Wer Liebe lebt

Wünsche, Angela

 

-1-

Methos stand ratlos vor seinem Wagen und knallte frustriert die Kühlerhaube zu. Ausgerechnet jetzt musste die Karre ihren Geist aufgeben! Dabei hatte er nur ein paar Dinge aus seinem Lagerhaus am Hafen holen wollen - und nun saß er hier fest. Keine Menschenseele war zu sehen; schließlich war es später Samstagabend und die Hafenarbeiter waren längst im verdienten Wochenende. Auch in der Werkstatt würde niemand mehr zu erreichen sein. Etwas ratlos zückte Methos sein Handy und wählte Joes Nummer. Sein Freund würde hoffentlich bereit sein ihn abzuholen. Der Freund meldete sich bereits beim zweiten Rufzeichen und versprach tatsächlich sofort loszufahren. Methos atmete innerlich auf. Das Hafengelände von Seacouver wirkte schon an einem Sommertag nicht besonders einladend; erst recht nicht in dieser trüben, nasskalten Oktobernacht.

Der Unsterbliche schlug fröstelnd die Arme um sich und suchte den Windschatten der Lagerhallen, als er einen Wagen näher kommen hörte. Joe konnte es noch nicht sein, außerdem klang dessen Wagen anders. Und noch bevor die Scheinwerfer über den nassen Asphalt vor ihm glitten, spürte Methos das wohlbekannte Prickeln im Kopf. Ein anderer Unsterblicher! Natürlich, ein Unglück konnte schließlich nicht allein kommen. Vielleicht hatte er ja soviel Glück, dass der Ankömmling nicht auf Köpfe aus war. Dann stoppte der Wagen, die Fahrertür schwang auf... und Methos' Hoffnung zerschlug sich sofort. Cassandra zog ohne Eile ihr leichtes Schwert. Ein Blick in ihre Augen sagte Methos, dass sie auf kein Argument eingehen würde. Cassandra wollte Rache - Rache für ihr Dorf, für ihre ermordeten Freunde und Rache für sich selbst. Und jetzt war kein McLeod in der Nähe, der um Methos' Leben bitten konnte. Der alte Unsterbliche zog sein Schwert und machte sich kampfbereit...

Joe steuerte seinen Jeep an der Reihe der Lagerhäuser entlang und hielt Ausschau nach Methos' Wagen. Doch was er dann im Licht der Scheinwerfer sah, ließ seinen Atem stocken. Methos befand sich in einem wilden Kampf gegen eine langhaarige Frau und wurde Schritt um Schritt zurückgetrieben. Joe erkannte Cassandra sofort und ignorierte das oberste Gebot der Beobachter. Zum Teufel mit "Beobachten, Dokumentieren und niemals Eingreifen" - hier ging es um das Leben eines Freundes! Doch noch bevor er einen Ruf ausstoßen ... vielleicht hätte das die Hexe gestoppt ... oder die Pistole ziehen konnte, passierte es: Methos stieß zurückweichend an einen Haufen Bauschutt, strauchelte und Cassandras Schwert blitzte über ihm, fuhr durch seinen Hals.

"Nein...!", schrie Joe gellend auf, noch während er mühsam aus dem Jeep stieg. Cassandra wirbelte überrascht herum, unschlüssig, ob sie ihre Rache vollenden oder sich dem neuen Gegner zuwenden sollte. Joe ließ ihr keine Zeit zum Überlegen. Zwei Kugeln aus seiner Pistole trafen sie ins Herz und ließen sie tot zusammenbrechen. Der Beobachter eilte sofort zu Methos, der zuckend im Bauschutt lag. Blut strömte stoßweise aus dem geöffneten Hals und dazu bläuliche und weiße Blitze. Es sah aus wie ein schwaches Quickening. Joe hatte in Vietnam alles gesehen, was man einem menschlichen Körper antun konnte, und so mancher GI verdankte seinem beherzten Zugreifen sein Leben. Geistesgegenwärtig fasste er Methos' Kopf und drückte ihn nach vorn, um die klaffende Halswunde zumindest optisch zu schließen. Und als Joe ihm den Kopf fester auf die Schultern presste, hörten die Entladungen auf. Auch das Blut strömte nicht mehr stoßweise. Methos' Augen flackerten im Todeskampf; er bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus. "Ist schon gut,", stammelte Joe so beruhigend wie möglich, "lass einfach los, ich bin hier."

Methos hob tastend den Arm und Joe fasste seine Hand, "Es wird alles gut, mein Freund. Ich bin bei dir." Joe war sich längst nicht sicher, dass alles gut würde. Er wusste nicht, ob er wirklich geholfen hatte, ob Methos diese Verletzung überstehen würde; er wusste nur, dass er sein Möglichstes tat. Methos' Augen wurden ruhiger als er in Joes Gesicht blickte. Dann - endlich - erschlaffte sein Körper und er starb. Joe warf einen raschen Blick auf Cassandra, doch von ihr drohte noch keine Gefahr.

Keuchend und völlig erschöpft ließ sich der Beobachter hinter das Lenkrad seines Jeeps fallen. Neben ihm hing Methos leblos im Beifahrersitz. Joe hatte ihm mit dem Inhalt des Verbandskastens den Hals fest bandagiert und ihn dann zum Jeep gezerrt und geschleift. Mitten in seinen Bemühungen musste er Cassandra, die wieder auf die Beine gekommen war und ihre Beute nicht so leicht aufgeben wollte, noch einmal erschießen. Joe hatte bei dieser Gelegenheit gleich ihre Wagenschlüssel abgezogen und weggeworfen. Er wartete noch eine Minute bis sein Atem wieder ruhiger ging. Dann startete er den Jeep und brachte seinen toten Freund nach Hause.



-2-

Niemand schenkte dem scheinbar jungen, blonden Mann Beachtung, der seit Stunden im Gang des Schnellzuges von Seattle nach Seacouver stand, und die Küstenlandschaft an sich vorbeifliegen ließ. Und auch der Mann beachtete niemanden. Tief in sich versunken, als befände er sich an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit, blickte er aus dem Fenster. Doch tatsächlich wurde jede seiner Bewegungen beobachtet und dokumentiert. Der blonde Mann schwang einen Rucksack über die Schulter als der Zug in den Bahnhof von Seacouver einfuhr. Die brünette Frau, die hinter ihm den Zug verließ, bemerkte er nicht.

Joe hatte Methos ein zusätzliches Kissen in den Rücken gesteckt um ihm das Essen zu erleichtern. Seit zehn Tagen lag der Unsterbliche nun schon im "Joe's", wo er sich langsam zu erholen schien. Erst nach fünf bangen Tagen war er in Leben zurückgekehrt, und zwei weitere Tage hatte es gedauert, bis er gleichmäßig atmen, essen und sprechen konnte. Seine Stimme war noch etwas heiser, doch die Stimmbänder schienen sich zu erholen. Auch die Wunde am Hals verschwand, aber langsam - sehr langsam, wie Joe feststellte. So als habe Methos viel von jener geheimnisvollen Kraft verloren, die auch die Selbstheilung der Unsterblichen bewirkte. Am vorigen Tag war er zum ersten Mal aufgestanden und hatte auf schwachen Beinen ein paar Runden im Zimmer absolviert.

"Los jetzt, essen!", befahl Joe in väterlichem Tonfall und stellte einen Teller mit Suppe auf Methos' Bettdecke ab. Seine eigenen Mahlzeit hatte er mitgebracht und ließ sich damit auf einem Stuhl neben seinem Freund nieder.

