Crusader VI

Tatjana

 

Methos' braune Augen folgten dem jungen Mädchen, das aus dem Brunnen im Hof Wasser für ihren Herrn holte.

Hübsch war sie, eine angenehme Gesellschafterin, die stets mit einer demütig gedämpften Stimme sprach und Kronos jeden Wunsch von den Augen ablas. Und dabei sah sie gar nicht aus wie eine Sklavin. Er beobachtete die geschmeidigen Bewegungen, mit denen sie sich bewegte, die schlichte Eleganz, die sie ausstrahlte, bei allem, was sie tat. Jetzt, wo sie sich unbeobachtet fühlte, strahlte sie eine fast königliche Würde aus, und Stolz. Woher Kronos sie wohl hatte?

Nun schulterte sie gekonnt den Krug mit dem Wasser und eilte leichtfüßig dem Gemach ihres Gebieters zu. Stirnrunzelnd sah Methos ihr nach.....

* *
 

"Vertraust du ihr?" fragte Methos den anderen Unsterblichen, als Alana sich still zurückgezogen hatte, nachdem sie das Mahl serviert hatte. Verwundert sah der auf. "Nenn mir einen Grund, der dagegen spricht!"

Methos haßte diese Antworten, die alles und nichts bedeuten konnten!

Doch er zwang sich zur Ruhe. "Ich meine, sie ist so ganz anders als all die anderen Menschen hier. Wo kommt sie her? Du willst mir doch nicht erzählen, sie sei vom Himmel gefallen, oder?!" Kronos lachte leise. "Du solltest wissen, daß ich gerne weiß, mit wem ich mich einlasse, Bruder. Worüber also machst du dir Sorgen? Fürchtest du um meinen Kopf?" Er beschäftigte sich ausgiebig mit dem Frühstück, das vor ihm stand, und sprach ihm gut zu. "Was hältst du von einem Ausflug, Methos? So, wie in den alten Zeiten", schwenkte er vom Thema ab. "Ausflug? Hört sich gut an. Hast du eine bestimmte Vorstellung?" Der andere zuckte mit den Schultern. "Pferde, ein paar Decken, Proviant und dann los. Mal sehen, wo es uns hinführt." Eine verlockende Vorstellung! Methos war von dieser Idee sehr angetan und stimmte gerne zu.

"Alana!!!"

Nur Augenblicke später streifte sie ein leichter Lufthauch: "Ihr habt mich gerufen, Herr?" Ohne aufzusehen, gab er ihr seine Anweisungen: "Ja. Geh und pack uns Decken zusammen, etwas Proviant und sieh dann zu, daß unsere Pferde bereitstehen. Wir werden ein paar Tage fort sein." "Ja, Herr." Sie verneigte sich und zog sich rückwärts zurück. Kronos hielt in der Bewegung inne, dann rief er ihr hinterher: "Und danach komm in mein Gemach, um mir beim Ankleiden zu helfen!" Sie eilte fort, um seine Aufträge zu erfüllen, während Methos' Augen schmunzelnd auf dem anderen ruhten. "Beim Ankleiden?" fragte er bedeutsam. Kronos grinste nur...

* *
 

Nachdem sie die kleine Festung verlassen hatten, waren sie nach Osten geschwenkt und lange in die Wüste geritten, bis sie in der Nähe einer kleinen Oase eine Rast einlegten.

Zwischen ihnen brannte ein gemütliches Feuer und der Duft des Fleisches, das Alana ihnen zusammengepackt hatte, kitzelte verführerisch ihre Nasen. Methos warf einen Holzscheit in die Flammen, die hoch aufzüngelten und die Gesichter der beiden unheimlich beleuchteten.

"Nimmst du sie mit?" "Mitnehmen? Sie kann nicht reiten und wird uns nur zur Last fallen. Außerdem wäre die Reise für sie zu anstrengend, und ein Heer voller Idioten, die bei einem hübschen Mädchen den Kopf verlieren.... Nein, es wird besser sein, wenn sie hierbleibt." "Und verhungert", vollendete Methos den Satz kalt. Kronos' Schultern bebten kurz. "Wenn dir so viel an ihr liegt, nimm sie zu dir. Sie ist willig und leicht zu lenken, du wirst deine Freude an ihr haben", murmelte er dumpf.

Methos' braune Augen bohrten sich dem anderen in die Brust.

Das war wieder typisch Kronos: seine Art, sich um Dinge zu kümmern, die ihm am Herzen lagen. Die Kleine bedeutete ihm genug, daß er bereit war, sie an seinen Bruder weiterzugeben, damit für sie gesorgt war. Er lächelte sparsam. Ihm sagte das genug aus und er ließ es darauf beruhen. Noch zogen die Kreuzfahrer nicht weiter, noch war es nicht soweit, daß man sich zu einer Entscheidung durchringen mußte. Es würde sich alles fügen....

Das aufgeregte Gemurmel rollte durch den Raum wie eine riesige Welle und es hörte sich wie Bienengesumm an, als alle durcheinander sprachen.

Der alte Mann trat vor seine Leute hin und erhob seine klare Stimme über den Mob: "Turok ist erst mal aus dem Weg geräumt. Was habt ihr für Pläne?" Doch anstatt daß nur einer das Wort ergriff, redeten alle gleichzeitig und machten eine Verständigung schwer.

Hinter dem Alten regte sich etwas und eine in dunkle Schleier gehüllte Gestalt trat neben ihn, die Augen ruhten mit einem unergründlichen Ausdruck auf den aufgeregten Menschen. "Es wäre eine gute Gelegenheit, den Christen zu zeigen, daß wir mehr sind, als ein paar dumme Bauern", sagte sie fest. Die Männer verstummten, als sie die weibliche Stimme hörten. Eine Frau mitten unter ihnen? Wie konnte sie es wagen, so dreist zu erscheinen???

"Und wie willst du das anstellen, Salina?" fragte der Alte ruhig, scheinbar das erschrockene Schweigen der Menschen nicht bemerkend. "Turok hat das Lager mit seiner Sklavin verlassen und wird erst in einigen Tagen zurückkehren. Ohne ihn sind die Christen führungslos und warten nur darauf, daß man ihnen etwas antut." "Sollen wir D'Aguile töten?" Die Schleier regten sich, als die Prinzessin ihre Position veränderte. "Nein. Er ist für uns und unsere Zwecke uninteressant und stört uns nicht. Ich dachte eher an die, die für Turok und die seinen kämpfen." Andächtige Stille breitete sich aus, als die Prinzessin ihre Pläne unterbreitete.

"Die Lager sind nicht sehr gut gesichert. - Turok fehlt an allen Ecken und Enden!" Sie schnaufte verächtlich, ehe sie fortfuhr: "Mein Vorschlag wäre: laßt uns die Stoßtruppe vernichten!"

Zuerst war es still, alle schienen über diesen Vorschlag nachzudenken. Dann hob einer seine Hand. "Und was bringt uns das?" Ein leises, wissendes Lachen war die Antwort darauf. "Ohne die Stoßtruppen wird es ihnen schwerfallen, sich gegen irgendetwas oder irgendwen zu wehren. Sie sind dann schutzlos. - Wir werden das auszunutzen wissen!" "Und wie wird das vonstatten gehen?" Eine unbestimmte Handbewegung ihrerseits. "Nichts einfacher als das..."

"Gebieter! Gebieter! Schnell!!!" Völlig außer sich stürzte der Knappe in das Zelt des Comte D'Aguile, der sich schlaftrunken aufsetzte und den Knaben verständnislos anstarrte. Er war so überrumpelt, daß ihm kein Wort einfiel, den Jungen für sein ungeziemendes Betragen zu rügen. Der indessen hatte schon den Mantel und die Kleider seines Herrn in den Händen und wartete ungeduldig darauf, daß D'Aguile sich doch endlich erheben möge.

"Gebieter, das müßt Ihr sehen! Es ist furchtbar! Die Rebellen....." "Warum sagst du das nicht gleich?" herrschte der Franzose den Unglücklichen an und sprang auf. In Windeseile hatte er sich angekleidet und eilte quer durch das Lager an den Ort, an den sein Knappe ihn führte.

Pfeifend sog Leonard die Luft ein, als er es sah: am anderen Ende des Lagers der christlichen Kreuzfahrer, wo die Stoßtruppen ihre Quartiere hatten, lag ein Hauch von Tod und Verderben in der Luft. Keiner der Männer war mehr am Leben, sie alle lagen in ihrem eigenen Blut, so, als wären sie von ihren Mördern im Schlaf überrascht worden. Aufgeschlitzt vom Hals bis zum Bauch, mit kleinen, golden blinkenden Münzen auf den leblosen Leibern.

Den Franzosen würgte es. Dieses Massaker war eine Kriegserklärung! Und er war fest entschlossen, die Rebellen jetzt sofort restlos auszulöschen!

"Niemand faßt was an! Geh und hol Markus, den Knappen von Turok! Er muß seinen Herrn holen, damit wir diese Höllenbrut endlich vernichten können!!!" Sein eigener Knappe verneigte sich tief und eilte davon.

Die Tage vergingen wie im Flug und Kronos und Methos genossen das Zusammensein. Es war fast wieder so, wie in den alten Zeiten, und manchmal kam es ihnen so vor, als brauchten sie sich nur umzudrehen und dann würden auf den Dünen hinter ihnen die Silhouetten von Silas und Caspian auftauchen und ihnen zuwinken. Alles wäre wieder so, wie es mal war: frei und ungebunden, voller Tatendrang und ein brennendes Verlangen in den Adern, das ihr Blut erhitzte und sie zu ihren nächsten Taten trieb, Herren über Leben und Tod, den Göttern gleich.

Doch so sehr Methos dieses Gefühl auch genoß, so sehr war er auf der Hut. Noch immer befürchtete er, Kronos könne versuchen ihn dazu zu bringen, sich ihm anzuschließen und mit den Kreuzfahrern zu ziehen. Doch nichts von alledem tat der andere. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein, obwohl ihm - wie immer - nichts entging. Methos schmunzelte stets, wenn er es bemerkte. Es war offensichtlich, daß die Gedanken seines Bruders bei einem jungen Mädchen mit blauen Augen weilten, so offensichtlich, als hätte er es ausgesprochen. Methos war zu gespannt, was sich daraus ergeben würde.....

Aufatmend ließ Kronos sich in das heiße Wasser hineinsinken, das Methos' Leute ihnen als Bad bereitet hatten. Im Zuber neben ihm entspannte sich der andere Unsterbliche. Sie hatten eine gute Zeit gehabt, doch sie freuten sich auch auf die Annehmlichkeiten, die die Zivilisation mit sich brachte. Ein heißes Bad, zum Beispiel, und die sanften, massierenden Hände einer jungen Sklavin, die ihn wusch.

"Ihr habt Euch angenehm unterhalten, Herr?" erkundigte sie sich leise. Er lächelte. "Ja, habe ich." "Ja, hat er wirklich." bestätigte Methos grinsend. "Und er hat dich vermißt, Alana."

Das Mädchen wurde über und über rot.

"Hmm, immerhin mußten wir nun alleine Feuer machen und uns um alles andere kümmern!" lachte Kronos gut gelaunt. Sie seifte ihm den Rücken ein und wusch es dann vorsichtig ab. "Nun, Herr, das ist es doch, was Ihr wolltet, nicht wahr", erwiderte sie lächelnd dabei. "Sag mir, wie wir es sonst hätten bewerkstelligen sollen, wenn nicht so." Sie legte den Kopf schief und dachte einen Augenblick nach. "Ihr hättet hier im Hof Euer Lager aufschlagen können." Methos bog sich vor Lachen. "Bruder, diese Kleine ist goldrichtig! Ein kluges Kind!" Auch Kronos lachte. "Ja, hätten wir. Und jeden Tag hättest du uns unser Mahl gebracht und uns umsorgt, wie nur du es kannst, Komm her!" Er faßte sie um die Mitte und zog sie kurzerhand ins Wasser, worauf sie sich gespielt empört wehrte. Sie balgten etwas, dann zog der Krieger sie mit festem Griff an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie in helles Lachen ausbrach, dem beide Männer entzückt lauschten.

Hufschlag kam auf und verwundert wandten die beiden Männer ihre Köpfe; Alana tat es ihnen nach. "Herr, das ist Markus!" rief sie aus. Überrascht ließ Kronos sie los und sie kletterte eilig aus dem Holzzuber. Am Tor sprang Markus vom Pferd herunter und fiel dann vor seinem Herrn auf die Knie. "Vergebt mir, Herr, daß ich Eure Ruhe störe, doch der Herr D'Aguile schickt mich! Er wünscht, daß Ihr sofort wieder ins Lager zurückkehrt." Kronos fläzte sich etwas tiefer ins Wasser. "Und warum will er das?" erkundigte er sich mäßig interessiert. "Herr, die Rebellen haben die Stoßtruppen ermordet!"

Mit einem Satz war Kronos aus dem Wasser raus und stand schon fast in seinen Hosen. Ohne daß er etwas sagen mußte, war Alana davongeeilt und sorgte dafür, daß sein Pferd gesattelt wurde und holte ihres Herrn Mantel und Schwert. Mit diesen Dingen gewappnet betrat sie den Hof erneut und ging dem Berater zur Hand.

Methos beobachtete ihre flinken Hände, die geschwind über seinen Bruder hinweg huschten und in erstaunlicher Schnelligkeit ihr Werk vollendeten.

Nun brachte sie den Mantel an, den Kronos ihr schroff aus den Händen riß, als ihm das alles immer noch nicht schnell genug ging. Mit einigen ausholenden Schritten war er bei seinem Pferd und warf dann einen nachdenklichen, flüchtigen Blick auf Alana, die sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Was er für einen Ritt mit ihr brauchte, war Zeit, - und die hatte er nicht! Und was nun?

