Der Städter, denn um einen solchen handelte es sich zweifelsohne, streckte sich unauffällig, weil er sich von Kronos' Größe eingeschüchtert fühlte. "Ihr sucht die Palastgetreuen!" stellte er mit lauter, klarer Stimme fest.

Kronos' linke Augenbraue zuckte. "Und?"

Der Mann fixierte ihn aus kalten, dunklen Augen, bevor er langsam antwortete: "Ich weiß mindestens drei, die ihnen angehören!"


* *
 

Die Gestalt fuhr hastig zurück, als sie den Mann bei Turok sah. Sie preßte sich dicht an die Zeltwand und lauschte. Ihr wurde ganz anders, als sie die Worte vernahm, die der Mann sprach. Als sie genug gehört hatte, schlich sie sich lautlos davon und beschleunigte ihre Schritte, sobald sie außer Hörweite war.


* *
 

In Kronos' dunklen Augen begann es zu glimmen, auch wenn seiner Miene nichts anzumerken war. "So. Kennst du, ja? Und wer sagt uns, daß du uns nicht anlügst, um dir die versprochene Prämie zu sichern?"

"Prämie?" Der andere wurde hellhörig, als dieses Wort fiel. Scheinbar erschrocken über sein Ausplaudern schwieg der Berater D'Aguiles plötzlich. Dann sagte er langsam: "Ja, wir haben eine Prämie ausgesetzt für jeden, der uns hilft, diese Mörder außer Gefecht zu setzen. Wir haben es noch nicht in der Stadt verkünden können, weil wir hier genug zu tun haben, aber nun ja... Du weißt es ja jetzt." Sein Blick wurde lauernd. "Was weißt du über die Rebellen?" "Ich zeige Euch heute Nacht, wo sie wohnen." "Heute Nacht?" "Ja, gnädiger Herr. Ich will nicht, daß..." "Daß man weiß, daß du deine eigenen Leute verrätst"; vollendete Kronos kalt den angefangenen Satz und der Mann zuckte erschrocken zusammen.

"Gut, heute Nacht"; gestattete der dunkle Krieger großzügig. "Ich warne dich: lockst du uns in eine Falle, wird mein Schwert das letzte sein, was du in deinem Leben sehen wirst!" warnte er ihn noch einmal, dann war der Kerl entlassen und man ließ ihn unbehelligt ziehen.

"Ich glaube, wir haben es geschafft, Turok." Clavier trat neben seinen Führer und blickte mit ihm dem Mann hinterher, der das Lager der Kreuzfahrer eilig verließ. "Wir werden sehen." meinte Kronos trocken. Noch wollte er an einen so schnellen Sieg nicht glauben. Das ging ihm alles zu glatt! Er würde weiterhin wachsam bleiben und Augen und Ohren offen halten. Es sollte schon mit dem Teufel zugehen, wenn er sich nicht behaupten könnte gegen eine Bande billiger Meuchelmörder! Er streckte sich, daß seine Knochen knackten, und wandte sich dann wieder seinen Leuten zu.

"Nun gut. Dann werden wir heute Nacht eben mal wieder in die Stadt reiten." "Was sagt Eure Sklavin dazu, wenn sie die Nächte stets alleine verbringen muß?" stichelte William Monnay gutmütig. Ein kühler Blick streifte ihn dafür. "Wie du schon gesagt hast: sie ist meine Sklavin." Damit war das Thema erledigt, es sei denn, William oder ein anderer hatte Lust, Bekanntschaft mit dem kalten Metall von Turoks Schneide zu machen. - Und das hatte niemand....


Die schmutzige Hand wies auf ein kleines Haus, in dem alles dunkel war. "Dort, gnädiger Herr. Der Mann, der hier wohnt, ist ein treuer Anhänger der Palastgetreuen." Ein knappes Nicken, dann huschten sie weiter durch die Nacht. "Dort." Wieder ein knappes Nicken, wieder ein paar Gassen weiter, in der auf ein Haus gedeutet wurde. "Und dort. Mehr kenne ich nicht."

Nahezu lautlos zogen die Männer sich wieder zurück, nicht, ohne sich die Örtlichkeiten genau gemerkt zu haben.