"Danke.", lächelte Methos. Joes sorgsame Pflege tat ihm gut, aber er spürte auch, dass er sich in sehr kritischem Zustand befand. Die anhaltende Schwäche erschreckte ihn. Er war in den fünftausend Jahren seines Lebens öfter gestorben, als er zählen konnte, aber nie hatte die Erholung so lange gedauert. In seinem jetzigen Zustand war er eine leichte Beute für jeden Unsterblichen, der zufällig in die Reichweite seiner Präsenz kommen würde. Und Joe konnte ihn nicht ewig beschützen! Methos hatte bemerkt, wie müde und hohlwangig der Sterbliche aussah. Und es entging ihm nicht, dass Joe Handy und Pistole ständig bei sich trug, was er früher nicht getan hatte. Von Cassandra hatten sie nichts gesehen. Joe hatte zwei Beobachter auf sie angesetzt, um jede ihrer Bewegungen zu überwachen. Sie kam nicht in die Nähe der Bar, hielt sich aber wie ein lauerndes Raubtier weiterhin in der Stadt auf.

"Joe,", begann Methos nach einer Weile nachdenklich, "wir müssen über etwas sprechen, was dir nicht gefallen wird. Weißt du, wo McLeod steckt?"

"Er ist in Glenfinnan. Ich kann ihn anrufen, oder du tust es besser selbst. Brauchst du ihn?"

"Er muss meinen Kopf nehmen." Als Joe alarmiert aufblickte, fuhr er fort, "Ich sagte schon, dass es dir nicht gefallen wird. Aber lass es mich bitte erklären, ja?"

Joe schluckte und nickte dann wortlos.

"Du hast mir unten am Hafen das Leben gerettet und mich hier seit Tagen gepflegt; dafür kann ich dir nur danken. Aber wenn ich nicht wieder zu Kräften komme, kann mir jeder Unsterbliche den Kopf nehmen... früher oder später wird das passieren, Joe. Und bevor ein Teil von mir in Cassandra oder sonst wem weiter lebt, möchte ich, dass Mac es übernimmt. Das verstehst du doch, Joe?"

Dawson fuhr sich mit der Hand müde über das Gesicht. "Ja, ich verstehe dich, Methos. Es gefällt mir wirklich nicht, aber ich verstehe dich."

Einen Moment blieben sie stumm, dann fragte Joe plötzlich, "Hätte ich unten am Hafen nicht eingreifen sollen? - Wäre es besser gewesen, ich hätte der Natur - eurer Natur - ihren Lauf gelassen?"

Methos schüttelte entschieden den Kopf. "Niemals, Joe! Ich sagte schon, dass ich kein Teil von Cassandra werden will. Ich will leben, und du hast mir die einzige Chance dazu gegeben. Aber es könnte sein, dass ich diese Chance nicht nutzen kann."

Wieder schwiegen die Freunde. Dann begann Joe hoffnungsvoll, "Ich könnte die Chroniken durchgehen. Vielleicht ist irgendwo ein ähnlicher Fall dokumentiert..."

"Jo, selbst wenn ein anderer Beobachter einen von uns in dieser Lage gerettet haben sollte, glaubst du wirklich, er hätte das in den Chroniken vermerkt?"

"Nein.", gab Joe zu. Methos hatte völlig Recht. Dann lächelte er, "Außerdem bist du noch nicht tot, sondern eindeutig auf dem Wege der Besserung. Der Rest braucht eben Zeit."

Joes Handy klingelte und er meldete sich. "Mr. Dawson?", erkundigte sich eine sympathische Frauenstimme, "Ich bin Laura Ingalls und beobachte Joachim Donelaitis. Er ist heute Mittag mit dem Zug in Seacouver eingetroffen und scheint eine Unterkunft zu suchen. Bis jetzt geht er durch die Stadt, kann sich aber offenbar noch für kein Hotel entscheiden."

"Wo ist er jetzt, Laura?", Joes Stimme klang gepresst. Es war genau das eingetroffen, was er seit Tagen fürchtete - ein fremder Unsterblicher wanderte durch die Stadt! Falls er nahe genug an die Bar herankam, musste er Methos' Präsenz spüren.

"Wir sind an der Ecke Whitehall- und ... warten Sie...St. Andrews."

Joe atmete innerlich auf. Also hatte sich dieser Joachim Soundso vom Bahnhof aus nach Norden gewandt. Gut so. Vielleicht war er so nett, bis nach Alaska weiter zu wandern und keinen Schaden anzurichten.

"Ich hoffe, ich konnte Ihnen helfen, Mr. Dawson. Das Hauptquartier in Seattle teilte mir mit, dass Sie über alle Vorgänge in Seacouver unterrichtet werden wollen."

"Danke, Laura. Können Sie mir noch etwas über Ihren Schützling verraten? Was ist er für ein Typ?"

Laura lachte. "Er ist ein Nomade. Lieber Himmel, das ist jetzt mein dritter Auftrag, aber ich habe in den fast zwei Jahren mit Joachim mehr von der Welt gesehen, als in den zehn Jahren davor mit den beiden anderen."

"Reist er den Köpfen anderer Unsterblicher hinterher?"

"Nein, er zieht nur herum, so, als suche er etwas oder könne nicht zur Ruhe kommen. Er hat seinen Teil Köpfe genommen, weil es immer wieder jemanden gab, der ihn herausforderte... von sich aus legt er es nicht auf Kämpfe an."

Nun, das klang beruhigend, fand Joe. Andererseits sank damit die Chance, dass dieser Joachim vielleicht Cassandra aus dem Weg räumen würde.

"Laura, ich danke Ihnen für den Anruf!"

"Gern geschehen, Mr. Dawson."

Sie beendeten das Gespräch und Joe steckte das Handy zurück in die Jackentasche. "Kennst du einen Joachim Donelaitis?", wandte sich der Beobachter an Methos.

Dieser hatte das Gespräch verfolgt und schüttelte sofort den Kopf. "Nein, an diesen Namen würde ich mich bestimmt erinnern. Klingt ja ungewöhnlich genug."

"Baltisch...", überlegte Joe. " Komm, wir sehen im Computer nach. Vielleicht kennst du ihn unter einem anderen Namen."


"Donelaitis, Joachim, geboren 1422 in Krzc...", Joe gab den zungenbrecherischen Ortsnamen auf, "an der unteren Duna im heutigen Kurland. Wurde 1453 unsterblich. Ein Igor Jeromin nahm ihn als Schüler an. Sie trennten sich drei Jahre später und Joachim zog durch das Baltikum und Russland bis zum Ural. Später wandte er sich nach Süden und wanderte im Laufe der Jahre durch Mittelasien und Afghanistan bis in den Hindukusch und den Panjab. Dort blieb er fast siebzig Jahre. Danach nahm er seine Wanderungen wieder auf - von Indien über die Türkei und den Balkan zurück an die Duna; dann quer durch Deutschland und Frankreich über Spanien nach Afrika. Von dort aus wieder nach Nordindien und weiter durch Indochina bis nach Sibirien. - Laura hat Recht, Methos, der Kerl IST ein Nomade."

"War er immer nur in der Alten Welt?"

"Ja. Erst vor sechzig Jahren kam er nach Südamerika, wanderte aber auch dort nur herum. Zwischendurch heuerte er auf Frachtschiffen an, um wieder nach Europa und Asien zu gelangen. Keine Freunde, kein fester Wohnsitz... außer diesen siebzig Jahren in Nordindien."

"Ich bin ihm nie begegnet, Joe.", stellte Methos fest. "An dieses Gesicht würde ich mich erinnern."