Methos winkte aus seinem Bad heraus lässig ab. "Ich bringe sie dir nachher ins Lager. Reite nur schon!" Kronos warf seinem alten Kampfgefährten einen erleichterten Blick zu, griff seinem Pferd in die Mähne, schwang sich hinauf und schon galoppierte er mit Markus davon, die anderen in einer dichten Staubwolke zurücklassend.

Alana tat einige Schritte hinter den Reitern her, dann blieb sie stehen und sah ihnen nach. Sie hatte die Hände vor der Brust gefaltet und bewegte lautlos die Lippen, während sie ihnen so hinterher blickte.

"Alana!" Sie fuhr wie ertappt herum. "Gebieter?" Methos lächelte freundlich. "Geh und pack eure Sachen zusammen. Wenn ich hier fertig bin, werden wir ihnen folgen." "Ja, Gebieter." Sie verneigte sich tief vor dem unsterblichen Burgherrn und entfernte sich dann schnell.

* *
 

Kronos wartete gar nicht erst ab, bis sein Pferd stand, sondern sprang schon in der Bewegung ab und landete geschmeidig auf dem Boden. Hastig eilte er dem Ort des Geschehens zu. D'Aguile saß noch immer bei den Leichen und starrte sie fassungslos an.

"Was ist geschehen?" Leonard entging der schroffe Ton, in dem sein Berater mit ihm sprach. Er war noch immer erschüttert über so viel Hinterlist und Grausamkeit, daß er keinen klaren Gedanken fassen konnte. "Ich weiß es nicht. Scheinbar wurden sie im Schlaf überrascht und ermordet." Er fuhr hoch, seine wässrigen Augen leuchteten wie im Fieberwahn. "Niemand hat was gesehen oder gehört! Turok, WO WART IHR, ZUR HÖLLE???" "Bei einem Freund, das wißt Ihr doch, edler Herr." erwiderte der gleichmütig, ohne auf den jähen Stimmungsumschwung seines Kriegsherrn einzugehen. Nachdenklich ruhte sein Blick auf den Leichen. Die Sonne stand nun hoch am Himmel und es breitete sich ein erbärmlicher Gestank aus.

"He, ihr da! Holt euch Hilfe und dann schafft sie weg, bevor wir hier alle noch ersticken!" wies der dunkle Krieger ein paar Soldaten an, die seinem Befehl nur zögerlich nachkamen. Ausdruckslos sah er dem Fortschaffen der Leichen zu, in seinem Hirn arbeitete es unermüdlich.

Wie konnte das geschehen? Hier lagen an die hundert Tote, also mußten ihre Mörder auch nicht eben wenige gewesen sein. Ging denn hier alles schief, wenn er einmal den Rücken kehrte??? Unruhig wanderte er durch die Toten hindurch. Es konnte doch nicht angehen, daß hundert Rebellen ungesehen in das Lager hinein marschierten, gute Männer meuchelten und unbehelligt wieder verschwinden konnten!!! Zauberei? Kronos schnaufte verächtlich.

Die Soldaten starben fast vor Angst vor den vermeintlichen Geistern. Sie erinnerten sich an die Übergriffe bei den Patrouillen, die zwar nach Turoks einmaligem Begleiten aufgehört und sich nicht mehr wiederholt hatten, doch deswegen hatten sie die Vorfälle noch lange nicht vergessen! Es mußten Geister sein. Tauchten sie nicht immer unvermittelt auf und verschwanden danach wieder spurlos? Es war schier unmöglich, ungesehen ins Lager zu kommen, und dann auch noch hundert Männer ohne einen Laut zu töten.... Panik breitete sich unter den einfachen Männern aus.

Hinter ihm entstand Bewegung und ein Soldat meldete ihm: "Edler Herr, da ist ein Mann, der zu Euch will. Er führt Eure Sklavin mit sich." "Führ ihn hierher!" murmelte Kronos gedankenverloren.

Methos trat nur einen Augenblick später neben ihn und sah ausdruckslos auf die Toten, die noch nicht weggeschafft worden waren. Hinter ihm stand Alana, die würgte beim grausigen Anblick. "Nett." bemerkte Methos kalt. "Das sind eure Stoßtruppen? Sag mir, Bruder, wie konntet ihr es mit denen bis hierher schaffen?" Wütend fuhr Kronos' Hand durch die Luft. "Das waren unsere besten Männer!" knurrte er böse. Aufgebracht trat er einem der Toten in die Seite. "Ich glaub es ja gar nicht!" Er heulte auf vor Wut. "Wie konnte das nur passieren???" Ungerührt drehte Methos sich um und überblickte die Lage. Aufmerksam wurde er, als er Alanas Blick sah, der von einigen Tonkrügen gefesselt schien, die am Boden lagen. Mit drei Schritten war er bei den Krügen und schnupperte an deren Inhalt.

"Wein." stellte er dann ruhig fest. "Könnte es sein, daß sich eure Leute sinnlos betrunken haben und deshalb den Feind nicht kommen hörten?" Er nahm einen umherliegenden Becher und schenkte sich etwas von der rubinroten Flüssigkeit ein. Bedächtig schnüffelte er. "Mmhmm, riecht gut. Hier, nimm einen Schluck, er wird dich gewiß beruhigen." Er hielt Kronos den Becher hin, der ihn achtlos nahm und an die Lippen führte.

"Nein, Herr!!!"

Verwundert durch Alanas fast panischen Aufschrei hielt Kronos in der Bewegung inne und sah sie fragend an. Hastig nahm sie ihm den Becher aus der Hand und kippte dessen Inhalt aus. "Er ist vergiftet! Seht doch!" Sie hielt ihm den metallenen Becher hin, dessen goldene Innenseiten sich Schwarz verfärbt hatten. Verblüfft starrte Kronos zunächst in den Becher, dann verengten sich seine Augen und er heftete seinen lodernden Blick fest auf seine kleine Sklavin.

"Und woher wußtest du das, mein Kind?"

Ja, das würde Methos auch interessieren. Er hätte es nicht bemerkt.

Unschuldig blickten ihre blauen Augen zu ihrem Herrn auf. "Herr, ich habe es gerochen. Bitte..." Sie machte eine einladende Handbewegung und Kronos folgte ihr und hockte sich neben sie auf den Boden, direkt neben den Tonkrug, aus dem Methos den Wein genommen hatte. Sie fächerte dem Berater den Duft des Weines entgegen, den er tief einsog. "Wenn Ihr es bemerken wollt, dann riecht Ihr einen leicht strengen Geruch, der fast vollkommen von den Düften der Früchte und Gewürze überdeckt wird. Das, Herr, ist ein Kraut, welches man in der Heilkunde einsetzt und eigentlich besitzt es heilende Wirkung. - Sofern man nur sehr wenig davon einnimmt. Wenn es jedoch, so wie hier, in größeren Mengen Gerichten oder Getränken beigemischt wird, ruft es zunächst einen starken Rausch hervor, dem ein todesähnlicher Schlaf folgt. Nimmt man zu viel, führt es zum Tod."

Methos folgte ihren Ausführungen gespannt. Sie hörte sich wie eine professionelle Giftmischerin an, als sie ihnen die Auswirkungen dieses Krauts erklärte. Und erst als er sich redlich abmühte, konnte er den Hauch eines "leicht strengen Geruchs", wie sie ihn beschrieben hatte, wahrnehmen. In der Tat war es nur ein Hauch, man mußte schon genau wissen, worauf man zu achten hatte, wollte man ihn wahrnehmen, wurde er von sämtlichen Düften des Weines fast gänzlich überdeckt.

Kronos nickte bedächtig. "Gut, gut. Und wie heißt dieses Wunderkraut?" "Das, Herr, weiß ich nicht", antwortete sie beschämt. "Ich bin keine Heilerin und das wenige, das ich weiß, ist kaum der Erwähnung wert. Aber ich kann es Euch zeigen! Ich weiß, wie es aussieht." Der schlanke Mann winkte ab. "Nein, laß gut sein. Ich glaube dir auch so und letztlich ist es egal, was dem Wein beigemischt war. Aber es ist gut zu wissen, mit was für Mitteln die Rebellen mittlerweile arbeiten." murmelte er weiter, als denke er nach. "Alana, du gehst in mein Zelt und bewegst dich nicht vom Fleck, bis du anderweitige Anweisungen von mir erhältst! Methos, du wirst mich begleiten. Wir werden ein paar Worte mit D'Aguile wechseln."

"Nun, meine Freunde, wie ich sehe, seid ihr sehr zahlreich erschienen, um die Christen ein für alle Mal aus unserem Land zu vertreiben." Der alte Mann schritt zufrieden vor den versammelten Männern auf und ab und musterte dabei jeden einzelnen von ihnen eingehend. "Der Anfang ist gemacht. Das Massaker hat die Pilger aufgerieben und ihnen empfindliche Wunden zugefügt", fuhr er dann kalt fort. "Nun müssen wir dafür sorgen, daß sie endgültig vernichtet werden und freiwillig weiterziehen oder hier ihre letzte Ruhe finden." Er gab einem aus der Leibgarde einen kleinen Wink und der Mann trat vor und stellte sich vor den Menschen in Positur. Ein großer dunkler Mann mit maurischem Aussehen, ein Nacken, so breit wie ein Stier und Hände, die einem Riesen Ehre gemacht hätten. "Unser über alles geliebter König wünscht einen schnellen Angriff, sauber und präzise." Einer derjenigen, die dem König folgten, trat einen Schritt vor und hob die Hand. "Wie soll das geschehen, Karim? Die Christen sind nun gewarnt, sie werden ihre Wachen verdoppeln und uns so keine Gelegenheit mehr geben, sie im Schlaf zu überraschen. Turok ist zurückgekehrt; er wird schon dafür sorgen, daß uns kein weiterer Schlag gegen die Kreuzfahrer mehr gelingen wird." Der mit Karim angesprochene lächelte zufrieden. "Wir werden sie überrumpeln. Aber nicht still und leise, sondern laut und mächtig, damit sie auch merken, daß wir da sind!" Die Palastgetreuen hielten den Atem an. War der Herrscher übergeschnappt? Dies war auf keinen Fall ein Plan ihrer Königin, denn sie würde sich etwas derartiges nicht einfallen lassen! Was sollte das bedeuten 'laut und mächtig'? Wollte man sie gewaltsam in den Tod treiben?

Karim lächelte immer noch. Selbst als die Unruhe sich unter seinen Anhängern erhob, blieb es wie festgewachsen in seinem Gesicht haften. "Wir werden sie angreifen und ihr Lager in Schutt und Asche legen!" verkündete er dann mit fester Stimme. "Wird das nicht den Zorn der Soldaten auf uns ziehen?" Kalt blickten die dunklen maurischen Augen auf den Sprecher. "Hast du etwa Angst, Feigling?" fragte der Oberste der Leibgarde herausfordernd. Als er keine Antwort erhielt, führte er weiter aus: "Ich werde zwei Kohorten benötigen, welche die Wachen ablenkt, damit drei weitere in das Lager eindringen können. Und dann werden nach und nach sechs folgen. Es sollte schon mit dem Teufel zugehen, würden wir diese Bastarde morgen Nacht nicht besiegen!!!"

Feuer und Hitze, dichter Rauch und Schreie: im Lager der Kreuzfahrer tobte das Chaos! Die Soldaten versuchten verzweifelt, die Feuer zu löschen, während sich die, welche nicht mithalfen, sich gegen die angreifenden Rebellen und Städter zu verteidigen suchten. Kronos rannte zwischen ihnen einher und versuchte, Ordnung in die aufgelösten Reihen zu bringen und ihnen die Disziplin zurückzubringen. Zwischen den Leuten rannten diejenigen, die sich den Kreuzfahrern angeschlossen hatten, aufgelöst, in hellster Panik, und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Doch egal, wo sie hinliefen, entweder erwartete sie der Tod durch ein Schwert oder die sengende Hitze des Feuers. So oder so: es gab kein Entrinnen. Und diejenigen, welche die Gunst der Stunde nutzten, stahlen, was sie zwischen die Finger bekamen und schafften es fort. - So weit, wie sie kamen....

Kronos' Gesicht war geschwärzt von Ruß, durchlaufen von hellen Streifen, wo ihm der Schweiß übers Gesicht lief. Er hastete durch die Männer und wies sie mit herrischer Stimme an, sie sollten sich mit dem Löschen beeilen und wo sie noch mehr Wasser draufgeben sollten.

Aus den Augenwinkeln sah er eine schmale, weißgewandete Gestalt an sich vorüber laufen, in der er Alana erkannte. Er wollte sie zu sich rufen, wurde jedoch von aufgelösten Soldaten abgelenkt und als er sich wieder nach ihr umdrehte, war sie verschwunden. Er runzelte die Stirn, hatte allerdings nicht die Zeit, sich weitere Gedanken darüber zu machen.

* *
 

Panisch blickte Alana sich um. Um sie herum war alles in hellster Aufregung und rannte wild durcheinander. Sie konnte niemanden sehen, den sie kannte, und wenn sie doch einmal glaubte, jemanden zu erkennen, so war er meist auch schon wieder ihren Augen entzogen. Turok! Wo war Turok? Sie drehte sich einmal um sich selbst, ihre Augen suchten nach dem Mann, von dem sie sich Sicherheit versprach in diesem Chaos. Sie konnte ihn nirgends entdecken und so rannte sie ziellos weiter.

Die Zelte um sie herum brannten lichterloh, keiner der Menschen machte sich die Mühe, sie zu löschen. Sie sammelten das wenige, das sie an Wertvollem noch finden konnten, hastig ein und nahmen es mit sich, während sie einen Weg aus der brennenden Zeltstadt suchten. Menschen schrien vor Schmerz, am Boden lagen Tote, teilweise durch ein Schwert gestorben, teilweise an schweren Verbrennungen, weil sie sich entweder im Zelt aufgehalten hatten, als es anfing zu brennen, oder weil sie versucht hatten, das Feuer zu löschen. Das junge Mädchen würgte es und ihr Magen rebellierte gegen den Geruch, dem sie nicht entkommen konnte. Sie erinnerte sich an die Rebellen, die D'Aguile und Turok auf dem Scheiterhaufen hatten verbrennen lassen. Der Geruch von verbranntem Fleisch war ihr noch immer in der Nase gewesen und nun... Sie fühlte sich, als müßte sie sich laufend übergeben.