Nahe den Stadttoren stoppte der Berater und zog aus der Innenseite seines Mantels einen Geldbeutel hervor. Dem entnahm er eine stattliche Anzahl an Münzen und warf sie dem Städter zu, der sie fassungslos von so viel Glück vom Boden auflas.

Kronos sah ihm ausdruckslos dabei zu. Er verabscheute Verräter aus tiefstem Herzen, wenn er so was besaß, und es hätte ihm nichts ausgemacht, diesem Kerl die Kehle durchzuschneiden oder ihn in seinem eigenen Blut ersticken zu lassen. Doch er hatte andere Pläne mit ihm, und das rettete dem Städter das armselige Leben. - Vorerst.

"Sollen wir ihn...?" "Nein. Wir brauchen ihn noch." Verwundert sah William den Mann neben sich an, den er in der Dunkelheit kaum ausmachen konnte. "Warum?" Kronos lächelte nun kalt. "Er wird es weitererzählen. Daß es eine Prämie gibt und sich die Pilger nicht lumpen lassen, so lange ihre Anstrengungen mit Erfolg gekrönt sind. Ihm werden weitere folgen und ich denke, das ist seine weitere Existenz doch wert. - Vorläufig zumindest." Er wandte dem Engländer sein Gesicht zu und Monnay konnte den dunklen Blick auf sich ruhen fühlen.

"Ich denke, wir können zufrieden mit unserer Arbeit sein. Du nicht auch, William?" Er streckte sich noch einmal. "Wir sollten zurückreiten und schlafen. Oder hast du noch etwas Besonderes vor?" "Ich werde Gott für diese glückliche Fügung danken. Wollt Ihr es mir nicht gleichtun?" Kronos lachte leise. "Nein, das Beten überlasse ich anderen. Ich danke dem Herrn, indem ich für die Vermehrung seiner Schäfchen sorge." Er schaute in den Nachthimmel, an dem eben gerade eine Sternschnuppe niederging. "So Ihr denn bei einer Frau bleibt, wird es IHM wohl nicht aufstoßen, Turok. Aber bei manchen Soldaten habe ich das Gefühl, als wollten sie sich ihren eigenen Staat gründen!"

Sie führten ihre Pferde am Zügel aus der Stadt, bevor sie aufsaßen und sich gemächlich in Bewegung setzten.

Jetzt lachte Kronos herzhaft auf. Wie prüde und dumm war Monnay doch! Er ignorierte den konsternierten Blick seines Gefährten und meinte schmunzelnd: "Deus lo volt!" "Wie recht Ihr habt." bestätigte Monnay und in innigem Einverständnis ritten sie schweigend weiter, bis sich ihre Wege im Lager trennten.


Aufs äußerste beunruhigt starrte der Alte auf die Nachricht, die vor ihm auf dem Tisch lag: ein weißes Tuch, in das ein blutiger Dolch eingeschlagen war, dazu das Medaillon, welches die Palastgetreuen stets bei ihren Versammlungen trugen.

Das war nicht gut! Sie waren in Gefahr! Der Spion, der ihnen diese Nachricht zukommen ließ, war sich sicher, daß Köpfe rollen würden und riet, die Stadt so schnell wie möglich zumindest für eine gewisse Zeit zu verlassen.

Wütend hieb der Mann mit der Faust auf die grobgezimmerte Tischplatte, daß die gesamte Konstruktion bedenklich zu schwanken begann. Nie würde er aufgeben! Er hatte sich geschworen, die Pilger aus dem Land zu vertreiben und er würde nicht fortlaufen und sich verstecken und darauf warten, daß alles vorbei ging!!!

"Was werden wir nun tun?" "Wir werden kämpfen! Mit allen Mitteln, die uns geblieben sind!" Der Alte stierte einen Moment lang auf seine Hände. "Ruf die Leute zusammen!!!"


Eine Kohorte, begleitet von Kronos selber, ritt gemächlich kurz nach Sonnenaufgang in die Stadt. Vor dem ersten Haus, das ihnen der Mann gestern Nacht gezeigt hatte, hielten sie an und einer der Soldaten saß ab und hämmerte mit seinen Fäusten gegen die Tür. "Aufmachen!" rief er laut.