Joe musste ihm zustimmen. Der Mann sah eindrucksvoll genug aus. Er hätte ihn sogar als schön bezeichnet, wäre dieses Wort von Mann zu Mann angemessen gewesen; ein langes, schmales Gesicht mit gerader Nase, fast schulterlanges, aschblondes Haar und große tiefgrüne Augen.

Die nächsten zwei Tage vergingen ereignislos. Auch Laura Ingalls hatte sich nicht mehr gemeldet und die Freunde atmeten langsam auf. Methos blieb länger auf den Beinen, konnte das Haus aber immer noch nicht verlassen. Die Bar mied er, leistete Joe aber gerne im Büro Gesellschaft. Dort saßen sie auch an diesem Abend, als Methos plötzlich die Präsenz eines anderen Unsterblichen fühlte.

"Joe!", sagte er gepresst und hob sichernd den Kopf.

Der begriff sofort. "Bleib hier, ich sehe nach." Ein automatischer Griff zur Pistole, die er unauffällig unter dem Pullover trug, dann verließ er das Büro. Im Gang zur Bar verharrte er, um sich kurz zu sammeln. Gerate jetzt bloß nicht in Panik, wies er sich zurecht. Vielleicht ist Mac zurückgekommen, oder es ist Amanda, die mal wieder hereinschneit. Und selbst, wenn es jemand anderes ist... die Bar ist voller Gäste. Da kann er oder sie überhaupt nichts anstellen. - Nein, sagte ein anderer Teil seines Gehirns, aber er kann in aller Ruhe auf einen günstigen Zeitpunkt warten! Joe atmete noch einmal tief durch, öffnete die Tür und trat hinter den Tresen, wo Mike die Gläser füllte. Er sah ihn sofort. Ganz am Ende der Theke, nahe am Ausgang, stand Joachim und blickte sich mit der unauffälligen Wachsamkeit des erfahrenen Unsterblichen um. Natürlich spürte er Methos ebenso wie dieser ihn. Joe ging zu ihm. "Was darf es sein?"

Die grünen Augen wandten sich ihm mit freundlicher Neutralität zu. "Ein Bier, bitte. Haben Sie deutsches Bier?"

"Sicher." Joe musste lächeln, während er die Flasche aus der Kiste unter dem Tresen hervor holte. Joachim war noch nicht lange genug in den Staaten um sich an Budweiser & Co. gewöhnt zu haben. Er öffnete die Flasche, füllte routiniert ein Glas und stellte es vor den Unsterblichen auf die Theke. Der dankte und trank in langsamen Zügen, wobei der den Blick wieder über die Anwesenden schweifen ließ. Das gab Joe Gelegenheit, ihn seinerseits ausgiebig zu mustern. Er musste zugeben, dass das Foto in der Datei Joachim nicht gerecht wurde; in natura sah der Mann einfach blendend aus! Vermutlich war es nur eine gewisse Unnahbarkeit, die vor allem die Damenwelt von Annäherungsversuchen abhielt; jedenfalls bemerkte Joe den einen oder anderen begehrlichen Blick. Dem Unsterblichen schien das völlig egal zu sein. Joachim wirkte aufmerksam, schien sich aber gleichzeitig in einer anderen Welt zu befinden; und in der Tiefe seiner Augen lag grenzenloser Kummer. Würde dieser Mann Methos gefährlich werden? Joe beschloss, in die Offensive zu gehen. Joachim wusste bereits, dass es hier einen anderen Unsterblichen gab ... es konnte nicht schaden, ihm die Überzeugung zu nehmen, dass er der Einzige mit diesem Wissen war.

"Ist eine friedliche kleine Bar hier,", sprach Joe ihn freundlich an, "hin und wieder gibt's lautstarke Diskussionen, aber die Leute prügeln sich nicht und es rollen keine Köpfe." Ein unverfängliches Wortspiel für einen Uneingeweihten, aber Joachim begriff sofort. Joe grinste innerlich, als er beobachtete wie sich die Fragen in Joachims Kopf förmlich überschlugen. "Yep,", nickte er nur, "Ich weiß Bescheid."

Der Unsterbliche schwieg einen Moment und sah in forschend an. "Dann wissen Sie auch von dem Anderen?"

Wieder nickte Joe. "Ist ein Kumpel von mir", erklärte er knapp. In Gedanken fügte er hinzu, und du weißt hoffentlich, dass Freunde einander beschützen!

Das wusste Joachim offenbar nur zu gut. Joe erschrak fast, als er den plötzlichen Schmerz in den grünen Augen sah. Hatte er alte Wunden aufgerissen? Joachim schien ihm bis in die Seele blicken zu wollen, und Joe erwiderte den Blick. Sie verstanden einander.

"Ihr Freund hat viel Glück", sagte Joachim schließlich, "und Sie können mir glauben, dass ich nicht seinen Kopf will. Ich will nur meinen Frieden."

Joe akzeptierte das mit einem Nicken, "Ich glaube Ihnen."

Der Unsterbliche blieb bis spät in den Abend. Als Joe mit der Gitarre die kleine Bühne betrat und einige Lieder sang, stand er mit dem Rücken zum Tresen und sah ihm zu. Joes Stimme rief Erinnerungen in ihm wach und dankbar ließ er sich von ihr in seine glücklichste Zeit entführen...



-3-


1750 - zwischen Khaiberpaß und Indus

Joachim zügelte sein hageres afghanisches Bergpony und blickte zurück nach Western. Der Khaiberpaß lag hinter ihm und damit, so hoffte er, auch die unberechenbaren Krieger der Bergstämme. Sie begegneten dem einzelnen Reiter zwar nicht direkt feindselig, aber jeder Stamm schien anzunehmen, dass er ein Spion eines feindlichen Nachbarstammes sei - hier lebte jeder mit jedem in Fehde, so jedenfalls kam es Joachim vor. Sein schlechtes Paschtunisch reichte nicht aus um Missverständnisse zu verhindern, und die Krieger fuchtelten gefährlich wild mit ihren Säbeln herum. Doch jetzt lag die Passhöhe bereits weit hinter ihm und er brauchte nur noch dem Flusslauf zu folgen um an den Indus zu gelangen. Mit einem Zungenschnalzen trieb er die kleine, aber unglaublich zähe braune Stute an, um vor Einbruch der Dunkelheit einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Plötzlich hob die Stute den Kopf und spitzte die Ohren. Joachim verstand die Warnung und lauschte nach Hufschlägen, hörte aber nur das Rauschen des Flusses... bis es zu spät war. Wieder einmal! Vier wild aussehende Reiter fegten hinter den Felsen eines kleinen Seitencanyons hervor und umzingelten ihn. Joachim kam nicht einmal dazu, sein Schwert zu ziehen. Die vier nahmen ihn in die Mitte, einer griff nach den Zügeln des Ponys und im Galopp ging es wieder in die schmale Schlucht hinein.