Sie roch angesengtes Haar, verbrannte Kleidung, sah Ohnmacht und Zerstörung. Vor ihr tauchte jäh ein Mann auf, der einer lebenden Fackel glich: er stand lichterloh in Flammen und schrie, ruderte mit den Armen und taumelte auf sie zu, die wie erstarrt auf die kommende Bedrohung blickte. Er würde sie ebenso in Flammen setzen wie die Zelte, an denen er vorbei stolperte, wenn sie nicht zusah, daß sie wegkam. Wie gebannt schaute sie dem schockierenden Schauspiel zu, das sich ihr bedrohlich näherte.

Hinter ihr kam Hufschlag auf und der Boden bebte unter den schweren Hufen der Pferde, die sich ihren Weg rücksichtslos durch das Lager bahnten. Schlanke, geschmeidige Tiere, mit herrlich schimmerndem Fell und vollendeter Eleganz und Schönheit. - Die Pferde der Palastgetreuen! Alana riß die Augen weit auf, als sich eines der Tiere auf sie zu bewegte, dann beugte sich der Reiter blitzschnell zu ihr hinunter und riß sie zu sich auf das Pferd herauf, gab dem Tier die Zügel und es schoß durch die Masse an warmen Leibern, die unter seinen Hufen fielen und, wenn sie nicht schnell genug wieder auf den Beinen waren, unter den Hufen der nachfolgenden Pferde zertrampelt wurden.

"Nein! Nein!" schrie sie immer wieder, selbst dann noch, als sie das Lager hinter sich ließen und durch die finstere Nacht ritten, die in ihrem Rücken durch den roten Feuerschein erhellt wurde. Dem Reiter wurde es bald zu dumm und mit einem gezielten Faustschlag brachte er seine nervende Last zum Schweigen....

* *
 

Das Inferno dauerte fast die ganze Nacht an und als der nächste Morgen graute, wurde das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich: gut zwei Drittel aller Zelte waren zerstört, überall lagen verkohlte oder zerstückelte Leichen und über all dem lag der bittere Hauch von Tod wie ein Leichentuch und machte den Überlebenden das Atmen schwer.

"Es wird Wochen dauern, bis wir alle Toten begraben haben." jammerte D'Aguile, als er sich ein Bild von der Lage gemacht hatte. "Ja, Herr." erwiderte Kronos tonlos.

Er war müde und zu Tode erschöpft und wünschte sich nichts sehnlicher als sein Lager und drei Tage durchschlafen. Als die Feuer langsam verloschen, hatte er seine Sklavin gesucht, sie jedoch nicht gefunden. Sein Zelt war ein Bildnis blinder Zerstörungswut gewesen, alles war zerschlagen, umgekippt und zerstört worden. - Von Alana keine Spur! Er hatte sie im ganzen Lager gesucht, doch durch die allgemein entstandene Panik hatten die Menschen sich in alle Winde zerstreut und wahrscheinlich war sie mit den anderen geflüchtet oder man hatte sie mitgenommen. Gewiß würde sie bald zu ihm zurückkehren. - Zumindest hoffte er das....

Energisch hob der Franzose den Kopf. "Warum lassen wir die Toten nicht einfach von denen wegschaffen, die verantwortlich dafür sind, daß es sie überhaupt gibt!?" "Was meint Ihr?" "Ich meine, wir sollten unser Lager abbrechen und nach Edessa weiterziehen!"

"Ihr wollt Euch geschlagen geben?" fragte Kronos scharf. "Nein, ich will das klügste tun, was dieser Situation angemessen ist", fuhr Leonard erregt auf. Auch bei ihm hatte die vergangene Nacht Spuren hinterlassen und Erschöpfung und Verzweiflung hatten bei ihm Einzug gehalten.

Als der Comte Leonard D'Aguile diesen Kreuzzug begonnen hatte, war es ihm egal gewesen, ob er lebte oder starb. Doch mittlerweile, nach all dem Elend und den Widrigkeiten, die er in der Zwischenzeit erlebt hatte, wollte er nur noch überleben und heim. Auf seine Güter und zurück zu dem kleinen Landhaus, wo er sein eigener Herr war, wo er bei den Festen der Adeligen mit seinen Heldentaten glänzen und den ein oder anderen potentiellen Favoriten beeindrucken konnte. Was kümmerte ihn der Papst oder sein König, der Zuhause in Paris saß und sich seines Lebens erfreute? Oder der Kardinal, der wie immer kluge, besonnene Worte sprach und die Pilger mit Gebeten begleitete und ihnen die Absolution für all ihre Verfehlungen versprach, sollten sie heile nach Hause zurückkehren? D'Aguile wollte nur noch eins: Leben um jeden Preis! Selbst wenn das hieß, daß er sich vor ein paar bäurischen Rebellen geschlagen geben müßte!

"Herr, wir brauchen alle etwas Schlaf. Laßt uns später darüber sprechen." erwiderte Kronos so ruhig, wie es ihm möglich war. "Ich habe gehört, daß Entsatzungstruppen gesandt wurden. Wir haben keine Zeit mehr, um uns in Ruhe auszuschlafen! Turok, wir müssen weiterziehen!!!" "Später!" wiederholte Kronos scharf, bevor er sich erhob und dem Ausgang zustrebte.

"Ihr solltet Euren Kopf nicht wegen eines Mädchens verlieren, Turok! Sie ist es nicht wert!"

Leonards halblaut gerufenen Worte hielten Kronos im Eingang auf und er antwortete mit der Stoffbahn in der Hand, jedoch ohne sich umzudrehen: "Ich habe meinen Kopf noch, Herr, und habe auch nicht die Absicht, ihn zu verlieren." "Glaubt Ihr etwa allen Ernstes, sie würde zu Euch zurückkehren? Ihr habt sie versklavt! Sie wird sich so schnell es geht aus dem Staub machen!" D'Aguiles Stimme hörte sich jetzt boshaft und schrill an, als er von seinem Stuhl hochfuhr und in seinen wässrigen Augen brannte ein leidenschaftliches Feuer, als er seinen Berater nun anfunkelte. Langsam drehte Kronos sich um und das Feuer in seinen Augen konnte es alle Mal mit dem von D'Aguile aufnehmen.

"Wenn sie lebt, wird sie zurückkommen. - Doch das werdet Ihr nie verstehen!"

Dann drehte er sich ebenso langsam wieder um und ging endgültig, einen völlig verdatterten Comte zurücklassend, der sich kaum von diesem Schlag ins Gesicht erholen konnte.

Da sein eigenes Zelt zerstört war, suchte Kronos Robert auf, dessen Zelt der Feuersbrunst entgangen und unversehrt geblieben war. Selbstverständlich bot Robert seinem Führer Obdach an. - Und einen Becher Wein, den er hatte retten können.

"Es wird Tage, wenn nicht gar Wochen dauern, dies alles wieder in Ordnung zu bringen." bemerkte er, als sie sich gegenüber saßen. Langsam trank Kronos den recht mittelmäßigen Wein in kleinen Schlucken, bevor er ihn absetzte. Seine Kehle fühlte sich noch immer an wie ausgedörrt und das lauwarme Gesöff konnte daran auch nichts ändern. Aber es füllte seinen Magen und machte ihn benommen, angenehm träge und müde, so daß er sich nur noch sein Lager wünschte.

"Ja. Aber D'Aguile will nicht mehr so lange warten. Er will, daß wir sofort nach Edessa aufbrechen." "Das ist Wahnsinn! Die Männer können kaum mehr stehen, geschweige denn Marschieren! Wie sollen sie den Weg dorthin schaffen?" Müde winkte der dunkle Krieger ab. "Ich weiß das, du weißt das... Aber mach dem Franzosen das mal klar! Robert, laß uns morgen weiter darüber reden. - Ich brauche etwas Schlaf, wenn du erlaubst." "Gewiß doch, Herr, verzeiht mir mein Ungeschick. Wenn Ihr mein Lager nehmen wollt?" Dankbar winkte der schlanke Mann ab. "Nein, ich nehme mir nur eine Decke und bleibe gleich hier sitzen." Robert nickte und reichte Turok die gewünschte Decke, der sich darin einwickelte und erleichtert die Augen schloß.

Es war für alle anstrengend gewesen, für sie wie für die Rebellen. Kronos war sich sicher, daß sie jetzt erst mal Ruhe vor ihnen hatten, denn sie mußten sich ja auch irgendwann mal ausruhen. Nur ein paar Stunden Schlaf! Dann wäre er wieder gestärkt genug, um sich wieder voll und ganz der Sache zu widmen. Ein paar Stunden nur....

* *
 

Im Schlaf langte er nach dem warmen Leib, der immer neben ihm lag und ihn angenehm wärmte. Suchend fuhr seine Hand umher, bis sein Geist gewahr wurde, daß Alana nicht da war. Mit einem Schlag war Kronos wieder hellwach. Und die ganze vorherige Nacht stand ihm wieder vor dem geistigen Auge: das Feuer, Alana, die verängstigt umherirrte, seine erfolglose Suche nach ihr, das Chaos und die Zerstörung. Sollten sich all seine Pläne wieder in Luft auflösen? Würde er wieder einmal so kurz vor seinem Ziel scheitern? Mit einem unterdrückten Laut fuhr er hoch.

Clavier beobachtete ihn mitleidig. Turok vermißte offensichtlich seine kleine Gefährtin, schon die ganze Nacht hatte er sie im Schlaf gesucht und nach ihr gerufen. Ob sie zu den bedauernswerten Opfern der letzten Nacht gehörte? Er hoffte es nicht, alleine schon um der Kleinen selbst nicht.

Er schob seinem Anführer einen Becher Wein und einen Laib Brot zu, der beides nahm und heißhungrig verschlang. Danach erhob er sich und klopfte sich mit beiden Händen die Hose ab. "Ich denke, ich gehe nun zum Comte, um ihn davon zu überzeugen, daß ein Weiterziehen in der jetzigen Situation fatal wäre." Robert nickte ruhig. "Ja, überzeugt ihn. Wenn er nicht drei Viertel seiner Leute einbüßen will, wird er warten müssen."

Kronos wandte sich zum Gehen. Im Eingang verhielt er im Schritt und es sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber dann entschied er sich anders und ging dann doch.

Robert nickte bedächtig, dann erhob er sich auch und ging, seinen Knappen suchen. "Geh und hol mir die anderen Führer! Und so viele Knappen, wie du finden kannst! Wir müssen den Ernst der Lage feststellen."

Und als alle beisammen waren, machten sie sich auf und durchkämmten das Lager langsam und sorgfältig, Stück für Stück. Sie betrachteten jeden Toten, halfen den Verletzten so gut es ging, sammelten Diebesgut ein und wiesen den Verwirrten den Weg aus der zerstörten Zeltstadt. Ihre Arbeit war schwer und manches Mal waren sie so weit, daß sie dachten, sie könnten nicht mehr weiter. Die Knappen waren schon weit vor Mittag sehr darüber erstaunt, daß sie sich überhaupt noch übergeben konnten. Denn zum einen hatten sie morgens kaum etwas gegessen - wenn überhaupt - und zum anderen konnten sie gar nichts mehr in den Mägen haben, die sich immer wieder umdrehten bei dem schaurigen Anblick, der sich ihnen immer wieder aufs neue bot.

* *
 

Am frühen Nachmittag verließ Turok endlich das Zelt des Comte D'Aguile. Er hatte lange auf den Franzosen einreden müssen, um ihn von der Notwendigkeit ihres Hierbleibens überzeugen zu können und ihn dazu zu bringen, noch ein paar weitere Tage hier zu rasten, bis die Soldaten sich soweit wieder erholt hatten, daß sie abrücken konnten.

Er trat hinaus, fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar und über das Gesicht und schritt dann langsam und erschlagen auf die verlassene Koppel zu, auf der gestern noch sein Pferd gegrast hatte. Mit leerem Blick starrte er auf das zertrampelte Gras, welches als einziges übriggeblieben war. Robert trat mit William leise zu ihm und sie teilten seinen Blick über die trostlose Öde.

"Wir haben sie nicht gefunden, Turok", sagte Robert schließlich leise. Der reagierte nicht. "Das kann doch heißen, daß sie noch lebt." "Zweifelst du daran?" Kronos' Stimme klang leise, doch schneidend. "Nein", erwiderte Robert vorsichtig. "Aber wir konnten einige der Pferde wieder einfangen. Das Eure ist auch darunter." Nun kam Leben in den schlanken Mann. "Wo habt ihr ihn gefunden?" "Als wir über die Ebene gingen, um sie zu suchen, kam er uns entgegen und führte die anderen, scheinbar als Herde, mit sich zurück." Wenigstens einer, der mich nicht im Stich läßt!, dachte Kronos bitter, rief sich jedoch sofort zur Ordnung. Wenn es Alana möglich wäre, würde sie kommen, er hätte sein Leben darauf verwettet. Und dann war da ja noch Methos....

Methos! Die Entsatzungstruppen!

Hastig drehte er sich um und lief auf sein Pferd zu. "William Robert! Sorgt dafür, daß während meiner Abwesenheit eine Ausgangssperre in der Stadt verhängt wird! Jeder, der sie bricht, wird sofort getötet! Bringt die Männer zur Vernunft! Ich bin in zwei oder drei Tagen wieder da!"

Verdutzt starrten die beiden Männer ihm nach, wie er auf den Rücken seines Pferdes sprang und davongaloppierte, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.