Um sie herum bildete sich eine Menschenmasse, neugierig, was dieser Auftrieb so früh am Morgen wohl sollte. Allerdings hielten sie einigen Abstand, denn wenn schon nicht die Soldaten sie einschüchterten, so tat es Turok, der auf seinem riesigen Hengst etwas hinter der Kohorte stand und die Szenerie schweigend und mit undurchdringlicher Miene beobachtete.

Die Tür wurde geöffnet und eine Frau mittleren Alters blickte ängstlich hinaus. "Was wollt ihr?" "Wir suchen deinen Mann, Weib! Wo ist er?" erwiderte der Soldat barsch. In den dunklen Augen der Frau flackerte es auf. "Was wollt ihr von meinem Mann? Er hat nichts verbrochen!" "Das zu beurteilen liegt bei unserem Herrn, dem Comte D'Aguile, Weib. Willst du dich seinen Befehlen widersetzen???" Sie zuckte zusammen, doch behielt ihre Position bei und die Tür öffnete sich nicht eine Handbreit mehr.

Unschlüssig sah der Soldat Kronos an, der ihm mit einer flüchtigen Handbewegung ein Zeichen gab. Der Soldat nickte und dann stieß er die Tür mit Gewalt auf, so daß die Frau ins Innere taumelte und das Eindringen der Besatzer nicht mehr verhindern konnte.

Ein Raunen ging unter dem Mob einher, doch ein kühler Blick von Kronos sorgte schnell wieder für Ruhe.

Aus dem Hausinneren drang nun Lärm zu den Menschen hinaus, Scheppern und Fluchen, dann zerrten die Soldaten den Hausbesitzer hinter sich her, aus dem Haus heraus und warfen ihn vor Turok in den Staub. Wutentbrannt rappelte er sich wieder auf und blickte direkt auf den furchteinflößenden Berater D'Aguiles, der ihn kalt musterte.

"Du bist verhaftet!" klärte Kronos den Mann auf. "Man wirft dir Paktieren mit den Rebellen vor. Was hast du dazu zu sagen?" Statt einer Antwort spie der Mann vor Kronos aus und stieß ein Wort hervor, das er nicht verstand. Mit einem Achselzucken wendete der Krieger sein Pferd und überließ es seinen Männern, sich um den Rebellen zu kümmern.

Langsam ritt er zum nächsten Haus, was ihnen gezeigt worden war. Der Mob folgte ihnen neugierig und lärmend und bereitete ihm ein unbehagliches Gefühl, konnte der Tumult doch die Verdächtigen warnen und ihnen eine verfrühte Flucht ermöglichen. Den Göttern sei Dank, war dem nicht so und sie konnten sich rühmen, drei der vermeintlichen Rebellen - oder zumindest ihrer Sympathisanten - dingfest zu machen.


* *
 

Hart traf die flache Hand den Mann im Gesicht und warf seinen Kopf zurück. Blut rann aus seinem Mund und der Nase, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch seine Augen funkelten den Mann vor ihm zornig an.

"Ich will wissen, wo sie sich treffen!" zischte Kronos böse.

Schweigen. Wieder ein Schlag. Wieder dieser wutentbrannte Blick.

So kam er nicht weiter! Kronos richtete sich langsam auf, wischte sich die Hände an seiner Hose ab und betrachtete die drei Männer, die vor ihnen am Boden knieten. Folter war ein exzellentes Mittel, um Geständnisse und Antworten zu bekommen, doch bisher hatten die drei sich tapfer geschlagen. Ein dämonisches Lächeln huschte um seine Lippen. Er wäre nicht Kronos, wüßte er diese Kerle nicht zum Sprechen zu bringen!

Für einen Augenblick wünschte er sich Methos hierher. Der hätte gewiß seinen Spaß daran, den Männern ihr Geheimnis zu entreißen!

Er seufzte schwer. Methos und er, das wäre dann wieder wie in den alten Zeiten! - Eine nette Vorstellung!....