Seine Entführer hielten schließlich an einer Verbreiterung der Schlucht an. Einzelne Feuer brannten bereits, Männer führten abgesattelte Pferde zu Futterstellen und Tränken, zwei oder drei einfache Karren standen vor der Felswand. Ein Heerlager, vermutete Joachim. Aber offensichtlich kein afghanisches; die Kleidung und Bewaffnung der Männer war anders. Bevor er weiter überlegen konnte, packten ihn Fäuste und zerrten ihn vom Pferd. Er wurde quer über den Platz vor einen Mann gestoßen, der hinter einem Wagen hervorgetreten war. Joachim hielt sein Gleichgewicht und blickte gebannt auf den jungen Mann, der ihn seinerseits aus schwarzen Augen musterte. Er konnte kaum älter als zwanzig sein, obwohl ihn seine Selbstsicherheit, ja Arroganz, so erscheinen ließ. Sterblich, das wusste Joachim sofort, intelligent und mächtig. Ganz offensichtlich einer der vielen Fürsten oder Prinzen, die hier im Norden Indiens, in den Ausläufern des Hindukusch, als Feudalherren herrschten. Kleidung und Bewaffnung deuteten auf einen Sikh hin, was Joachim etwas von seiner Anspannung nahm. Sikhs galten als absolut furchtlose Krieger, waren aber in ihrem Verhalten sehr berechenbar, wenn man auf die Signale achtete. Als die beiden Männer ihn los ließen, blieb der Unsterbliche ruhig stehen und senkte nur kurz die Lider als ihn der dunkle, direkte Blick des jungen Fürsten traf. Damit hatte er stillschweigend die Überlegenheit des anderen anerkannt, ohne allzu demütig zu wirken.

Khan Noonian Singh, der zweite Prinz des Fürstentums Gulkot, musterte den Fremden ebenso gebannt, wie dieser ihn. Europäer waren ihm nicht unbekannt, doch trugen sie in der Regel keine afghanische Kleidung und hatten auch nicht so tiefgrüne Augen wie der Mann vor ihm.

"Wer bist du?", fragte er auf Panjabi, "Und was willst du hier?"

Joachim runzelte die Stirn. Er begriff, dass er etwas gefragt worden war, verstand aber die Sprache nicht. Khan bemerkte es und wiederholte die Frage auf Hindi. Joachim glaubte, zwei oder drei Wörter zu erkennen. Er nannte seinen Namen und deutete dabei auf sich. Der Sikh nickte. Die nächste Frage stellte Khan in fehlerhaftem Englisch, was bei Joachim erleichtertes Aufatmen zur Folge hatte. Er antwortete etwas holprig in derselben Sprache. Doch die beiden Männer hatten eine Verständigungsbasis gefunden, auch wenn es sich vorerst nur um ein Verhör handelte. Es sollte der Beginn einer lebenslangen Freundschaft werden, die auch nach Khans Tod nicht enden würde...

Der junge Fürst war auf dem Heimweg nach Norden gewesen, als seine Männer den Fremden gefangen nahmen. Nichts deutete darauf hin, dass er ein Spion oder Attentäter seines älteren Bruders war, den er erfolgreich ins Exil gejagt hatte. Die Hierarchie an indischen Königshöfen erlaubte keinerlei Sentimentalität - es war nicht unüblich, den eigenen Vater zu entmachten und Brüder oder Halbbrüder mittels Gift oder Vertreibung vom Thron zu stoßen. Und Khan wollte herrschen! Charismatisch und intelligent wie er war, war es ihm nicht schwer gefallen, am Hof eine ergebene Gefolgschaft um sich zu sammeln. Der alte Fürst würde bald in Ehren abdanken. Und nach Sibal Singhs Flucht war Khans Weg auf den Thron frei.

Joachim sollte von all dem erst später erfahren. Doch er fühlte sich im Gewahrsam des jungen Fürsten sicher; erst recht, als Khan einen Wächter, der ihn roh herumriss, mit einem zornigen Blick zurechtwies. Nur ein Blick - mehr war nicht nötig. Joachim wurde zwar an einen der Karren gefesselt, erhielt aber zu essen und eine Decke. Später am Abend kam der junge Fürst und setzte sich in seine Nähe. Langsam kam eine Unterhaltung in Gang, Fragen nach dem Woher und Wohin. Joachim erzählte von seiner fernen Heimat, seinen Reisen und stellte seinerseits Fragen, die Khan bereitwillig beantwortete. Der Sikh hatte in seinem Leben so gut wie ausschließlich mit Untergebenen zu tun, die seine Befehle befolgten, mit denen er aber nicht seine Gedanken austauschen konnte. Auch in seiner Familie fand er diese Möglichkeit nur sehr begrenzt. Khan war sich nicht bewusst, dass er überdurchschnittlich intelligent und lernfähig und somit seiner Zeit geistig weit voraus war. Doch während er sich mit diesem fremdartigen Europäer unterhielt, begriff er plötzlich, dass da ein Gleichgestellter saß, der dennoch keinerlei Rivalitätsgefühle in ihm auslöste. Das hatte nichts mit den Fesseln zu tun; Khan wusste instinktiv, dass Joachim keine Bedrohung für seinen Herrschaftsanspruch darstellte.

Sein Instinkt trog ihn nicht. Tatsächlich hatte Joachim nicht das geringste Interesse an den Machtkämpfen der Sterblichen. Für ihn ging es ums Überleben im Kampf gegen die eigenen Artgenossen. Die Sterblichen mied er seit dem Ersten Tod, damals, am Ufer der Duna. Zu groß war die Angst vor der Entdeckung seines Geheimnisses, vor dem Aberglauben und der Furcht der Menschen, zu denen er nun seit fast drei Jahrhunderten nicht mehr gehörte.

Schließlich stand Khan auf, überprüfte Joachims Fesseln und überzeugte sich, dass sie ihm bei aller Festigkeit einen bequemen Schlaf ermöglichten.

Früh am nächsten Morgen brach der Trupp auf. Einer der Krieger brachte Joachim zu essen und führte dann sein gesatteltes Pony heran. Weiter vorn bestieg Khan seinen herrlichen weißen Araber und sah aufmerksam herüber. Der Krieger hielt das Pony, so dass Joachim auch mit gefesselten Händen aufsteigen konnte, und gab ihm dann die Zügel in die Hände. Der Unsterbliche konnte so sein Reittier kontrollieren, doch eine Flucht aus der Gruppe der Reiter wäre aussichtslos. Joachim suchte Khans Blick und auf dessen Nicken hin trieb er seine Stute neben den Schimmel. Khan gab ein Zeichen und der Trupp setzte sich in Bewegung.

Sie ritten bis zum Mittag, rasteten während der größten Hitze des Tages und brachen am Nachmittag erneut auf. Joachim wusste jetzt, dass zwei Späher vorausritten und zwei weitere dem Trupp in einiger Entfernung folgten. Dennoch kam der Angriff fast ohne Warnung. Einer der hinteren Späher schoss in vollem Galopp heran und schrie Khan etwas zu, dann krachten auch schon die Schüsse. Khan glitt vom Pferd und zog Joachim vom Pony, wobei er dessen Handfesseln durchschnitt. Dann griff er seine Flinte, scheuchte die Pferde in die Deckung einiger Felsen und suchte nach einem Ziel. Joachim blieb sogar das verwehrt - er besaß keine Feuerwaffe und sein Schwert trug Gott weiß wer mit sich herum. Doch er sah die verhüllte Gestalt auf dem Felsen erscheinen, sah den Gewehrlauf, der sich auf Khan richtete - und stieß den jungen Sikh mit aller Kraft zur Seite. Gleichzeitig spürte er den Einschlag der Kugel in seiner Brust und hörte den Knall von Khans Flinte neben sich. Dann verschwamm sein Bewusstsein. Lieber Gott, lass sie abgezogen sein, wenn es wieder passiert., war sein letzter Gedanke.