"Was hat denn das zu bedeuten?" Robert zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es auch nicht. Aber wir sollten tun, was er verlangt. - Er wird schon wissen, was gut ist." William nickte zustimmend und dann begaben sie sich auf den Weg, um Turoks Anweisungen auszuführen.

* *
 

Drei Tage später kehrte Kronos mit vier Dutzend Männern und einer guten Menge an Proviant ins Lager der Kreuzfahrer zurück. William und Robert hatten - so gut es ging - Turoks Anweisungen erfüllt und hatten das Lager in einen annehmbaren Zustand gebracht, wie Kronos mit einem schnellen Blick registrierte.

Verwundert betrachteten die Männer die Leute, die Turok folgten. Sie ritten gute Pferde, allesamt wohlgenährt und mit seidigem Fell, mit kostbarem Zaumzeug und Sätteln, wie sie es hier im Lager nicht mehr gab. Die Soldaten, denn offenbar waren es welche, steckten in voller Rüstung, waren groß und kräftig, bereit, alles zu tun, was von ihnen verlangt wurde.

Geschmeidig glitt Kronos aus seinem Sattel und ließ dem Pferd die Zügel schießen, damit es zur Koppel trabte, wo man sich seiner annehmen würde. Im Laufschritt wandte er sich an William: "Ist alles vorbereitet?" "Ja, Turok. Wir warten auf Eure Befehle." "Hol die Führer und bring sie zu D'Aguile! Wir haben etwas zu bereden!" William eilte davon, während Kronos Leonards Zelt betrat und sich seinem Kriegsherrn gegenüber setzte. Als auch die anderen da waren, begann er: "Ich war bei einem alten Freund, der uns seine Unterstützung zugesagt hat, so weit und so lange wir sie benötigen. Da draußen stehen vier Dutzend bester Soldaten, mitsamt Pferd, Waffen und genug Proviant für sie und uns." "Und was sollen wir mit ihnen anstellen?" fragte D'Aguile desinteressiert. "Wir werden sie den Entsatzungstruppen entgegenschicken!" Der fremde Krieger stand unruhig auf und schritt im Kreis herum. "Sie sind nicht mehr weit entfernt und wir müssen handeln. Diese Soldaten sind die besten, die es in diesem Landstrich gibt, mit Ausnahme der..... Wie dem auch sei, sie haben Order für uns zu kämpfen und sind bereit, ihr Leben für uns und unsere Sache zu geben. So sind wir diese eine Sorge schon mal los und müssen uns nur noch um die Rebellen kümmern. Was macht die Ausgangssperre?" "Sie steht. Jeder, der es wagen sollte, sie zu brechen, wird sterben. - So, wie Ihr es gewünscht habt." "Gut." Der Berater nickte knapp. "Sie werden versuchen, die Städter auf ihre Seite zu ziehen und sie in diesen Kampf mit hineinzuziehen. Wir müssen das verhindern. Laßt morgen in der Stadt verkünden, daß jeder, der auch nur im Verdacht der Sympathisierung steht, ohne Verhandlung sterben wird. Sie möchten sich doch bitte an die Kreuzigungen erinnern.... Sonst noch was?"

Niemand wagte ein Wort zu sagen. Turok war kalt wie Eis und sein Auftreten ließ erahnen, wie grausam er sein konnte, forderte man ihn heraus. Mit der Brandschatzung des Lagers und dem Massaker an den wehrlosen Leuten waren die Rebellen eindeutig zu weit gegangen und nun würden sie die ganze Härte zu spüren bekommen, derer die Pilger fähig waren.

"César, du und Louis, ihr werdet die Männer zu den Entsatzungstruppen begleiten und mir später Bericht erstatten! William, Robert, ihr begleitet mich. Patrick, du sorgst für die Verkündung unserer Nachricht im ganzen Land. Nimm eine Eskorte mit. Solltet ihr Grund zu Mißtrauen haben, wißt ihr, was ihr zu tun habt. Comte, ich wäre Euch sehr verbunden, würdet Ihr Euch persönlich um die Verteilung des Proviants im Lager kümmern, damit es gerecht geschieht. Alles klar? Gut, dann los! Wir haben keine Zeit zu verschwenden!"

Und schon war der Berater hinaus, gefolgt von Monnay und Clavier, die sich zwar keinen Reim auf diese Anweisungen machen konnten, die ihrem Führer aber bedingungslos vertrauten.

Turok führte sie in das Lager hinein. "Wer ist tot und wer wird noch vermißt?" William zählte die Toten auf, während Robert im Kopf all die Vermißten zusammenzählte und sie dann dem Mann berichtete. Geduldig hörte Kronos zu, ohne auch nur ein Wort dazu zu sagen. Wenn man die Alten abzog und nur die jungen und kräftigen nahm, so konnte man den Eindruck haben, daß sie zu den Rebellen gehört haben mußten. Eingeschleust, um sie auszuspionieren. Nun gut, dieser Fehler würde ihnen kein zweites Mal unterlaufen. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Zurückgebliebenen und wies seine Begleiter dann an: "Den da, den, den,... den.... mitnehmen!" Er fackelte nicht mehr lange, ließ die jungen Leute auf die Ebene vor das Lager führen und dort töten. Ihre Leichen ließ man einfach liegen.

Ohne auf das Gejammer und Wehgeklage der Alten zu hören, stellte Kronos sich vor sie hin und verkündete mit lauter, fester Stimme: "Jeder, dem mein Vorgehen nicht paßt, kann jetzt gerne vortreten und mir sein Anliegen vortragen. Niemand? Auch gut. Ich erwarte von euch, daß ihr euch ruhig verhaltet. - Anderenfalls wird es euch wie denen da draußen ergehen. Noch Fragen? Nein? Gut." Abrupt wandte er sich ab und begab sich wieder zu D'Aguile, um mit ihm ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Der nächste Angriff der Rebellen würde ganz gewiß kommen. - Doch dann wären sie vorbereitet!

Die Männer hatten sich wieder einmal in einem der großen Häuser versammelt, um sich über die neuesten Nachrichten zu unterhalten. "Ich halte es immer noch für richtig, wenn wir den Rebellen keinen Unterschlupf gewähren." Einer derer, die sich zu Stadtältesten aufgeschwungen haben, warf sich in die Brust und funkelte die anderen Anwesenden herausfordernd an.

"Glaubt ihr, die Soldaten werden ihr Wort halten und uns in Ruhe lassen?" Von hinten her erklang die weibliche Stimme und eine schmale Gestalt drängte sich rücksichtslos nach vorne, ein langer Mantel mit Kapuze verhüllte ihre Figur. "Wer bist du, daß du es wagst, dich hier einzumischen und unsere Versammlung zu stören, Weib?" Die Frau griff sich die Kapuze und zog sie sich anmutig vom Haupt.

"Ich bin deine Königin, du Narr!"

Der Mann sog hörbar die Luft ein, selbst die anderen waren mit einem Mal totenstill. Salina warf sich den Mantel über die Schultern und schritt hoheitsvoll und gemessen vor den Männern auf und ab. Schließlich blieb sie stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen funkelten, doch ihrer Stimme war der Unmut nicht anzumerken, den sie empfand. Hinten, an den Ausgängen, standen ihre Begleiter, die ihr Leben für das der Prinzessin geben würden, sollte es gefordert werden. Sie war verärgert über diese dummen Menschen, die glaubten, sie könnten sich Leben und Freiheit erkaufen, indem sie den Soldaten der Kreuzfahrer Honig um den Bart strichen.

"Nun denn!" begann Salina so ruhig, wie es ihr möglich war. "Ihr seid also der Überzeugung, daß es besser wäre, den Pilgern und ihrem Christus unser Land und unsere Leben zu überlassen, in der Hoffnung, daß sie uns und die unseren am Leben lassen!?" Schweigen. Salinas linke Augenbraue zuckte in die Höhe. Ihr Unmut nahm zu angesichts dieser Idioten und sie wünschte sich mit einem Mal weit weg. In die Wüste, unter Dattelpalmen, an das Ufer einer kleinen, einsamen Wasserstelle, wo eine leichte Brise ging und ein starker Arm sie erwartete... Wütend schüttelte sie den Kopf. Sie sollte andere Dinge im Kopf haben, als an ihr Vergnügen zu denken!

"Gut, also. Ihr denkt, daß sie uns in Ruhe lassen, wenn wir ihnen geben, was sie verlangen, nicht wahr? Ihr denkt, sie werden euch vor den Palastgetreuen schützen? Ihr denkt, sie werden die Toten rächen?" Sie drehte sich einmal schwungvoll um die eigene Achse, bevor sie einen Schritt auf die Zuhörer zu machte. "Die Toten, welche die Soldaten selbst auf dem Gewissen haben? Glaubt ihr etwa allen Ernstes, wir würden unsere eigenen Leute umbringen? Frauen und Kinder, die sich nicht wehren können? HABT IHR DAS WIRKLICH GEGLAUBT???" Matt strich Salina sich mit der Hand über die Stirn. Sie wirkte beschämt über ihren unbeherrschten Ausfall, und fuhr deshalb gezwungen ruhiger fort: "Turok ist ein schlauer Mann, gerissener als irgendjemand sonst, den ich kenne. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, doch das sollte uns auch nicht weiter interessieren. Viel wichtiger ist es doch, die Kreuzfahrer und ihren bleichen Christus endgültig aus unserem Land zu vertreiben und das so schnell wie möglich!"

Die Männer unter ihr blickten betreten drein. Die Worte ihrer Prinzessin verfehlten ihre Wirkung nicht und irgendwie hatte ja auch nie jemand wirklich daran geglaubt, daß die Palastgetreuen die Stadtbewohner umbringen würden. Doch nicht die, die für sie kämpften! Atemlos hingen sie an den Lippen der schönen Prinzessin, die nach wie vor vor ihnen stand und deren Augen kühl auf sie niederblickten.

"Und wie können wir Euch helfen, Prinzessin? Was erwartet Ihr von uns?" Hinter den Männern regte sich etwas und einer der Leibgarde kam nach vorne, wo er die Hände hinter dem Rücken verschränkte und sehr furchteinflößend aussah: "Wir wollen, daß ihr uns helft! Wir wünschen, daß es jede Unterstützung gibt, derer wir habhaft werden können." Die junge Frau legte ihre schmale Hand leicht auf die Schulter ihres Beschützers, der das Wort an seine Gebieterin abgab.

"Wir könnten die Pilger natürlich selber in die Flucht schlagen. Doch wir sehen das Elend und die Verzweiflung, in der ihr lebt, und deshalb erachten wir es für besser, wenn wir unser Land so schnell wie möglich von den Gottlosen säubern!" Die weiche Stimme hatte an Lautstärke und Schärfe zugenommen, die Augen blitzten unheilvoll und sie strahlte Stolz und Unnahbarkeit aus, die ihre Majestät unterstrich.

Unter ihnen entstand zustimmendes Raunen, leise und verhalten noch, doch es war schon da. - Und es wartete nur darauf, daß man es weiter schürte! Ein kaltes Lächeln zuckte um die schön geschwungenen Lippen der Herrscherin.

"Versteht uns nicht falsch. Wir möchten euch ja helfen. Doch wir können uns eurer nicht sicher sein! Nicht, solange ihr auch nur den Hauch von Sympathie für die Christen hegt." Das Raunen wurde lauter. "Wir haben keine Zeit mehr!" erhob die junge Frau nun ihre Stimme. "Die Schwächsten unter uns sterben, ohne, daß wir ihnen helfen können! Es gibt weder Medizin noch Heiler! Allein eine gute, reichhaltige Mahlzeit würde ihnen helfen zu überleben, doch die Lager sind leer, die Felder geplündert und die Bäume gefällt! Wie wollen wir unser Fortbestehen sichern, wenn die Jüngsten sterben und man sich bald nicht einmal mehr an unsere Existenz erinnern wird, wenn die Besatzer uns endgültig ausgelöscht haben?"

Salina streckte die geballte Faust in die Luft und stieß leidenschaftlich hervor: "Ich sage: laßt uns kämpfen!!! Wir können sie vertreiben, wenn wir zusammenhalten! Wir werden dieses Land wieder fruchtbar machen und es wieder neu erblühen lassen! FÜR UNSERE KINDER!!!!"

"FÜR UNSERE KINDER!!! FÜR UNSERE KINDER!!! FÜR UNSERE KINDER!!!"

Die Leute lobten und priesen den Namen ihrer Königin, die es sich mit einem schmalen Lächeln gefallen ließ, bevor sie sich hinhockte und den Männern ihre Pläne unterbreitete....

* *
 

"Ich bewundere Eure Redegewandtheit, meine Königin. Ihr konntet sie überzeugen, sich uns anzuschließen. Ich habe es nicht für möglich gehalten." Karim streifte die zierliche Gestalt, die wieder in den weiten, dunklen Mantel gehüllt war, mit einem raschen Blick, als sie nebeneinander durch die Nacht ritten. "Danke", erwiderte sie knapp, ohne sich weiter zu bewegen. Sie starrte weiterhin nach vorne und beobachtete jeden Schatten, der ihr in dieser finsteren Nacht, die ohne Mond war, begegnete.

Der Mann schwieg betreten. Er hatte das Gefühl, er sei seiner schönen Herrscherin zu nahe getreten und habe sie beleidigt mit seinen Worten. Und dabei wollte er doch nur... Sie gab ihrem Pferd mehr Zügel und die kleine Reiterschar beschleunigte ihr Tempo, was den Mann von seinen Gedanken ablenkte....