"Macht Feuer!" befahl er seinen Leuten und sofort kümmerte sich einer darum. Dann beugte er sich zu dem Mann vor ihm hinunter. "Hast du schon mal gesehen, wenn man jemandem bei lebendigen Leib die Haut abzieht? Ich sage dir, es ist kein schöner Anblick." Angst flackerte in den dunklen Augen auf, bevor es sich wie ein Vorhang über sie legte. Er warf dem Berater D'Aguiles ein Wort an den Kopf in einer Sprache, die schon sehr alt sein mußte und die Kronos trotz seines Alters und all seiner Erfahrung nicht kannte. Ungerührt zuckte er mit den Schultern und wandte sich ab......


* *
 

Alana stand vor dem Zelt und starrte in die Nacht hinaus. Sie hatte die Arme um ihren Leib geschlungen und zitterte wie Espenlaub. Bei jedem Schrei, der sich schmerzerfüllt und grausig anhörte, fuhr sie wie gepeitscht zusammen und es sah aus, als wollte sie ohnmächtig werden.

Kronos trat von hinten aus der Dunkelheit an sie heran und legte seine Arme um ihre Schultern. "Es wäre mir lieber, du würdest drinne bleiben"; meinte er leise.

Ein langgezogener Schrei gellte durch das Lager. Er schien durch Zeit und Raum zu schallen und fuhr einem ins Gebein.

Kronos fühlte Alana schwach werden unter seinen Händen. Mit sanfter Gewalt schob er sie ins Zelt zurück, wo er ihr einen Becher Wein in die Hand drückte, den sie gehorsam, in kleinen Schlucken, trank. Allmählich kehrte Farbe in ihre Wangen zurück und sie hob ihre strahlend blauen Augen zu ihm auf. "Was wird mit ihnen geschehen, Herr?" Er zuckte unbestimmt mit den Schultern. "Wir werden sehen. Letztlich liegt es bei D'Aguile, was er mit ihnen vorhat. Warum interessiert dich das?" "Weil es unmenschlich ist, andere so zu quälen!" flüsterte sie erstickt. Er setzte sich neben sie und sah sie ernst an. "Krieg ist nie menschlich, Mädchen. Wenn du älter bist, wirst du verstehen, was ich meine."

Als ein erneuter Schrei ertönte, entglitt der Becher ihren Händen und fiel mit einem leisen Scheppern zu Boden. Aufschluchzend warf sie sich in die Arme ihres Herrn, den Kopf in seinem Schoß vergraben, die Arme fest um seine Mitte geschlungen. Und zum ersten Mal in seinem Leben wußte Kronos nicht, was er tun sollte. So strich er ihr nur etwas unbeholfen über den Rücken, um sie zu trösten. Als das Schluchzen langsam verebbte, breitete er eine Decke über sie und schob sie sacht von sich fort. So lange, wie sie schlief, konnte er noch hinüber gehen und die Ausführung seiner Befehle überwachen.


* *
 

William wischte sich seine blutigen Hände an einem Lappen ab, als Kronos zu ihm trat. "Es ist hoffnungslos, Turok. Sie werden eher sterben, als daß sie uns ein Wort sagen." Ausdruckslos starrte Kronos auf die regungslosen Gestalten auf dem Boden. "So? Werden sie, hm?" Dann lächelte er. Ein weiches, nachsichtiges Lächeln, das ihn jung aussehen ließ. "Nun, dann wollen wir ihren Wünschen doch nicht im Wege stehen, oder." Er stieß einen der Gefangenen mit dem Fuß in die Seite.

"Was habt Ihr vor, Turok?"

"Wir werden ein Exempel statuieren. Sorgt dafür, daß morgen auf dem freien Platz vor dem Lager Kreuze aufgestellt werden."

"Und dann?"

"Deus lo volt."

Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich und sie lächelten sich im stillen Einverständnis an. Jeder wußte, was in dem anderen vorging und was dieser Auftrag beinhaltete. War nicht Christus am Kreuz gestorben? Gewiß. Aber hier würde man nicht so lange warten, bis ein barmherziger Samariter die Sterbenden von ihren Leiden erlöste. Man würde Holz und Reisig aufschichten und die Flammen wären jedem eine Warnung, der mit dem Gedanken spielte, sich den Rebellen anzuschließen.

Kronos warf noch einen kalten Blick auf seine Opfer, bevor er sich zur Ruhe begab. Er war zufrieden....