Khan blickte fassungslos auf den blonden Mann, der ihm das Leben gerettet hatte und nun vor ihm im Sterben lag. Er hob ihn auf, so behutsam wie es ihm möglich war. Helfen konnte niemand mehr, das sah Khan auf den ersten Blick. Aber er sollte wenigstens in Ruhe sterben dürfen. Khan trug ihn etliche Meter zur Seite, bis sie durch dichtes Buschwerk vom Kampfgetümmel getrennt waren. Dann legte er ihn sanft auf den sandigen Boden. Joachim atmete noch schwach, war jedoch nicht mehr ansprechbar. Und noch während Khan ihm eine Haarsträhne aus der Stirn strich starb er. Unfähig, sich gleich von der Leiche abzuwenden, kniete der junge Fürst im Sand... und beobachtete erschrocken, wie aus der Brustwunde bläulich-weiße Blitze zuckten und sie verschlossen. Schließlich erinnerte nichts mehr an die tödliche Verletzung - nur das Blut auf der hellen Haut und dem zerrissenen Hemd. Im ersten Schreck musste Khan an einen Dämonen denken, an denen die indische Glaubenswelt so reich ist, doch den Gedanken verscheuchte er schnell. Er gefiel ihm einfach nicht. Vielleicht waren diese Funken ja normal für die Menschen aus jenem fernen Land im Nordwesten... vielleicht war Joachim auch wirklich ein Dämon... aber dann hatten ihn die Götter zu seinem Schutz geschickt. Und noch während Khan diesen Schock verarbeitete, wurde ihm der nächste versetzt. Die Brust des Toten hob sich zu einem keuchenden Atemzug und Joachim riss die Augen auf. Khan fuhr zurück, schien nun doch fliehen zu wollen, doch eine schwache Handbewegung Joachims hielt ihn zurück. Der blonde Mann sah nicht weniger bestürzt aus, als Khan sich fühlte - in diesen ersten Minuten nach der Wiederbelebung war er jedem zufälligen Zeugen hilflos ausgeliefert. Und Joachim hatte genug Scheiterhaufen aus Angst und Aberglauben brennen sehen. Khan fasste sich schnell als nichts weiter geschah und überzeugte sich mit einem raschen Blick, dass sie noch immer allein waren. Er wusste nicht, was er von dem eben Erlebten halten sollte, spürte aber genau, dass er dieses Geheimnis schützen musste. "Wer bist du?", fragte er mühsam, "Was bist du?"

Joachim schloss matt die Augen. Genau diese Frage hatte er befürchtet. "Wenn du es erlaubst, werde ich dir später alles erklären. Jetzt musst du mir glauben, dass ich dir gestern die Wahrheit sagte und dass ich für niemanden eine Gefahr bin." Er hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt, nur eben nicht die GANZE Wahrheit.

Khan blickte ihn eine Weile an, dann nickte er. "Ich glaube dir. - Kannst du aufstehen?"

"Ich bin so gut wie neu." Für einen Augenblick zeigte sich noch einmal Furcht in Khans Augen als der Mann, der eben noch tot vor ihm gelegen hatte, auf die Beine kam und die beiden Pferde holte, die ein Stück entfernt an ein paar dürren Büschen knabberten. Der Gefechtslärm schwieg - offenbar waren die Gegner in die Flucht geschlagen worden. Und Khan und Joachim brauchten ein paar Minuten für sich, um sich nach dem Erlebten wieder zu sammeln. Der Unsterbliche näherte sich unter beruhigendem Zureden seiner Stute, bekam den Zügel zu fassen und lehnte die Stirn kurz an den Pferdehals. Dann holte er den Schimmel und ging mit beiden Pferden zu Khan zurück. Als sie aufstiegen und zu den anderen ritten, dachte keiner von ihnen mehr an die Fesseln.

So kam Joachim in den Palast der Winde, hoch oben in den südlichsten Ausläufern des Hindukusch. Anders als im Inuds-Tiefland bliebe es hier auch während der heißen Sommermonate angenehm frisch. Für Joachim, der in Armut aufgewachsen war und oft genug gehungert und gefroren hatte, war Khans Palast ein Paradies, und er liebte den Mann, der ihn in dieses Paradies geführt hatte. Er hatte Khan alles von sich erzählt; von seinem Leben, seinen Kämpfen und auch von dem endgültigen Tod, den ein Unsterblicher starb, der seinen Kopf verlor. Und der junge, intelligente Fürst hatte es - wenn auch nach vielen Frage - akzeptiert. Die körperliche Liebe war ein Teil der innigen Beziehung, die schnell zwischen ihnen heranwuchs. Khan war ein Machtmensch, ein Mann, der sich nahm was er wollte, doch den Unsterblichen behandelte er so behutsam wie einen kostbaren Schatz. Nach der Liebe redeten sie stundenlang über Joachims Erlebnisse in einer für Khan fremden Welt und - als die gemeinsamen Monate sich zu Jahren dehnten - über die Angelegenheiten des Fürstentums. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, Khans bisweilen überharte Entscheidungen abzumildern, und so manches Todesurteil war in der Abgeschiedenheit der Gemächer aufgehoben worden.

Ihre Beziehung änderte sich auch nicht, als Khan Prinzessin Razoona zur Frau nahm. Nach indischem Brauch hatten die beiden Hauptpersonen in dieser Angelegenheit nichts mitzubestimmen ... sie waren einander schon als Kinder versprochen worden. Khan hatte auf eine kluge Mitregentin gehofft, doch Razoona interessierte sich wenig für das Reich und sah ihre Aufgabe eher darin, ihrem Gemahl viele Söhne zu schenken. Joachim sah die Kinder heranwachsen: Medan, der die Gleichgültigkeit seiner Mutter geerbt zu haben schien und die kleine, hellwache Ratina, die ganz nach ihrem Vater kam. Sie war Khans Liebling und erhielt eine Bildung, die indischen Mädchen sonst verwehrt blieb. Doch auch vor seiner Familie hütete Khan Joachims Geheimnis. "Ratina könnte es vielleicht erfahren, wenn sie älter ist.", meinte Khan, während er mit seinem Liebhaber die Reitversuche der Zehnjährigen auf Khans feurigem Araberhengst beobachteten.

Die Jahre gingen ins Land mit Krieg und Frieden. Joachim begleitete seinen Fürsten in jedes Gefecht und schützte sein Leben mit dem eigenen unsterblichen Körper. Nur ein einziges Mal tauchte ein anderer Unsterblicher auf. Es war ein Samurai und er forderte Joachim zum Duell. Khan wurde Zeuge des Kampfes, sah wie der Samurai seinen Kopf verlor und Joachim sein Quickening empfing. Es erschreckte ihn, wie schwach sein Freund nach den überstandenen Schmerzen war. Nein, das Leben eines Unsterblichen war weder leichter noch glücklicher als das eines Sterblichen!

Die Engländer dehnten ihren Einfluss in Nordindien weiter aus und Khan kämpfte mit Joachim um die Unabhängigkeit seines Fürstentums. Oft war Joachims Diplomatie dort erfolgreich, wo Khans Krieger scheiterten. Doch der mächtige Sikh-Fürst wurde alt. Sein einst muskulöser Körper war hager geworden; sein langes Haar war nun weiß, von eisengrauen Strähnen durchzogen. Die Augen hatten jedoch noch das gleiche Funkeln wie einst, und ein giftiger Blick von ihm erstickte jeden Widerstand im Keim. Fürstin Razoona war verstorben und widerstrebend machte sich Khan daran, Prinz Medan auf die Thronfolge vorzubereiten. Ratina war einem Fürstensohn in die Berge von Kaschmir gefolgt. Entgegen dem allgemeinen Brauch hatte Khan seine Tochter nicht bereits als Kind verheiratet, sondern ihr auf Reisen und Besuchen eine eigene Wahl ermöglicht. Schon als ganz junges Mädchen hatte sie ihr Herz für den geheimnisvollen Freund ihres Vaters entdeckt, und da wussten die beiden Männer, dass Ratina über Joachim aufgeklärt werden musste. Zwar hätte Khan nichts lieber getan, als seine Tochter mit seinem vertrautesten Gefolgsmann zu verheiraten, doch damit würde sie auf Kinder verzichten müssen... Unsterbliche waren unfruchtbar. Und dieses Opfer wollte Ratina, in dieser Hinsicht eine echte indische Prinzessin, nicht bringen.