Sie lagen im angewärmten Sand in den Dünen und warteten. Vor fünf Tagen waren sie mitten in der Nacht von den heranstürmenden Rebellen überrascht worden, heute wären sie klar im Vorteil. Als die Nacht hereingebrochen war, hatten sich die Truppen nahezu lautlos in Bewegung gesetzt und waren ihrem Bestimmungsort entgegen gestrebt. Sie würden die ganze Nacht hindurch marschieren und Kronos würde sie mit seinen Leuten zu Pferd schnell wieder einholen. In dieser Nacht hatte sich selbst der Mond hinter Wolken versteckt und nur ab und zu lugte er vorsichtig hinter einer Wolke hervor, um sich dann wieder eilig zu verbergen und darauf zu hoffen, daß diese unselige Nacht schnell vorbei ging.

Sie hatten sich in den Dünen versteckt, unter ihnen das verlassene Lager, in dem nur noch die Anhängsel rasteten, die vom Abzug der Soldaten nichts mitbekommen hatten. Ihr Tod wäre kein Verlust.

Angestrengt starrte Kronos in die finstere Nacht. Er wußte, daß sie heute angreifen würden, er konnte es fühlen, mit jeder Faser seines Körpers! Links und rechts neben ihm lagen Robert und William und warteten mit ihm. "Sagt mir, Turok, wieso seid Ihr so sicher, daß es heute geschehen wird?" "Ich weiß es einfach." knurrte der Mann, dessen sprunghafte Laune in den letzten Tagen jedem zu schaffen gemacht hatte.

"Da!"

Mit einem Mal zeigte Turok mit dem Finger in Richtung Osten. Angestrengt versuchten die Engländer in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch bald gaben sie es auf. Robert wollte etwas sagen, doch eine herrische Handbewegung von Turok ließ ihn innehalten. Und wenige Augenblicke später glaubten sie, Hufschlag zu hören. Fragend wandte Robert sein Gesicht dem seines Anführers zu. Der nickte nur. Ja, sie kamen! Und sie waren gar nicht mehr weit entfernt...

Sie warteten. Die Reiter näherten sich dem Lager, von dem sie dachten, es wäre noch von den Pilgern bewohnt. Dann stoppte das Geräusch der Pferde und Stille breitete sich aus. Scheinbar waren die Männer abgesessen und pirschten sich zu Fuß an die Zelte.

Die Männer auf der Düne richteten sich ein wenig auf, um besser sehen zu können.

Jetzt konnten sie schwach Schatten ausmachen, die in Zelte huschten und nach wenigen Augenblicken wieder heraus huschten. Dann loderte eine Fackel auf und das erste Zelt ging in Flammen auf. Und schon rannten die ersten in Panik aus den brennenden Zelten hinaus, wo sie von Schwert und Axt oder Heugabel erwartet wurden und einen mehr oder weniger schnellen, schmerzfreien Tod fanden.

"Auf die Pferde!" herrschte Kronos seine Leute mit gedämpfter Stimme an, während er selber rückwärts kroch und sich in einer einzigen, fließenden Bewegung auf den Rücken seines Hengstes schwang.

"Vorwärts!"

Auf sein Zeichen hin, preschten die Soldaten die Dünen herunter, direkt auf die überrumpelten Rebellen zu, die ihnen fassungslos entgegen starrten, als sähen sie Geister. Endlich kam dann Bewegung in sie, sie rannten zu ihren eigenen Pferden, sprangen auf deren Rücken und wendeten sie den Besatzern zu. Mit Gegenwehr hatten sie nicht gerechnet, doch mit dem Mut der Verzweiflung traten sie ihnen entgegen.

Verbissen warfen die beiden Parteien sich entgegen, gewillt, den anderen ein für alle Mal vom Angesicht der Erde zu verbannen und ihn zu den Göttern zu schicken. - Oder wo auch immer es sie hintreiben möge. Schwert klirrte gegen Schwert, Pferdeleiber drängten sich dicht aneinander, Männer rangen verbissen um jede Handbreit, die sie ergattern konnten.

Wütend rannte Kronos' Hengst von seinem Herrn getrieben mitten unter sie und unter seinem Schwert fielen die Gegner wie vom Donner gerührt. Die sahen sich der Übermacht chancenlos gegenüber, doch deswegen gaben sie nicht auf. Zwar wichen sie zurück, doch sie gaben nicht mehr Boden als unbedingt notwendig preis.

Ein schriller Pfiff ertönte über die Ebene und die Rebellen hielten inne und drehten sich um. Dann nahmen sie ihre Pferde und überhastet galoppierten sie der Gestalt entgegen, die auf der offenen Ebene stand und sie erwartete. Für einen Herzschlag lang waren die Pilger verblüfft, doch dann setzten sie den Vermummten nach, die sich in Richtung der schlafenden Stadt gewandt hatten und nun eilig auf sie zu hielten.

Kronos kochte vor Wut. Wieder einmal war es diesen verfluchten Heiden fast gelungen, sie zu überrumpeln! Heute Nacht würde die Entscheidung fallen, er fühlte es. Und er würde als Sieger hervorgehen, so wahr er Kronos hieß!

Zwar waren die Pferde der Rebellen ausgeruht, doch die Verfolger kamen immer näher. Hätten die Anführer der Pilger es nicht besser gewußt, so hätten sie angenommen, man wollte, daß sie ihnen so bequem folgen konnten. Die schwitzenden, mit Flocken bedeckten Pferdeleiber galoppierten in vollem Tempo durch die Stadttore, hinter denen der Anführer der Verhüllten, der seine Leute zurückgerufen hatte, sein Pferd zügelte und sich im Sattel umdrehte. Noch wartete er einen Augenblick, bis die ersten Reiter der Nachkommenden die Tore passierten.

"Jetzt!"

Abrupt stoppten die nachfolgenden Pferde, als sich Stadtbewohner von den Mauern und aus den Ecken stürzten und sich auf die Pferde und Reiter warfen. Mit Dreschflegeln und Forken, mit Knüppeln und bloßen Händen holten sie die verhaßten Besatzer vom Pferd und schlugen in sinnloser Raserei auf sie ein.

"Das ist eine Falle!"

Kronos' Hengst tänzelte nervös, als der Mann ihn außerhalb der Stadttore stoppte und sich das Gewühl ansah, daß sich seinen Augen bot. Aufgeregt stieg das Pferd von William neben ihm, bis er es wieder zum Stehen zwang. "Turok, was hat das zu bedeuten?" keuchte er, Schweiß auf der Stirn von den Anstrengungen des scharfen Ritts und der schwülen Hitze, die sich noch immer hielt.

Hinter den Kämpfenden sah Kronos den Anführer der Rebellen stehen und ihn beobachten. Sein ohnehin leicht reizbares Blut begann zu kochen und statt einer Antwort trieb der Berater D'Aguiles sein Pferd an und hetzte es durch die weiche Masse an Leibern, die sich gegenseitig an den Hals gingen. Es war ihm egal, ob unter seinen scharfen Hufen jemand den Tod fand oder nicht. Seine Leute taten es ihm nach und rücksichtslos ritten sie durch die Menschen.

Die Männer verteilten sich, um den Angreifern kein ruhig stehendes Ziel zu bieten, doch als einige sich in eine Gasse schlagen wollten, hörte man plötzlich schrilles Wiehern und laute Schreie. Die Pferde waren durch einen Strick, den die Städter wenige Handbreit über dem Erdboden quer über die gesamte Breite der Gasse gespannt hatten, gestürzt und hatten teilweise ihre Reiter unter sich begraben. Und als sie versuchten, sich zu befreien, sahen sie sich schon schutzlos den Angriffen der Rebellen ausgeliefert, die ihnen keine Chance zur Gegenwehr ließen.

Fassungslos sah Kronos sich um. Um ihn herum herrschte das Chaos, seine Leute waren in der Dunkelheit kaum von den aufrührerischen Städtern zu unterscheiden und durch den Überraschungsmoment hatten die Rebellen sich klare Vorteile geschaffen. Von unten her schlug er mit seinem Schwert zu, als ein Mann auf ihn zustürmte, mit erschreckend verzerrtem Gesicht: "Stirb, du Bastard!!!"

Na wunderbar! Jetzt war das eingetreten, was er befürchtet hatte: die Rebellen hatten sich die Unterstützung der Stadtbewohner gesichert und spannten sie nun für ihre eigenen Zwecke ein, während sie selber sich zurückhielten und die Lage nur beobachteten. Kronos grinste schmal. Die Rebellen stellten es klug an: sie überließen die Drecksarbeit den Städtern und würden dann den weniger gefährlichen Teil übernehmen, ausgeruht und frisch, ohne daß sie auch nur eine Schramme riskierten, weil dann die Pilger schon vom kämpfen ausgelaugt waren. Nur gut, daß weder Städter noch Rebellen Krieger waren. So hatten die Christen wenigstens einen kleinen Vorsprung. Zähneknirschend mußte er für sich zugeben, daß er sich überschätzt hatte. Er hätte seine Leute - und insbesondere Patrick - noch länger unter der städtischen Bevölkerung weilen lassen sollen. Vielleicht wären sie dann heute nicht so im Nachteil!?

"William! Robert! Folgt mir!!!"

Die Männer folgten dem verschleierten Reiter, der sich nun umdrehte und in die Dunkelheit davonpreschte. Durch die eng beieinander stehenden Häuser und die Nacht ohne Mondlicht war es fast unmöglich, ihm sicher zu folgen, allein der lose aufgewirbelte Sand, der sich langsam wieder zu Boden senkte, gab Aufschluß darüber, welchen Weg der Reiter genommen hatte.

Die Verfolger schwitzten. Je länger sie dem Aufständischen folgten, desto unerträglicher kam ihnen die Hitze vor. Der Schweiß rann ihnen in Strömen herab, auf den schweißbedeckten Flanken der Pferde bildeten sich weiße Flocken, Schaum stand ihnen vor dem Maul. Sie waren die Hitze und die Anstrengungen nicht gewöhnt, denen sie in dieser Nacht ausgesetzt waren, und in den letzten Tagen hatte es auch an Futter gemangelt, so daß ihnen einiges an Kraft fehlte. Darauf konnten die Führer der Truppen keine Rücksicht nehmen! Hier ging es um den Sieg, - und eine Niederlage zogen sie gar nicht erst in Erwägung!

* *
 

Kronos zügelte sein Pferd und gebot seinen Truppen Einhalt. Vor sich, quer über den Weg, stand eine stattliche Anzahl an Reitern und erwartete die Kreuzfahrer. Alle in dunkle Schleier gehüllt, die nichts frei ließen, außer einem winzigen Schlitz für die Augen. Hinter jedem Rücken staken die Griffe zweier Sarazenen-Schwerter in den Nachthimmel und hier und da blitzte die Klinge eines Dolches oder Halbschwertes auf, wenn das Licht des Mondes auf die blanke Schneide traf, der sich nun verräterischerweise hinter den Wolken hervor wagte.

Kronos gab seinem Pferd einen leichten Schenkeldruck und es ging ein paar Schritte vor. Der Anführer der gegnerischen Reiter tat es ihm nach und dann standen sie sich in kaum zwei Pferdelängen Entfernung gegenüber und schätzten sich mit den Blicken ab.

Die ruhige, gelassene Haltung des verhüllten Reiters nötigte Kronos eine Mischung aus Respekt und Verachtung ab. Respekt, weil er sich seiner so sicher schien. Verachtung, weil er wußte, daß sein Gegner nicht gegen ihn bestehen könnte. Die Leute vor ihnen waren keine Christen, aber sie waren auch keine Muslime. Als der fremde Anführer sich nun drehte, sah Kronos ein Medaillon blinken und neben sich hörte er das tiefe Atemholen eines Knappen. "WAS?" Der Knabe keuchte schwer und Kronos konnte riechen, wie die Angst den Jungen überrollte. Angewidert verzog er das Gesicht.

"Herr, das sind die Palastgetreuen!"

"Mach dich nicht lächerlich!" William ritt an Kronos' Seite und wies mit diesen scharfen Worten den verängstigten Knappen zurecht. "Die Familie des Königs ist tot oder zumindest in alle Winde verstreut. Sie existieren nicht mehr! Das da sind ein paar Wahnsinnige, die sich uns und dem Gerechten in den Weg stellen wollen und glauben, sie können uns, die wir SEINEN Willen erfüllen, besiegen."

Kronos wandte sein Gesicht und sah das fanatische Glitzern in Monnays Augen, während er sprach. Du Narr!, dachte er verächtlich. Glaubst du etwa an die Worte, die du sprichst? Er sah in den Menschen vor sich das, was sie waren: Gegner. Und so, wie sie sich präsentierten, waren sie nicht eben leicht zu besiegen. Hatten sie nicht schon zur Genüge bewiesen, daß man sie ernst nehmen mußte? Er dachte an all die Gerüchte, die man in der Stadt hörte: daß die Herrscherfamilie lebte und sich ihren Anspruch zurückholen würde, daß sie Rache nehmen würde an all denen, die sich ihnen in den Weg stellten, daß sie die Christen aus ihrem Land verjagen würden und den Menschen den Frieden brachten. Er hatte das immer für Hirngespinste gehalten, für Ammenmärchen, die man dem Volk erzählte, um dessen Widerstand gegen die christlichen Besatzer zu schüren. Nun, mußte er sich eingestehen, vielleicht waren es doch nicht nur Gerüchte. Man hatte sie geschlagen! Man hatte die Truppen aufgerieben und Teile von ihnen vernichtet. Die, die sich gerettet hatten, waren auf dem Weg weiter nach Edessa. - Psychisch und physisch nahezu am Ende....

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Anführer der Feinde zu, der seinen Blick ruhig erwiderte. Dann gab der Fremde seinem Pferd einen leichten Druck mit den Schenkeln und es ging langsam und sicher rückwärts in die Reihe der Widerstandskämpfer zurück. Kronos' muskulöse Gestalt straffte sich, er erwartete den Angriff. Er täuschte sich nicht, doch kam der Angriff anders, als er es erwartet hätte. Der Anführer zog eines seiner Schwerter aus der Scheide und schwenkte es einmal hoch über dem Kopf, worauf die anderen Reiter sich im wilden Galopp in alle Winde verstreuten und in den dunklen Gassen der scheinbar schlafenden Stadt verschwanden. Kein Laut war zu hören, nur mehr das Donnern der Hufe auf dem festgestampften Boden.