* *
 

Es war ein gewaltiger Menschenauflauf am nächsten Morgen. Sie alle versammelten sich auf dem freien Platz vor dem Lager, wo auch die Städter hinkommen konnten, und warteten auf eine Erklärung für die merkwürdigen Dinger, die auf der offenen Ebene standen.

Ganz vorne, vor einem Trupp Soldaten, standen auf Kronos' Anweisung hin die Knappen und Küchenhelfer, sowie Alana, damit sie besser sehen konnten.

Der Berater selbst hatte sich zu D'Aguile begeben, mit dem er nun langsam und aufmerksam durch die Reihen der Soldaten schritt, die ihnen ehrfürchtig Platz machten. Die Mienen beider Männer waren undurchdringlich und kühl, ihre Haltung gespannt, obwohl Kronos' eine gewisse Lässigkeit ausstrahlte, eine nahezu beschwingte Leichtigkeit, welche die Menschen um ihn herum zu verspotten schien.

Nun stellte D'Aguile sich vor den Menschen in Positur, Kronos einige Schritte hinter ihm, und verkündete mit klarer Stimme: "Ich weiß, wie ihr gelitten habt unter den Rebellen! Sie haben eure Kinder getötet, eure Brüder und Schwestern! Und wir sind heute hier, um ihnen zu zeigen, daß sie das nicht mehr ungeschoren tun können! Wir werden das nicht mehr dulden!!! Ist es nicht genug, daß ihr unterdrückt wurdet vom König und seinen Getreuen? Müssen sie jetzt auch noch in aller Heimlichkeit rauben und morden und unbescholtene Bürger in Angst und Schrecken versetzen? Ich sage: NEIN! Dem muß nun endlich Einhalt geboten werden und dies wird erst der Anfang sein."

Auf Leonards Zeichen hin führte eine Eskorte die Gefangenen nach vorne, die den Kopf gesenkt ihr Schicksal erwarteten. Unruhe machte sich breit unter den Menschen. Gemurmelte Drohungen und Flüche, offene Anfeindungen und Spucken waren die Reaktionen der Schaulustigen auf die Worte Leonards hin. Ohne eine Miene zu verziehen, schritten die Todgeweihten hocherhobenen Hauptes weiter.

Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Alana den schweren Gang der drei Männer. Marla stieß sie mit dem Ellenbogen in die Seite und wisperte ihr zu: "Das ist nicht gut!" Stumm nickte das Mädchen stockend.

"Im Namen unseres Herrn werden wir die Mörder vom Angesicht der Erde tilgen und IHM damit Ruhm und Ehre machen! Deus lo volt!" Die Menge bewegte sich und sie riefen immer wieder: "Deus lo volt! Deus lo volt! Deus lo volt!" und priesen den Namen des Herrn.

"Was bedeutet das, Herr?" Kronos war zu Alana und Markus getreten und sie sah ihn nun fragend an. "Deus lo volt?" Sie nickte. "Gott will es." Sie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, entschied sich dann jedoch anders und schwieg. Er trat hinter sie und legte ihr seine Hände auf die Schultern.

'Das Volk haßte ihn?' 'Ja, ich glaube schon.'

Nein, es haßte den König und seine Anhänger sogar ganz bestimmt!

Man band die Gefangenen nun mit gespreizten Gliedmaßen an die Kreuze und stellte sie hoch auf. Dann schichteten ein paar Soldaten das Holz auf. Angeekelt zuckte die Sklavin zusammen und wollte sich wegdrehen, doch Kronos zwang sie unbarmherzig, sich das Spektakel anzusehen, das folgen würde.

Als man das Holz nun mit Fackeln entzündete, verfluchte einer der Männer die Soldaten. So hörte es sich zumindest an, denn verstehen konnten sie kein Wort. Dann fiel sein Blick auf die Bediensteten aus der Stadt, die in der ersten Reihe standen und alles aus weit aufgerissenen Augen verfolgten. Seine Augen verengten sich, dann lachte er laut auf, warf den Kopf zurück und brüllte immer wieder ein Wort, das wieder in dieser altertümlichen Sprache war und niemand verstand. Die beiden anderen hoben erschöpft die Köpfe, ihre Blicke schweiften und dann taten sie es dem ersten Mann gleich. - Und sie starben mit diesem Wort auf den Lippen, wie es sich für Verräter gehörte.