Es war nun fast wieder wie zu Beginn ihrer Freundschaft, vor Razoona und den Kindern, doch Joachim spürte eine wachsende Angst. Der über 80jährige Fürst hatte den Winter nicht gut überstanden und im Frühjahr fesselten ihn quälender Husten und fiebrige Infekte an sein Lager. Joachim sah, was er nicht sehen wollte - dass ihre gemeinsame Zeit zu Ende ging. Er verließ kaum noch Khans Gemächer, um nicht einen Augenblick mit ihm zu versäumen. In einer stürmischen Frühlingsnacht kam schließlich das Ende. Der Himmel war Wolkenverhangen und nur der Schein einer Kerze tauchte Khans Lager in ein sanftes Licht. In der Stille des frühen Morgens fuhr Joachim mit einem Ruck aus seinem kurzen Schlaf auf.

"Joachim.", flüsterte Khan heiser.

"Was ist, Mylord?"

Khan sah Joachim mit absoluter Klarheit in die Augen. "Wir werden uns wieder sehen!", versprach er mit fester Stimme. "Ich warte auf dich am Rande der Ewigkeit. Leb wohl, mein Freund, lebe weiter."

Es waren seine letzten Worte. Khans Kopf sank zur Seite, sein Atem ging in einen Seufzer über und stand dann still. Joachim kniete wie versteinert an seinem Lager und hielt die erkaltende Hand. Er hatte von Anfang an gewusst, dass dieser Tag kommen würde, und doch konnte er den Verlust nicht fassen.

Die folgenden Tage und Wochen verbrachte Joachim in einem Zustand zwischen Betäubung und hellwachem Erleben. Bei der feierlichen Einäscherung Khans stand er an Fürst Medans Seite, sah zu, wie Khans Leiche in den roten Prachtgewändern auf den Scheiterhaufen gebettet wurde, den Medan als der Sohn des Verstorbenen in Brand setzte. Er sah die Liebe seines Lebens in Flammen und Rauch aufgehen. Medan war ihm kein Trost. Er war Khans Sohn, doch zwischen ihm und Joachim hatte nie eine enge Beziehung bestanden. Er hatte weder Khans Charisma, noch schien ihm viel an Joachims Treue und Hingabe zu liegen. Nach der Beisetzung ließ er den Unsterblichen nur selten zu sich rufen und niemals war es zu einer persönlichen Unterredung.

"Möchtest du, dass ich gehe, Mylord?", fragte Joachim ein Jahr später, nachdem Medan ihn nach einer kurzen Beratung entlassen wollte.

Der Fürst sah ihn einen Moment unschlüssig an, dann nickte er, als sei er froh, dass dieses Thema endlich zur Sprache kam. "Mein Vater hat dich in hohen Ehren gehalten und du warst ihm und auch mir immer ein guter Gefolgsmann. Trotzdem bist du mir fremd geblieben und deine Gegenwart..."

"... beunruhigt dich!", vollendete Joachim für ihn.

Medan nickte hoheitsvoll. "Ja, du bereitest mir Unbehagen. Die Götter haben dich anders geschaffen als andere Menschen und ich sehe dich nicht gerne im Palast."

"Dann werde ich gehen.", versprach Joachim. Er hatte diese Entwicklung seit längerem gespürt und nahm sie ohne Widerstand hin. Er hatte den Palast der Winde geliebt und sich dort zu Hause gefühlt so lange Khan lebte, doch nach dessen Tod war nur ein leeres Gemäuer zurück geblieben. Und in diesen Mauern gab es niemanden, der die Schmerzen der Erinnerung und des Verlustes gelindert hätte.

Früh am nächsten Morgen verstaute Joachim Proviant und seine Besitztümer in den Satteltaschen des fuchsfarbenen Arabers, den Khan ihm noch geschenkt hatte. Zum letzten Mal ging er mit dem Pferd am Zügel über den Hof und durch das Tor. Ein Stallbursche mit einem stilisierten Flügelsymbol an einem Halskettchen sah ihm aufmerksam nach. Draußen auf der Straße stieg Joachim auf und lenkte sein Pferd nach Norden. Doch oben am Waldrand, wo der Weg sich um die Berge herum wand, hielt er noch einmal an und blickte zurück. Tränen traten in seine Augen während er nach dem Amulett tastete, das er um den Hals trug. Khan hatte es ihm umgelegt, nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Vielleicht war es gut, dass er nun ging; vielleicht ließ der Schmerz nach, wenn er nur genügend Entfernung zwischen sich und den einst so geliebten Ort brachte. Doch wohin er sich auch wandte, so schnell er auch ritt, der Schmerz ließ sich nicht abschütteln. Er blieb sein unsichtbarer Begleiter, wie eine Wunde aus der unablässig Blut strömt. Joachim war oft in Versuchung, seinen Kopf dem nächstbesten Unsterblichen zu überlassen, der ihn herausforderte; oder - als die Industrialisierung weiter fortschritt - sein Genick auf ein Eisenbahngleis zu legen. Dann dachte er daran, was Khan von solch einem schmählichen Tod halten würde. Nein, er hatte weiterzuleben, wie sein Fürst es gewünscht hatte. Khan würde auf ihn warten bis er einen ehrenvollen Tod starb. Das hatte er ihm versprochen.

Nur ein einziges Mal kehrte Joachim an den Ort seines Glücks zurück, doch er fand ihn völlig verändert. Der Palast der Winde war verschwunden wie auch Khans Nachkommen, und nur in seiner Erinnerung lebten beide weiter.



-4-


Gegenwart in Seacouver

Auch am nächsten Abend erschien Joachim wieder in der Bar. Er trank sein Bier und hörte Joes Liedern zu, doch dieses Mal ging er nicht, als Joe seinen Auftritt beendet hatte. Die Wachsamkeit des Sterblichen in Hinblick auf den Unsterblichen in diesem Haus machte ihn nachdenklich. "Darf ich Sie zu einem Bier einladen?", fragte er deshalb als Joe wieder hinter den Tresen trat.

"Gern, setzten wir uns.", stimmte Dawson zu und deutete auf einen freien Tisch. Es war ihm klar, dass Joachim etwas über Methos erfahren wollte, und je eher die Karten offen auf den Tisch kamen desto besser. Er musste herausfinden, ob Joachim wirklich keine Gefahr für den geschwächten Methos darstellte.

"Sie wissen sehr viel über uns,", begann der Unsterbliche etwas zögernd, "hat Ihr Freund es Ihnen erzählt?"

"Richtig.", gab Joe zu und sah ihn prüfend an, "Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch Sie viel über die Freundschaft zu Sterblichen erzählen könnten. Habe ich Recht?"