Kronos fluchte lauthals, den konsternierten Blick Roberts ignorierend. "Ihr da lang, ihr da, ihr folgt denen und ihr denen. Ich werde mich des Anführers annehmen. Robert, du nimmst die westliche Flanke und versuchst, sie zu überraschen, indem ihr ihnen in den Rücken fallt. LOS!!!" Mit klarer Stimme erteilte er seine Befehle, wieder ganz Heerführer, wieder ganz er selbst. Er wartete noch einen Augenblick, bis alle Männer seinem Befehl nachgekommen waren, und preschte dann dem Anführer hinterher, dessen Weg er sich genau gemerkt hatte.

Scharf fegte sein großer Hengst um eine Ecke und abrupt zwang Kronos ihn zum Stehen. Das Tier schlitterte etwas auf dem losgetretenen Sand, dann stand es still. Vor ihm, quer über den Platz, stand der, den er verfolgte und wartete auf ihn! Ganz still stand er da, die Zügel lose in der Hand, hoch aufgerichtet im Sattel, stolz, unbeugsam. Oh, Kronos würde diesem Bastard diesen Zahn schon ziehen!

Nun wandte der Reiter sich um und ritt in eine weniger besiedelte Gegend, gefolgt von Kronos, der keine Eile an den Tag legte. Er hatte verstanden: der Anführer der Aufständischen wollte ihn! Er floh nicht vor ihm, er gab ihm gelassen Gelegenheit, ihm zu folgen, wo immer es auch hinging.

Und Kronos folgte dem Fremden. Er war zumindest keiner von ihnen und deshalb machte er sich erst recht keinen Kopf. Der andere wollte ihn? - Er würde ihn bekommen. Der Unsterbliche ließ sich etwas zurückfallen und sah, wie auch der andere seinen Schritt verlangsamte, bis er vor einem verlassenen Haus absaß und darin verschwand.

Ohne Eile zügelte der Krieger sein Pferd und saß ebenfalls ab. Langsam folgte er dem Fremden hinein, aufmerksam umher äugend, ob er nicht doch aus dem Hinterhalt überrascht wurde. Langsam stieg er die Treppe hinauf, als er unten niemanden vorfand. Im oberen Geschoß stand in einem weiten Raum der Fremde und wandte ihm den Rücken zu. Nahezu lautlos betrat Kronos den Raum, blieb aber in der Nähe der Tür stehen.

Schweigen breitete sich aus.

Schließlich brach er es: "Warum überrascht es mich nicht wirklich, dich zu sehen?" Ganz langsam drehte die Gestalt am Fenster sich um und Kronos sah sich leuchtend blauen Augen gegenüber, in denen ein Mann ertrinken konnte. Sie hatte den Schleier vor ihrem Gesicht fort genommen und sah ihn teils offen, teils neugierig an.

"Wie lange wißt Ihr es schon?"

Sie fragte ihn ohne den sonst üblichen Unterton von Angst und Demut in der Stimme. Sie klang immer noch gedämpft, doch selbstsicher und kühl, so, als spräche sie mit einem Untergebenen.

Er lächelte schmal. "Oh, da gab es viele Gelegenheiten, meine Liebe. Zum einen: du riechst anders als all die anderen Frauen hier." Er sah, wie sie zuckte. "Ist es ein Fehler, wenn man nicht an seinem eigenen Gestank ersticken will?" fragte sie bitter. Noch immer lächelnd schüttelte er den Kopf. "Gewiß nicht, und du kannst mir glauben: ich wußte das sehr zu schätzen. Weißt du, ich hätte dir deine Vorstellung fast abgenommen. Diese Unfähigkeit, ein Kettenhemd zu öffnen, diese Demut, diese Untertänigkeit... Nein, wirklich, du hast dich sehr gut verkauft! Aber du hast auch Fehler in deiner Tarnung begangen: erinnerst du dich an die Sache mit den Soldaten und dem Dolch? Du hast gezuckt, als er auf dich zukam, du wolltest ihn abfangen. Nimm's nicht so tragisch, es ist eine reine Reflexhandlung, mehr nicht. Ganz natürlich."

Angewidert verzog sie das hübsche Gesicht.

"Oh, und dann die Sache mit den Rebellen. Für jemanden, der die Herrscherfamilie so haßt, wie die Bevölkerung hier, warst du doch ziemlich mitgenommen bei der Hinrichtung. Sag mir: wie viele deiner Freunde sind dort gestorben?"

Wild loderte es in ihrem Blick auf bei seinen Worten. Er hatte sie an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen und er wußte es!

Er lachte leise. "Schau dir nur mal deine Hände an, Kind: sie sind nicht dafür geschaffen, daß sie arbeiten. Sieh nur, wie weiß und zart sie sind. Du eine Bäuerin? Wem willst du das denn weismachen? Leonard magst du damit täuschen, mich nicht. Erzähl es mir, Kleines: mit wie vielen Männern hast du geschlafen, daß ihr uns besiegen konntet?" Heftig fuhr sie zusammen. "Ihr seid grausam, Turok." murmelte sie erschüttert.

Verblüfft sah er, wie sie reagierte. Sollte sie doch nicht...? Letztlich war es egal. Sie würde hier den Tod finden, auch wenn er es bedauerte. Er hatte sie gemocht. Sie war eine angenehme Gesellschafterin und er hätte sich gut vorstellen können, noch eine Zeitlang mit ihr das Lager zu teilen. Wie schade!, dachte er. Daraus wird wohl nichts.

Endlich setzte sie sich langsam in Bewegung und näherte sich dem angespannten Krieger in einem leichten Bogen. Kronos hielt sie auf Distanz, indem er sich in entgegengesetzter Richtung mitbewegte und so den Abstand zwischen ihnen immer gleich hielt, was sie mit einem leichten Anheben der Augenbrauen und einem winzigen Lächeln in den Mundwinkeln zur Kenntnis nahm.

Kronos beobachtete ihre selbstbewußten Bewegungen, die Leichtigkeit, mit der sie die gerade gezogenen Schwerter trug, die Eleganz ihrer Schritte. Er konnte nicht anders: er sah vor sich immer noch das kleine Mädchen, das sich nachts in seine Arme schmiegte, das ihn ankleidete. Vor seinem geistigen Auge stand das Bild eines hübschen Gesichts, eines zärtlichen Lächelns, er fühlte immer noch die sanften Berührungen ihrer kleinen Hand. Unwillig schüttelte er den Kopf. Diese junge Frau, die vor ihm stand, war nicht mehr das Mädchen, das ihm gedient hatte! Sie war die Anführerin derer, die er schon so lange verfolgt hatte. Endlich machte alles einen Sinn: warum die Rebellen den Soldaten immer einen Schritt voraus gewesen waren! Warum sie anscheinend immer so genau wußten, was als nächstes geschehen würde und warum man so schwierig an sie herangekommen war. Die dunklen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Dann brach er plötzlich in schallendes Gelächter aus.

Alanas Augen wurden schmal. Mißtrauisch fixierte sie den Mann, den zu vernichten ihre Aufgabe war. Wieso war er so fröhlich?

"Wollt Ihr mich nicht über Eure Heiterkeit aufklären, Turok? Vielleicht kann ich ja mitlachen?!"

Der Mann grinste heiter. "Ich habe gerade daran gedacht, daß ich dich völlig unterschätzt habe, mein Kind. Ich hätte nie gedacht, daß du zu so etwas wirklich fähig bist!"

Sie neigte leicht ihr Haupt und dankte ihm mit einem kleinen Lächeln für dieses merkwürdige Kompliment.

"Es freut mich, daß Ihr so denkt. Ein solches Kompliment von jemandem wie Euch bedeutet mir sehr viel."

Er lachte wieder. Lässig stellte er die Spitze seines Breitschwertes auf den Boden und faltete bequem seine Hände über dem Griff, auf den er sich nun stützte.

"Ich möchte dir ein Angebot machen. - Und du solltest es dir gut überlegen, bevor du eine vorschnelle Entscheidung triffst. Es wird das einzige seiner Art sein, das ich dir mache." "Nun denn, ich höre." Leicht neigte Kronos sich nun vor und seine Stimme nahm nun den eindringlichen, weichen Ton an, den er ihr immer gegeben hatte, wenn er mit Alana gesprochen hatte: "Schließ dich mir an! Du und ich, wir können eine Menge bewegen! Ich könnte dir noch eine Menge beibringen, wenn du mich läßt." Das Mädchen tat einen Schritt beiseite. "Dieses... Angebot ... ist absurd, Turok! Ihr müßtet meine Antwort schon vorher kennen!" lehnte sie kühl ab. "Ist das dein letztes Wort?" verlangte er zu wissen.

Statt einer Antwort breitete sie beide Arme aus und deutete eine leichte Verbeugung an. Die Spitzen ihrer beiden Schwerter waren gen Boden gerichtet und ihre Brust ungeschützt. Nun breitete Kronos auch beide Arme aus, wie sie, und verneigte sich ebenfalls leicht. Ihre Blicke begegneten sich und sie gingen in Kampfstellung.

Das Mädchen hielt ihre Schwerter etwas versetzt vor sich hin: eines in der ausgestreckten Linken, das andere in der angewinkelten Rechten, den Körper ihrem Gegner seitwärts zugewandt. Kronos hielt sein Breitschwert gerade vor sich hoch und langsam umkreisten die beiden Gegner sich, langsam, lauernd, jede Bewegung des anderen beobachtend und auf eine Blöße hoffend.

Schmal lächelte er. "Was ist, Alana? - Falls dies dein Name sein sollte. Willst du mir einen Bauchtanz vorführen oder kämpfen?" In ihrem Gesicht zuckte es kurz, dann lächelte sie ihn strahlend an. "Sagt mir, womit ich mehr Gelegenheit hätte, Euch zu besiegen, Turok, und ich werde es tun." Er lachte schallend, dann wurde seine Miene jäh ernst und ohne jegliche Vorwarnung schlug er zu. Alana drehte sich blitzschnell und während der Mann den Schlag ins Leere abfangen mußte, wirbelte sie herum, ihre gekreuzten Klingen fingen seine breite Schneide ab und drückten sie fort. Mit einem mächtigen Tritt ließ sie ihn taumeln und erwartete seinen nächsten Schritt.

Kronos fluchte lauthals. Er fuhr herum und sah sich ihrem breit grinsenden Gesicht gegenüber; sie stand in einiger Entfernung von ihm und wartete.

"Ist das alles, was Euer Gott Euch mit auf den Weg gegeben hat, Turok? Dann hoffe ich, ER ist Euch gnädig." Der große Mann knurrte gereizt und sprang auf sie zu.

Wieder wich sie ihm aus, doch diesmal streckte sie in der Drehung den Arm mit der Waffe aus und erwischte ihn am Arm, aus dem sofort ein warmer, roter Blutstrahl schoß. Er brüllte auf vor Wut. Fürs erste brachte er sich mit einem rückwärtigen Satz in Sicherheit und wieder umkreisten sie sich.

Gelassen ließ Alana ihre Schwerter um die Handgelenke kreisen, so daß ihre blitzenden Reflexe hell in den Strahlen des Mondes aufleuchteten und den Krieger für einen winzigen Moment blendeten.

Er war wütend. Sie hatte ihn bisher an der Nase herumgeführt und er war darauf hereingefallen. Was war mit ihr? Wollte sie ihn ermüden und sich dann in aller Ruhe seiner bemächtigen? Er fixierte sie mit zusammengekniffenen Augen. Nein, so sah sie nicht aus. Wollte sie ihn von den anderen fernhalten? Ja, das schon eher. Na warte, du kleines Biest! Ich krieg dich schon!, dachte er böse.

Nun winkte sie mit ihren Klingen. "Kommt, laßt es uns zu Ende bringen." flüsterte sie heiser. Gelassen lächelte er sie an und betont unbeschwert schritt er auf sie zu. "Hast du deinen Frieden mit deinem Gott gemacht, meine Kleine?" Sie zuckte nichtssagend mit den Schultern, dann ließ sie ihre Klingen auf ihn niederfahren. Er blockte sie ab und warf sie zurück, doch sofort griff sie wieder an und Kronos sah sich einem Hagel von Hieben ausgesetzt, der ihn zurücktrieb.

Er war überrascht, wie gut und mit welcher Geschwindigkeit sie die Schwerter handhabte und wie leicht es ihr fiel, ihn in die Defensive zu drängen.

Er riß sein Breitschwert hoch und zwang ihre Arme beiseite, ein schwerer Tritt warf sie nach hinten. Schwer nach Atem ringend wich sie vor ihm weiter nach hinten fort, ihre Augen hafteten an seinem Gesicht, und er folgte ihr langsam, siegessicher. Turok war stark, sehr stark! Sie hatte es zwar vermutet, doch bisher hatte sie ihn nie kämpfen sehen und wurde völlig unvorbereitet von seiner Stärke getroffen. Bei den Göttern, es mußte doch einen Weg geben, ihn zu besiegen!?, dachte sie aufrührerisch, während sie sich langsam, Schritt für Schritt, von ihm zurückzog und neue Kraft schöpfte.

Kronos ließ sie. Er hatte es nicht eilig und genoß dieses Spiel in vollen Zügen. Sie war ja noch ein halbes Kind und ihr fehlte die körperliche Kraft eines Mannes und erfahrenen Kriegers. Der, der sie trainiert und im Schwertkampf ausgebildet hatte, hatte ganze Arbeit geleistet. Sie war gut, wirklich gut! - Nur leider nicht gut genug, um ihn zu besiegen.