Als der letzte Schrei erstarb, brach Alana ohnmächtig zusammen und Markus ließ sie ins Zelt zurückbringen, während sein Herr noch einige Dinge zu erledigen hatte.


* *
 

"Wie geht es dir?" Statt einer Antwort stöhnte Alana nur leise auf. Kronos lächelte und glitt geschmeidig vom Stuhl neben sie auf das Lager. Als sie versuchte sich aufzurappeln, zwang er sie sanft wieder zurück. "Bleib liegen, dann geht es gleich schon wieder!" Sie sank in die Decken und ein dankbares Lächeln erhellte ihre Züge und machten sie weich und schön.

"Warum hast du mir nicht gesagt, daß du nicht wohl bist?" "Ich... war wohl. Dieser Geruch..." Kronos schnupperte. Sie hatte recht: der Geruch von verbranntem Fleisch lag noch immer in der Luft und legte sich ekelhaft auf die Sinne.

"Wie ist es nun? Magst du mich zu meinem Freund begleiten?" "Wenn... Ihr... mich braucht, gerne." Lachend stand Kronos auf und entkleidete sich, bevor er unter die Decke kroch. "Ja, ich kann Hilfe immer gut gebrauchen, mein Kind. Wir werden morgen reiten, noch bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreicht haben wird." Sie nickte langsam. Kronos legte den Arm um sie und sie schmiegte sich an seine Brust, die Wärme und Geborgenheit versprach.

"Was haben sie gerufen?"

Kurzes Schweigen.

"Salina."

"Was bedeutet das?"

"Sie haben der Prinzessin gehuldigt, für die sie in den Tod gegangen sind. Salina ist ihr Name." "Eine Prinzessin?" Na prima, jetzt gab es nicht nur einen König, den man vernichten mußte, sondern auch noch so ein verwöhntes Gör, das des Königs Nachfolge antreten würde. Egal. Er hatte keine Lust, sich seine Vorfreude auf ein paar erholsame Tage bei Methos verderben zu lassen. Was auch immer geschehen mochte, es würde geschehen....


"Wer ist das?" Mit dem Kopf deutete Methos auf die schmale Gestalt, die im Hof bei Kronos' Pferd stand und wartete. Kronos trat an den Herrscher der Festung heran und blickte ihm über die Schulter. Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen. "Das? Das ist meine Sklavin." Ein dunkler Blick streifte ihn, doch er lachte nur. "Sie hat eine Schuld zu begleichen, sagen wir es mal so." "Eine Schuld?" "Hmm. Ich habe ihr das Leben gerettet und dafür schuldet sie mir doch etwas, nicht wahr? Zumindest ein kleines Dankeschön." "Aha. Und wieso ist sie dann eine Sklavin?" "Weil sie es so anbot. Soll ich es ausschlagen?" Er wandte sich ab.

"Sie ist süß", bemerkte Methos leichthin. Mit geschmeidigen Bewegungen schritt Kronos durch das Gemach, bediente sich am Wein und ließ sich dann auf die dicken Kissen fallen. "Ja, das ist sie. Und unendlich...." Er brach ab und Methos drehte sich um. Auf den sonst so strengen Zügen seines Bruders zeigte sich etwas, was Methos bisher nur ein einziges Mal gesehen hatte: ein Ausdruck von Zuneigung, Wärme und Zärtlichkeit. Er wunderte sich. Konnte ein einfaches Mädchen seinen Bruder so becircen, daß er den Kopf verlor? Zu gerne würde er die Kleine näher kennenlernen....

Er nahm sich auch Wein und ließ sich seinem ehemaligen Anführer gegenüber nieder. Aufmerksam forschten seine Augen in den Zügen des anderen, doch als der es merkte, setzte er seine übliche Maske auf und es war ihm unmöglich, zu sagen, was in dem anderen Unsterblichen vorging.

"Alana!" Kronos' kühle Stimme peitschte durch den Raum, aus dem Fenster hinaus und ließ das Mädchen im Hof zucken. Suchend sah sie sich um und eilte dann dem Eingang zu, in dem sie verschwand. Sie mußte ein wenig suchen und erst der stumme Hinweis einer Dienerin brachte sie auf den richtigen Weg, so stand sie nur kurze Zeit später vor ihrem Herrn und verneigte sich demütig vor ihm.