Joachim nickte. "Es ist fast 200 Jahre her, aber ich habe ihn nie vergessen." Er wusste selbst nicht, weshalb er mit einem fast Fremden darüber sprechen wollte. Vielleicht waren es Joes Lieder, seine Augen, seine Freundschaft zu einem Unsterblichen ... oder auch alles zusammen. Jedenfalls erzählte Joachim und Dawson hörte zu. "Ich würde auch Ihren Freund gerne kennen lernen.", schloss er schließlich. Er verstand nicht, weshalb er die Präsenz des anderen Unsterblichen zwar spürte, dieser sich aber nicht zeigte. Doch mehr als das Versprechen es auszurichten, konnte er Dawson nicht abringen.

"Du meinst, ich sollte mit ihm sprechen?", fragte Methos als Joe später bei ihm saß und erzählte.

Dawson zuckte die Schultern. "Das musst du wissen. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, er meint es ehrlich, aber ich möchte nicht dein Leben darauf verwetten."

Methos grinste. "Ich muss ja nicht als Methos zu ihm gehen, das würde ihn vielleicht zu sehr in Versuchung führen. Aber ich kann den guten alten Adam Pierson wieder aufleben lassen."

"Gut. Möchtest du mich dabei haben?"

"Ja, bitte, Joe. Bleib auf jeden Fall in Sichtweite."

Am folgenden Abend saß Methos in der Bar während Dawson hinter dem Tresen arbeitete und die Gäste im Auge behielt. Noch bevor Joachim erschien, klingelte sein Handy und Laura Ingalls meldete sich. "Mr. Dawson, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Joachim Donelaitis offenbar länger in Seacouver bleiben will. Er hat in einer kleinen Pension in der Wilson Road ein Zimmer genommen."

"Dann hat er ja nicht weit zu gehen,", entfuhr es Joe, "hier in der Bar ist er auch schon aufgetaucht."

"Deswegen rufe ich ja an, Mr. Dawson. Ich wollte fragen, ob Sie Joachim übernehmen könnten solange er in Ihrer Nähe ist. Ich muss für einige Zeit nach Seattle."

"Kein Problem, Laura. Ich beobachte ihn, solange er hier in Seacouver ist." Und WIE ich ihn beobachten werde, dachte Dawson, während Laura sich bedankte und das Gespräch beendete. Schließlich ging es um das Leben eines befreundeten Unsterblichen, aber das musste die Kollegin nicht unbedingt erfahren.

Kurze Zeit später sah er Methos auf charakteristische Weise den Kopf heben und gleich darauf trat Joachim ein. Dawson nickte ihm zu und deutete auf den Tisch, an dem Methos bereits Platz genommen hatte. Er selbst blieb hinter dem Tresen und beschränkte sich auf das, was er Methos versprochen hatte - er blieb in Sichtweite und beobachtete.

Die Unterhaltung zwischen den Unsterblichen schien nur langsam in Gang zu kommen, doch schließlich bemerkte Joe, dass beide ihre Haltung lockerten und Methos seine Schwäche nicht mehr so angestrengt verbarg. Er sagte etwas, dass bei Joachim ein Lächeln hervorrief und bestellte noch zwei Gläser Bier. Halbwegs beruhigt trocknete sich Joe die Hände ab, griff nach der Gitarre und betrat die Bühne, um seinen Teil der Abendunterhaltung zu übernehmen. Dieses Mal verzichtete er auf den sonst vorherrschenden Blues und intonierte einige Balladen. Diese Mischung kam bei der Kundschaft gut an, und vor allem Joachim schien diese stimmungsvollen Lieder zu lieben. Auch jetzt hatten seine Augen einen Ausdruck, als befände er sich in einer anderen Welt und Methos lauschte den Kopf entspannt auf die Hände gestützt.

Sehr spät in der Nacht ging Joachim durch die stillen Straßen zu seinem Zimmer. Seit seinem ersten Treffen mit Adam Pierson waren etliche Tage vergangen und er war dem anderen Unsterblichen sehr nahe gekommen. So nahe jedenfalls, wie er nach Khans Tod noch einem Menschen kommen konnte. Er wusste nun von Cassandra und der Beinahe- Enthauptung, und welche Rolle Joe in diesem Drama gespielt hatte. Und er wusste, wie er Adam helfen konnte. Er konnte ihm die verlorene Lebensenergie zurückgeben - mit seinem Kopf. Joachim blickte zu den Sternen auf. "Sollte ich deshalb so lange weiterleben, Khan?", frage er leise, "Damit ich Adam helfe? Sein Freund ist sterblich, so wie du sterblich warst; er konnte ihn retten, aber nicht heilen." Zum ersten Mal seit Khans Tod spürte Joachim so etwas wie Glück - wenn Adam einverstanden war, seinen Kopf zu nehmen, dann würde der Schmerz enden und er würde wieder mit seinem Freund zusammen sein.

"Ich soll WAS...?", fragte Methos fassungslos, als er am nächsten Abend wieder zusammen mit Joachim im "Joe's" saß. "Das ist nicht dein Ernst?"

"Es ist mein Ernst, Adam. Und wenn du dir selbst gegenüber ehrlich bist, dann wirst du zugeben, dass es die einzige Möglichkeit ist ... für uns beide. Du brauchst ein Quickening um wieder zu Kräften zu kommen, und so wie ich das sehen, bin ich der Einzige, der es dir geben kann."

"Joachim, ich bin nicht in der Lage mit dir zu kämpfen. Ich will es nicht einmal."

Der blonde Unsterbliche lächelte. "Du sollst auch nicht kämpfen, du sollst nur meinen Kopf nehmen."

"Aber WARUM, Joachim? Wir kennen uns kaum. Warum willst du ein solches Opfer für mich bringen?"

"Glaube mir, es ist kein Opfer für mich. Ich habe euch von Khan und mir erzählt; du weißt wie sehr ich ihn vermisse. All die Jahre habe ich durchgehalten, aber jetzt will ich einfach nicht mehr! Verstehst du? Ich will, dass es aufhört!", Joachims Stimme schwankte, und Methos sah die Tränen in seinen Augen.

Es war nicht das erste Mal, dass er einem ausgebrannten Unsterblichen gegenüberstand, den die Jahrhunderte zermürbt hatten. Und in einem solchen Fall machte das Schwert des Gegners normalerweise ein rasches Ende. "Wenn du nur sterben möchtest, hättest du das längst bewerkstelligen können,", sagte Methos sanft, "zur Not gibt es dafür Eisenbahngleise."

So etwas wie Stolz flammte in Joachims Augen auf. "Ich bin noch immer Khans Gefolgsmann, Adam. Ich will sinnvoll sterben und mich nicht einfach wegwerfen. Soviel bin ich Khan schuldig."

Methos schloss einen Moment lang die Augen. Tief in seinem Innersten wusste er, dass der Andere auf eine furchtbare Art und Weise Recht hatte. Und es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er Joachims Angebot bedenkenlos angenommen. Ganz so abwegig war es nicht. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit in Paris, als er McLeod seinen Kopf im Kampf gegen Kalas angeboten hatte. Ganz uneigennützig waren seine Motive damals nicht gewesen. Sicher, er hatte Mac helfen wollen, aber da war auch die Angst, dass ein Teil von ihm auf eine unbekannte Weise in Kalas weiter existieren müsste, sich dessen vielleicht sogar bewusst war. Und es war noch gar nicht lange her, da hatte er Mac erneut um diesen Freundschaftsdienst bitten wollen - nur um seinen Kopf nicht an einen anderen verlieren zu müssen. Joachim mochte ähnliche Überlegungen angestellt haben. "Woher willst du wissen, dass ich es wert bin?", fragte Methos.

Joachim lächelte. "Joe Dawson wäre nicht dein Freund, wenn du es nicht wert wärst."