Erneut fuhr seine breite Schneide auf sie nieder, sie wich aus, doch ihre Klingen verfehlten ihn um eine gute Elle. Fassungslos sah sie es und machte einen weiten rückwärtigen Satz, um dann keuchend nach Atem zu ringen. Kronos grinste. Er machte einen Ausfallschritt auf sie zu, worauf sie wiederum zur Seite sprang. Zu spät bemerkte sie, daß es gar nicht seine Absicht gewesen war, sie anzugreifen, sondern daß er sie lediglich in Bewegung halten wollte, um sie zu ermüden. Für einen Moment loderte Wut in ihr auf, als sie das begriff, doch dann legte sich das Feuer in ihren Augen wieder und sie wurde ganz ruhig. Wenn es das war, was er wollte, so würde er es bekommen: spielen konnte sie auch! Die kleinen Hände umfaßten die Griffe der Schwerter fester, so daß ihre Knöchel weiß hervortraten, und sie belauerte den anderen. Ohne jegliches Zeichen von Anspannung katapultierte sie ihren Körper ihm zu und während ihr linkes Schwert von rechts nach links in Bauchhöhe auf ihn zu fuhr, raste das andere von links unten nach rechts oben, als wollte sie ihn zerteilen. Nur zwei schnelle Hiebe mit der breiten Klinge, mit der er die drohende Gefahr abwehrte, retteten ihn vor einem vorschnellen Tod. Allmählich verlor er die Lust, und ungeduldig geworden wollte er endlich die Entscheidung erringen für diesen Zweikampf, der seiner Meinung nach eh schon viel zu lange dauerte. Er machte einen Satz und hieb auf sie ein, sie blockte seine schwere Klinge mit einem langen Streich ihres linken Schwertes ab, drehte sich und hieb mit dem Heft des rechten in seinen Nacken. Mit einem dumpfen Laut entglitt ihm seine Waffe, schwer stürzte er auf die Knie. Alana kickte sein Schwert weit von ihm und Kronos spürte ihre beiden Klingen, die sich links und rechts an seinem Hals befanden.

Er atmete schwer. Sie gebot ihm, sich zu erheben und dann standen sie sich gegenüber, Auge in Auge.

"Tu es!" keuchte er.

Er sah ihr direkt in die Augen, sah darin nur das tiefe blaue Leuchten, ausdruckslos, regungslos, gnadenlos. Sie zögerte. Wie lange sie so dastanden und sich einfach nur ansahen, wußten sie nicht. Erst, als draußen Stimmen laut wurden, kam wieder Leben in sie.

"Salina! Salina, wo seid Ihr?" "Ich habe sie dort reinlaufen sehen!" "Salina! Prinzessin! Wo seid Ihr? So antwortet doch!"

Forschend sah Kronos dem Mädchen ins Gesicht. Er sah das Zucken, das über ihre Züge lief, und überrascht hob er eine Augenbraue. Salina? Die Prinzessin dieser heruntergekommenen Stadt? Ein breites Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Was für ein reizender Gedanke! Sie zögerte immer noch, er konnte das Zittern der Klingen spüren.

"Was ist? Hast du Angst?" Er lachte heiser, als er sah, wie ihre Augen flackerten. "Tu es!" forderte er sie auf. "Du kannst mich nicht töten, meine Liebe! Weißt du es denn immer noch nicht? Ich bin der Teufel in Person und selbst wenn du jetzt zustichst, werde ich dich heimsuchen und mir holen, was ich will!"

"Salina! Prinzessin, so antwortet doch!"

Unschlüssig huschten ihre Augen zwischen der Tür und Kronos hin und her. Wie eine Maske legte es sich über ihre Züge, als die Stimmen und eiligen Schritte sich nun näherten und sie tat einen Schritt zurück und hob ein Schwert. "Dann schicke ich Euch dorthin zurück, wo Ihr hergekommen seid, Turok! - In die Hölle!" Blitzschnell stieß sie zu und mit einem verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht starb der Mann und sein Körper schlug hart vor ihr auf dem Boden auf.

Hinter ihr tauchten Männer auf. Einer trat an die Prinzessin heran und sah ihr über die Schulter, auf den toten Mann nieder. "Das wäre dann der letzte, Herrin. Es ist vorbei." "Ja." murmelte sie tonlos. "Es ist vorbei." Sie steckte die Schwerter weg, drehte sich langsam um und ging.....


Epilog

Salina saß mit gefalteten Händen am Bett ihres Vaters, der im Sterben lag. Sie hatte die Stirn auf ihre Hände gelegt und sah aus, als würde sie beten. Allein ein Eingeweihter wußte, daß dem nicht so war.

Kaum, daß sie von ihrer letzten, entscheidenden Schlacht wiedergekehrt war, hatte sie Kunde von der Verwundung ihres Vaters erhalten und war an sein Lager geeilt. Verwundet wie ein Krieger!

Salina lächelte ironisch.

Gerade jetzt, wo man ihn, den König, am nötigsten brauchte, gerade jetzt lag er im Sterben!

Und nun saß sie hier und wartete. Wartete auf das, was unvermeidbar war. Auf das, was ihr am meisten Angst machte. Was würde danach geschehen? Sie war nicht fähig, einen ganzen Staat leiten. Und doch war sie die einzige Erbin. Was würde mit ihrem Königreich geschehen?

Verwirrt wühlten sich ihre Hände in ihr Haar.

Hatten sie all die vielen Kämpfe denn umsonst ausgefochten?

Sie wollte es nicht glauben!

Waren all die Opfer, die sie gebracht hatten, umsonst gewesen?

Zusammenhanglos dachte sie daran, daß nur ein König herrschen würde. Er müßte seinen Anspruch legitimieren, doch nur er alleine würde vor dem Volke herrschen.

Sie dachte an Turok. Er war trotz allem ein angenehmer Herr gewesen.

Wieder lächelte sie ironisch.

Herr!... Ein Teufel, so hatte er sich selber genannt! Oh ja, da mochte was Wahres dran sein. Und doch....

Sie fühlte den Schmerz in ihrer Brust, die gähnende Leere, die sie verspürte, seit sie ihn getötet hatte. Trauer. Ja, sie trauerte um den Mann, der sie so lange beherrscht hatte, der sie immer wieder seine Macht hatte spüren lassen. Sie war zu Tode erschrocken gewesen, als man sie aus dem Lager geholt hatte. Sie hatte nicht an sich gedacht, sondern in erster Linie an den Mann, von dessen Seite sie fortgerissen worden war. Und danach? Sie hatte sich ihrem Vater und ihren Anhängern stellen und ihre eigentlichen Gefühle außer Acht lassen müssen. Sie hatten einen Krieg zu führen, - und sie würde die Leute in die Schlacht - und zum Sieg! - führen!

Bei den Göttern, und dabei hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als umzukehren und sich in die Arme dieses Mannes zu werfen, auf daß er alles Widrige von ihr fernhielt und sie beschützte!

Sie war sehr wütend gewesen und hatte ihren Vater und die Berater zur Verantwortung gezogen für das Feuer, das ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung gelegt worden war. Nun war es nicht mehr zu ändern. Doch sie war sich auch der beobachtenden, prüfenden Blicke bewußt, mit denen man sie musterte. Sie hätte mehr als einmal die Gelegenheit gehabt, Turok zu verlassen und hatte es nicht getan. Man verlangte Antworten, doch die zukünftige Königin schwieg sich aus. Was hätte sie auch sagen sollen?

Sie hatte monatelang im Lager der Pilger gelebt. Sie hatte ihr Lager zum Wohl ihres Volkes mit Turok geteilt und war zum Dank als Hure beschimpft worden. Man hatte sie geschlagen, verachtet, beleidigt, geschändet und erwartete nun allen Ernstes Antworten von ihr, warum sie nicht schon früher zurückgekehrt war! Sie hatte viele Informationen aus erster Hand erfahren und weitergegeben, hatte Turok mit bewußt ausgewählten Hinweisen geholfen und mehr als einmal ihr eigenes Leben riskiert, wenn sie von ihren Versammlungen gekommen war oder anderweitig in die Geschicke ihres Volkes eingegriffen hatte. Die junge Frau fand, sie habe ein Recht auf einen kleinen Rest an Selbstachtung und persönlichen Gefühlen, welche die Welt da draußen nichts angingen und deshalb blieb sie auf alle Fragen und anklagende Blicke stumm.

Turok...

'Ich werde dich heimsuchen und mir holen, was ich will!'

Niemand kehrte von den Toten zurück! Niemand! Noch nicht einmal ein Mann wie Turok.

Noch einmal stand sie ihm Auge in Auge in dem kleinen, verlassenen Haus gegenüber. Noch einmal hörte sie seine Stimme, die sie zu verhöhnen schien. Sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen ihren eigenen Gefühlen für diesen Mann und der Pflicht, die man ihr gegen ihren Willen auferlegt hatte. Salina fühlte ihr Herz hart gegen ihre Rippen pochen, wenn sie zurückdachte. Ein Wort... Hätte er nur ein einziges, aufrichtiges Wort gesagt, daß sie sicher sein konnte, er empfand wie sie, sie hätte alles aufgegeben: ihren Stand, ihr Land, ihre Leute, sogar ihr Leben!

Gequält stöhnte sie auf und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ihr Götter, weist mir den Weg!, dachte sie gepeinigt.

* *
 

Die Gestalt, in einen langen Umhang gehüllt, das Gesicht von einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze verdeckt, bewegte sich fast lautlos und sicher durch die langen Gänge des Palastes, dem Gemach des Königs zu. Niemand sah sie, niemand hörte sie. Mit geschmeidigen Bewegungen glitt sie vorwärts und nur ein minimaler Lufthauch kündigte den stummen Besucher an.

Er trat ein und blickte geradewegs auf den gebeugten Rücken der Prinzessin und die ruhende Gestalt des Königs. Die behandschuhte Hand umfaßte den Griff eines breiten Langschwertes fester und ohne einen Laut zu verursachen näherte er sich den stillen Gestalten.

"Wieso überrascht es mich nicht wirklich, daß Ihr zurückkehrt?" Bewußt wählte Salina die fast identischen Worte, die Kronos vor Stunden - oder waren es schon Tage? - benutzt hatte, um sie zu begrüßen.

Er lächelte still. "Vielleicht, weil du an mich glaubst?" schlug er ihr vor. Ihre Schultern bebten kurz, dann saß sie wieder still. "Seid Ihr wirklich der Teufel? Dann helft meinem Vater. Er darf nicht sterben! Nicht jetzt!" Noch immer wandte sie ihm den Rücken zu, doch sie sprach leidenschaftlich und drängend, und Kronos konnte sich dem Bann ihrer Stimme kaum entziehen.

Aber noch war sein Spiel nicht zu Ende!

Langsam trat er auf sie zu und blieb keinen halben Schritt hinter ihr stehen. Salina konnte die Wärme spüren, die er verströmte.

Die Kraft, die er ausstrahlte.

Die Macht, die ihn umgab.

Ihr schauerte. "Was denkst du? Bin ich der Teufel? Fürchtest du dich vor mir?" Sie hielt den Atem an. Fürchtete sie ihn?

Langsam schüttelte sie den Kopf. "Ich... weiß nicht." Sein Lächeln vertiefte sich. "Und wenn ich der Leibhaftige wäre, was würdest du mir bieten, damit ich das Leben deines Vaters rette?" Abrupt stand sie auf und schritt ans Fenster, um hinaus zu sehen.

Es war Nacht und ein lauer Wind strich ihr über das erhitzte Gesicht. In ihrem Kopf drehte sich alles. Was konnte sie ihm schon bieten? Sie blickte auf die Stadt nieder, die im Dunkel lag. Die Stadt, um die sie so erbittert gekämpft hatten. Eine Stadt, die unter der Besatzung der Pilger heruntergekommen und verwahrlost war. Ein Volk, das sich dem stets geringeren Übel zuwandte und in dem man kaum einen Rückhalt hatte.

Bevor die Pilger in ihr Land eingefallen waren, war diese Stadt blühend und reich gewesen. Wohl auch ein Grund, weshalb die Fremden sich gerade hier niedergelassen hatten. Salina erinnerte sich daran, daß viele Karawanen hier gerastet und sie mit Gütern, Leben und Geld versorgt hatten. Aber das war schon lange her! Sie selber war noch so jung und dumm gewesen, als man sie vertrieben hatte. Sie war unter dem einfachen Volk aufgewachsen, unter Palastgetreuen, die ihnen ergeben waren und sie wie eine Königin aufgezogen hatten. - Und sie den Kampf gegen die Fremden gelehrt hatten. Sie war mit dem Haß und der Wut aufgewachsen, mit dem unabdingbaren Wunsch, sich ihr Land, ihr Volk zurückzuholen. Nun hatte sie es und alles hatte sich innerhalb weniger Nächte für sie geändert. Nun lag der lange, schwierige Wiederaufbau bevor, der König starb und sie hatte keine Ahnung, wie man ein Volk regierte.

Nein, es gab nichts, was sie Turok bieten konnte, um das Leben ihres Vaters zu retten. - So es denn in seiner Macht stand.

Langsam drehte sie sich um und sah den Mann stumm an. Ruhig erwiderte er ihren Blick und wartete. "Nichts." sagte sie dann endlich. "Es gibt nichts, das ich Euch bieten könnte. Nichts, was Ihr nicht schon besitzt. Nichts, was Euer Interesse erwecken könnte." Hilflos ließ sie die Schultern hängen.

Sie befand sich in einer Sackgasse und wußte weder ein noch aus.