"Ihr habt gerufen, Herr?" Einladend klopfte Kronos neben sich auf die dicken Polster. "Setz dich, Kind. Leiste uns Gesellschaft. Das dort...." Er wies mit der Hand auf den anderen Mann im Raum. "...ist Methos, mein engster Freund. - Man kann sagen, daß wir wie Brüder sind.... Methos, das ist Alana, meine... ergebene Sklavin." Hier verwendete er die Worte, mit denen sie sich ihm vor Wochen angeboten hatte. Methos sah, wie eine leichte Röte ihren Hals überzog, dann verneigte sie sich stumm vor ihm und lächelnd entließ er sie aus ihrer ergebenen Haltung. Sie setzte sich neben ihren Herrn und ohne hinzusehen reichte Kronos ihr seinen Becher, den sie zwar nahm, jedoch nicht trank.

"Nun, Bruder? Wie läuft es im Lager der Kreuzfahrer?" Kronos winkte verstimmt ab. "Wie soll es gehen? Die Moral läßt zu wünschen übrig, die Soldaten ebenfalls und wenn wir es bis Edessa schaffen, so soll es an ein Wunder grenzen. Alleine die Gerüchte über die Herrscherfamilie, die in der Stadt die Runde machen, zermürben die Männer und lassen sie wie kopflose Hühner reagieren! Und dann noch die Templer! Zur Hölle, ich wünschte, ich könnte so, wie ich wollte!!!"

Während Kronos sprach, beobachtete Methos das Mädchen, das zu seines Bruders Füßen saß. Ein hübsches Ding, schlank und klein, mit angenehmen Zügen und zierlichen Gliedmaßen. Eine Frau, wie man sie selten traf. Sie trug ein weißes Gewand, das einen römischen Stil aufwies, mit einem tiefen Ausschnitt, ohne Ärmel und es reichte bis zu den Knöcheln hinab. An den Füßen trug sie leichte Schuhe und an den Hand- und Fußgelenken sah er die goldenen Manschetten der Sklaven.

Nun lächelte er warnend. "Aber, aber. Wer wird denn so unbeherrscht sein? Ihr habt es früher schon einmal geschafft...." Alana sah überrascht auf und Methos brach erschrocken ab. Himmel wie konnte er nur vergessen, auf seine Worte zu achten, wenn ein Sterblicher dabei war? Was sie wohl jetzt dachte?

Auch Kronos hatte es gemerkt. Er zog das Mädchen mit den Worten: "Ja, die Kreuzfahrer sind schon ein Völkchen, das man schwer unterkriegt", an sich und seine Hand fuhr suchend unter ihr Gewand. Sie schloß genüßlich die Augen und über ihren gesenkten Kopf hinweg sah Kronos den anderen Unsterblichen lange an. Auch während seine Lippen ihr Haar streiften, wandte er seinen Blick nicht ab. Die unausgesprochene Warnung lag greifbar in der Luft und Methos' Nackenhaare stellten sich auf.

Alana senkte den Kopf weiter, ihre Hand fuhr unter sein Hemd und strichen sacht über die warme Haut dort. Ihre Lippen senkten sich auf die Haut und streiften sie, was Kronos leise aufseufzen ließ.

Mit gerunzelter Stirn beobachtete Methos das. Er erinnerte sich an Kela, an die Macht, die das unsterbliche Mädchen über seinen Anführer gehabt hatte, indem sie sein Lager teilte. Und daran, daß sie diese Macht nie wirklich ausgespielt hatte. War Alana ebenso? Konnte man ihr trauen?

Kela... Mit einem Gefühl von warmer Zuneigung dachte er an das Mädchen. Sie war schon so lange tot, doch für ihn noch immer allgegenwärtig. Er hätte seine Seele verkauft, hätte er sie besitzen dürfen! Aber Kronos hatte seinen Anspruch auf sie erhoben, - und sie hatte es nie anders gewollt. Sie hatte ihn geliebt. So sehr, daß sie für ihn in den Tod gegangen war. Energisch schüttelte Methos den Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden, die sich seiner bemächtigten.


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