"Oh, ich denke doch, daß es etwas gibt, das du mir bieten kannst." Gelassen setzte Kronos sich auf den Schemel, von dem Salina kurz vorher aufgestanden war. Unruhig beobachtete sie die raubtierhaften Bewegungen des Mannes und nervös knetete sie ihre Hände. "Und was sollte das sein? Außer meinem Leben besitze ich gar nichts mehr. Nur eine zerstörte Stadt und ein Volk, das mich nicht liebt." Der große schlanke Mann streckte genüßlich die langen Beine aus. "Na, das ist doch schon mal ein Anfang." meinte er kühl. In ihrem Gesicht zuckte es. "Ich.. verstehe nicht..." stammelte sie. Mit einer schnellen Bewegung war er aufgestanden und trat nun dicht vor sie. Sein Atem streifte ihre Wange, als er sich vorbeugte. "Wirklich nicht? Dabei ist es doch so einfach! Ich will das Land, meine Liebe!"

Sie versteifte sich. Oh, nur zu gerne hätte sie die Last abgegeben! Und er wollte es! Wie schön! Doch es war das Land ihrer Väter. Hier war sie geboren und aufgewachsen. Und er? Er war ein Fremder, er hatte keine Wurzeln hier und wahrscheinlich würde er ihren Besitz ausquetschen wie eine reife Frucht und dann fallenlassen und weiterziehen. Nein, sie hatte eine Verantwortung ihrem Volk gegenüber.

"Das geht nicht!" preßte sie hervor. Belustigt zuckte seine Augenbraue. "Und warum nicht?" "Ihr habt keinen Anspruch auf den Thron, man wird Euch nicht anerkennen!" Ein diabolisches Grinsen zog über sein Gesicht und nun sah er wirklich aus wie der Leibhaftige.

Er brachte sie ganz langsam auf den Weg, den er sich zurechtgelegt hatte, und sie ging ihn, Schritt für Schritt, wie er es gewollt hatte.

"So, so, was du nicht sagst. Dann sag mir mal, wie ich meinen Anspruch auf den Thron legitimieren kann." Salina öffnete den Mund und setzte an, ihr Blick begegnete dem von Kronos und sie klappte ihn wieder zu. Er wußte es! Er wußte, daß er nur einen Anspruch auf den Thron erheben konnte, wenn sie ihn ehelichte.

Fassungslosigkeit zeichnete sich auf ihren Zügen ab.

"Das... kann nicht Euer Ernst sein." brachte sie mühsam hervor. Lachend breitete er die Arme aus. "Und warum nicht? Bisher haben wir uns doch auch ganz gut verstanden, meine Liebe. Es hat sich nichts geändert!"

Sie machte einen Schritt rückwärts. Verständnislos starrte sie den Mann an, sie hörte ihn, allein sie verstand kein Wort. Ihr Geist weigerte sich zu glauben, was er ihr da unterbreitete.

Rauh, fast hysterisch lachte sie auf. "Ihr seid ein Heide, Turok! Ihr spuckt auf uns und unsere Götter! Mein Vater würde eine solche Verbindung niemals segnen!" Sie blitzte ihn wütend an. "Und ich will Euch auch gar nicht!" zischte sie aufgebracht. "Nein?" Er überbrückte die unbedeutende Distanz zwischen ihnen mit einem einzigen Schritt und stand nun direkt vor ihr. Links und rechts neben ihrem Kopf legten sich seine großen Hände gegen die kalten Steine der Mauer und er senkte sein Gesicht dem ihren zu. "Du triffst mich, Kleines." Seine Stimme war gesenkt, melodisch, triefend von sanftem Spott, und jagte ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Die kleinen Haare auf den Armen stellten sich steil auf und sie begann zu zittern.

"Sag es!"

Seine warmen Lippen streiften ihre Schläfe und Salina glaubte, sie müsse das Bewußtsein verlieren.

"Was soll ich sagen?" keuchte sie.

Seine Lippen wanderten tiefer, die empfindliche Haut am Hals entlang, hinab zum Schlüsselbein.

"Daß du mich nicht willst!"

Die Prinzessin rang nach Atem, wild entschlossen, die Worte zu sagen, die er hören wollte, doch sie bekam keinen Ton heraus. Sie fühlte nur noch seine Lippen, die ihren Weg über ihre Haut suchten, und alles entrückte ihr und war so fern wie noch nie. Sie fühlte sich benommen und nahm gar nicht wahr, daß sie mittlerweile seinen Kuß leidenschaftlich erwiderte.

"Salina?" Die kraftlose Stimme des Sterbenden holte sie wieder in die reale Welt zurück und erschrocken fuhr sie vor dem Krieger zurück. "Vater!" Sie eilte an das Lager, kniete sich davor und nahm sanft die faltigen Hände, aus denen das Leben wich. Sie waren schon eiskalt.

Mit einem Blick sah Kronos, daß der Tod unmittelbar bevor stand. Er mußte rasch handeln!

Ruhig trat er an das Lager und sah kalt auf den alten Mann herunter. In die matten Augen kam etwas Leben, als sie den Fremden gewahr wurden. "Wer....seid Ihr?" Kronos lächelte verbindlich. "Ich bin der neue Herrscher über dieses Reich, alter Mann." antwortete er kühl. Verständnislos schüttelte der Alte den Kopf. "Nein,.... Ihr nicht. Ihr tragt das Zeichen der Pilger......... Ihr werdet uns nie wieder... beherrschen..." "Du Narr!" knurrte Kronos. Mit einer schnellen Bewegung hatte er Salina im Haar gepackt und hielt ihr einen langen, schmalen Dolch an den bloßen Hals. Leicht grub die scharfe Spitze sich in die Haut und ein Blutstropfen trat hervor. Sie stöhnte leise auf vor Schmerz.

"Gib mir deinen Segen, alter Mann, oder du wirst noch miterleben, wie deine Tochter vor deinen eigenen Augen stirbt! Nicht schnell und schmerzlos, sondern langsam und qualvoll! Und danach werde ich dafür sorgen, daß dein ach so geliebtes Königreich in Chaos und Anarchie versinkt. Und wenn es soweit ist, werde ich es in Schutt und Asche legen und niemand wird in ein paar Jahren mehr den Namen dieses armseligen Reiches wissen!"

Sophyos war unschlüssig und erst, als Kronos die Spitze weiter in das weiße Fleisch seiner Tochter senkte, hob er matt die Hand. "Verschone sie, ich bitte dich!" Mit letzter Kraft setzte er sich auf. "So nimm denn meinen Segen, Fremder. Aber laß meine Tochter am Leben."

Mit einem schmalen Lächeln ließ Kronos Salina los.

Sophyos fiel in die Kissen zurück und nur einen Atemzug später verließ ihn auch der letzte Rest Leben. "Vater, NEIN!!!" Salina schrie auf vor Qual und warf sich über den leblosen Körper des Alten.

Ausdruckslos ließ Kronos sie gewähren. Auch, als ein paar Diener und danach einige Palastwachen auftauchten, rührte er sich nicht. Drohend richteten die Speerspitzen sich auf seine ungeschützte Brust. "Steh auf!" wandte er dann sich an Salina, die immer noch haltlos schluchzend am Boden kniete. "Wir haben ein Begräbnis und eine Hochzeit vorzubereiten! Ich will, daß dieser Tag mit dem neuen König zu Ende geht."

Das Schluchzen versiegte und sie erhob sich schwerfällig. Mit geröteten Augen sah sie zu ihm auf und er war versucht, ihr die Wange zu streicheln, so elend sah sie aus. Doch stattdessen erwiderte er nur stumm ihren Blick. Langsam nickte sie und wandte sich zum Gehen.

"Ihr habt ihn gehört! Bereitet die Hochzeits- und Krönungsfeierlichkeiten vor! Wir haben keine Zeit zu verlieren!!!" Vor ihm und den Bediensteten stand nun kein kleines Mädchen mehr, sondern eine Königin, die sich ihrer Position und ihrer Verantwortung voll bewußt war.


"Und? Wie ging die ganze Geschichte aus?" Ceal rekelte sich schläfrig in den kühlen Laken. Es ging auf vier Uhr zu und sie waren schon vor einiger Zeit ins Bett gegangen, und weil sie kaum noch was sehen konnte, erzählte Methos ihr die Geschichte einfach weiter, was sie sehr genoß. Märchenstunde, nannte sie das immer.

"Tja, wie soll es schon ausgehen? Alles geschah so, wie er es wollte und schon am selben Abend konnte er als neuer Herrscher des Landes schlafen gehen." "Ach, Methos, du bist furchtbar! Ich will doch wissen, was aus den beiden geworden ist!!!" "Ach sooo..." Methos tat sehr verwundert, was ihm einen Schlag mit dem Kopfkissen einbrachte. Lachend wehrte er sie ab. "Ist ja gut, ich erzähle es dir ja!" Er drückte ihre Arme runter und machte es sich bequem.

Im Moment lag er auf der Seite, den Kopf auf die linke Hand gestützt, den rechten Unterarm locker auf der Hüfte. Sein Blick ruhte auf der jungen Frau. Manchmal hatte er gedacht, sie schlafe schon, doch dann hatte sie ihn zum Weitersprechen gemahnt und er war ihr gerne nachgekommen. Mit ihr über die Vergangenheit zu sprechen, war anders. Es war kein rechtfertigen, kein erklären, kein entschuldigen. Es war einfach nur ein Bericht, wie es damals wirklich gewesen ist, wie die Menschen waren, die Lage, - wie er war. Sie verachtete ihn nicht für das, was ihn ausmachte. Und bei ihr machte es ihm auch nichts aus, sein Innerstes zu offenbaren. - Zumindest in einem für ihn vertretbaren Rahmen.

Er dachte an all die Dinge, die er in seinem Leben schon getan hatte. An all die Leben, die er ausgelöscht hatte. Sie wußte so viel von ihm, und doch tat es ihrer Beziehung keinen Abbruch. Ceal war halt etwas ganz besonderes....

Er lächelte sie zärtlich an.

"Okay,.... also, Kronos und Salina waren ein sehr glückliches Paar. Wir haben recht rege Geschäftsbeziehungen unterhalten, mußt du wissen. Da wir so nahe beieinander lebten, war das nur eine ganz normale Konsequenz und wir haben alle davon profitiert. Sie lebten viele Jahre miteinander. Salina litt, je älter sie wurde, sehr darunter, daß sie keine Kinder hatte." "Sie wußte also nicht, wer oder was Kronos war? Oder hat er ihr nur nicht gesagt, daß er keine Kinder zeugen kann?" unterbrach Ceal ihn hier. Nachdenklich wiegte Methos den Kopf. "Beides. Er hat ihr nie erzählt, mit wem sie es zu tun hat und er hat sie in dem Glauben gelassen, daß sie keine Kinder empfangen kann." "Mmpf! Einer muß ja Schuld haben", brummte die junge Frau, sich tiefer in die Kissen kuschelnd.

Er lächelte.

"Wie du vielleicht schon mitbekommen hast, war Salina eine recht...streitbare Persönlichkeit. Sie starb bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit einem Nachbarn." "Und wo war Kronos? Das wäre doch wohl seine Aufgabe gewesen, oder?" "Er... ähmm..." "Er war bei dir und das nicht allein. Das wolltest du doch wohl damit sagen?"

Man konnte Ceal den Unmut über so viel Unverfrorenheit ansehen, als sie ihn nun entrüstet anfunkelte.

"Methos, ich bitte dich! Er war verheiratet! Wie konntest du nur?" "Ach Gott, wird denkt denn an so was? Als er von ihrem Tod erfuhr, nahm er sein Schwert und war auf und davon. Ich habe ihn danach lange nicht mehr gesehen."

"Glaubst du, daß er noch lebt?" Der Unsterbliche hob seinen Blick an die Decke. "Ja, ganz bestimmt sogar. - Er ist nicht so schnell tot zu kriegen." fügte er in einem Anflug von schwarzem Humor hinzu.

Er löschte das Licht und legte sich hin. Ceal schmiegte sich in seinen Arm, schon fast am Schlafen, und er konnte den leichten Duft ihrer Haare riechen. "Methos?" murmelte sie schlaftrunken. "Hmm?" "Was glaubst du, was die Leute wohl sagen werden, wenn Adam Pierson und Ceal Morgan mal wieder zusammen im Bett liegen?" Er lachte leise. "Na, was wohl? Das übliche eben...."


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*) "Die Vier Reiter der Apokalypse"

**) bezogen auf die FanFic-Story von Christina Özdemir "Heilige Kriege"


Zur Geschichte des zweiten Kreuzzuges

Ziel der Kreuzfahrer im zweiten Kreuzzug war es, die 1144 zurückeroberte Stadt Edessa wieder in ihren Besitz zu bringen. Im Mai 1147 brachen deshalb ungefähr dreißigtausend Kreuzfahrer auf, um sich über Byzanz nach Kleinasien einzuschiffen. Noch bevor sie Nikaia erreichten, hatten sie durch Hunger und Angriffe große Verluste hinnehmen müssen. Sie vereinigten sich mit den französischen Heeren und reisten auf der alten Route des ersten Kreuzzuges weiter. Bei Laodicea erlitten sie eine weitere bittere Niederlage durch Angriffe der Sarazenen-Heere und wurden weiter geschwächt. Von Attalia aus setzten die Adeligen unter den Kreuzfahrern nach Antiochia über, währenddessen die einfachen Soldaten sich ihren Weg über Land erkämpfen mußten. - Was mit erheblichen Verlusten einherging.

Als die Pilger Edessa erreichten, war es in Schutt und Asche gelegt und für die Kreuzfahrer unbrauchbar geworden. So suchten sie sich als nächstes Ziel Damaskus aus, das sie ab dem 24. Juli 1148 belagerten. Dieses Unterfangen endete in einem Desaster, denn die Sarazenen machten nun ihrerseits Jagd auf die Eindringlinge, versprach doch jeder Kopf, den man in die Stadt brachte, eine stattliche Belohnung. Weiterhin machten ständige Angriffe von Entsatztruppen den Pilgern, die am Ende ihrer Kräfte waren, zu schaffen, bis die Christen sich endlich zurückzogen, scheinbar angeregt von 200 000 Denare, die man dem König von Jerusalem und den Tempelrittern zuspielte.


Ende