Die beiden Unsterblichen sahen sich in die Augen und Methos wusste, dass Joachim besser als jeder andere verstand, wie viel ihm Joe bedeutete.

"Tust du es für Joe?", fragte er leise.

"Ich tue es für uns alle, am meisten für mich. Es ist ein fairer Handel., Adam. Ich gebe dir ein neues Leben und du gibst mir den Frieden."

Als Joachim gegangen war, saß Methos mit Joe zusammen und berichtete aufgewühlt von dem Gespräch. Der Beobachter sah ihn mitfühlend an. Hier konnte er weder helfen noch einen Rat geben; diese Entscheidung mussten die Unsterblichen ganz allein treffen. Er selbst wünschte Methos' rasche Genesung mehr als alles andere, aber dass dafür ein guter Mann wie Joachim sterben sollte...

"Vielleicht war Joachims Leben schon zu Ende, als Khan starb,", meinte er nachdenklich, "es gibt Menschen, die nie aufhören zu trauern."

"Du meinst, ich sollte es als Erlösung betrachten?"

Joe fuhr sich müde mit der Hand über das Gesicht. "Joachim sieht es jedenfalls so."

"Und du?", frage Methos leise, "Wie siehst du es, wenn ich Joachims Kopf nehme?"

"Verdammt, Methos, schieb nicht MIR die Entscheidung zu.", fuhr Dawson auf. Dann sah er die tatsächliche Frage in den Augen des Unsterblichen. Bin ich für dich ein Mörder? Er sammelte sich einen Moment und fuhr sanfter fort, "Ich will vor allem, dass du lebst und wieder ganz der Alte wirst. Wenn dir dazu jemand wie Joachim seinen Kopf gibt, dann macht mich das verdammt traurig, aber ich sehe keinen Grund, weshalb du nicht annehmen solltest."

"Dann lass es uns gemeinsam durchstehen, Joe."

Sie verabredeten sich schon für den übernächsten Abend. Das gab allen von ihnen eine letzte Bedenkzeit und Joachim hatte die Möglichkeit, seine wenigen Angelegenheiten zu ordnen. Joe hatte die Lukannon-Bucht ausgewählt, einen Strandabschnitt weit nördlich der Stadt, dessen Klippen zur Landseite hin Schutz boten und der über einen schmalen Weg auch mit dem Jeep erreichbar war. Um diese Jahreszeit würden sie dort völlig ungestört sein und auch das "Feuerwerk" konnte keinen Schaden anrichten.

Von den Gesichtern des Trios, das jetzt noch in der geschlossenen Bar saß, war Joachims sicher das Zuversichtlichste. In seine Augen war ein Schein gekommen, den Joe und Methos noch niemals in ihnen gesehen hatten. Sie waren wie mit einem Licht gefüllt, das tief aus seinem Inneren kam. Joe hätte nicht sagen können, ob es nun Liebe, Glück oder Sehnsucht war, aber plötzlich erfüllte ihn die Erkenntnis, dass hier ein liebevolles Leben seiner Vollendung zustrebte. Und diese Erkenntnis milderte die Zweifel, die er noch immer über die Richtigkeit ihres Tun hatte.

"Spielst du noch einmal, Joe?", frage Joachim. "Diese Ballade von der ersten Nacht."

"Gern."

Methos brachte ihm die Gitarre zum Tisch, Joe griff ein paar Akkorde und sang für seine Unsterblichen. Alle beide hörten verträumt zu, und wieder einmal fragte sich der Beobachter, in welche Erinnerungen seine Musik sie zurückführen mochte. Schließlich legte er die Gitarre zur Seite und stand auf. "Es wird Zeit, Leute.", sagte er mit belegter Stimme, "Wenn wir die Ebbe abpassen wollen, müssen wir langsam los.

Es war noch nicht spät, doch draußen war es bereits dunkel. Der Oktober zeigte sich noch einmal von seiner schönsten Seite. Auf einen klaren Tag folgte eine noch milde Nacht, Sterne glänzten am Himmel und im Osten stieg ein fast voller Mond auf.

"Ist alles in Ordnung, Joe?", fragte Methos, während er ihm die Fahrertür des Jeeps offen hielt.

"Nicht so ganz, aber es wird gehen. Mach dir um mich keine Gedanken, okay?" Er drückte kurz Methos' Hand, während er sich auf den Fahrersitz schob. Joachim saß neben ihm und Methos nahm auf der Rückbank Platz. Dawson bemerkte, wie angestrengt seine Bewegungen noch immer waren und wagte sich nicht vorzustellen, welche Auswirkungen ein starkes Quickening auf ihn haben könnte. Wenn er danach nur wieder in Ordnung kam! Wenn nicht alles umsonst war!

Als die Vororte Seacouvers hinter ihnen zurück blieben, begegneten ihnen auf der Küstenstraße nur noch wenige Fahrzeuge. Nach einer halben Stunde Fahrt erreichte Joe die unauffällige Abzweigung, die nach Lukannon hinunterführte. Kein anderer Wagen war in Sicht als sie abbogen. Joe fuhr den Jeep bis an den Strand, schaltete Motor und Scheinwerfer aus und lehnte sich zurück. Der Mond war über die Klippen gewandert und tauchte die Bucht in sein stilles Licht.

"Es ist schön hier.", sagte Joachim leise.

"Da ist noch etwas, was ich dir sagen möchte.", begann Methos. "Du kennst mich als Adam Pierson, aber mein richtiger Name ist Methos."

Joe hielt den Atem an, sagte aber nichts.

"Methos...", murmelte Joachim, "das soll der angeblich Älteste von uns sein, eine Legende wie die Apokalyptischen Reiter."

"Die Reiter sind jetzt tatsächlich Legende,", warf Joe ein, "Methos hier ist als Einziger übrig geblieben."

"Wie alt bist du eigentlich?"

"Genau weiß ich es nicht, aber 5.000 Jahre sind es auf jeden Fall."

"5.000 Jahre...", wiederholte Joachim nachdenklich, "wie hält man es nur so lange aus?"

"Ich weiß es selbst nicht so genau - vermutlich hatte ich einfach Glück. Du solltest nur wissen, dass ich nicht immer so war wie heute."

Joachim lächelte. "Ja, in 5.000 Jahren kann sich ein Mensch schon ändern. - Es ist gut, dass du es mir gesagt hast, Methos, aber für mich ändert sich dadurch nichts. Ich habe dich als den kennen gelernt, der du jetzt bist... dein Name tut nichts zur Sache. Bist du bereit?"

Methos nickte und die drei Männer stiegen aus. Joachim zog seinen Mantel aus und nahm einen in rote indische Seide gewickelten Gegenstand auf. Er schlug das Tuch auseinander, nahm das Schwert und hielt es Joe mit beiden Händen hin. "Methos sagt, dass du die Schwerter von uns aufbewahrst,", erklärte er, "aber ich hätte auch so gewollt, dass du es bekommst."

Joe nahm die elegante Waffe entgegen, die wesentlich leichter und schmaler war als das Schwert, auf das Methos sich stützte. Etwas unschlüssig tastete Joachim nach dem Amulett um seinen Hals, dann löste er den Verschluss, nahm es ab und blickte es lange an. Joe ahnte, was ihn bewegte. "Das verlierst du schon nicht. Gib mir deine Hand."

Joachim gehorchte und sah zu, wie Joe die Kette geschickt um sein Handgelenk wand und wieder verschloss. Beim Aufblicken sah er in Joes feuchte Augen.

"Nicht trauern,", bat er leise, " Methos wird gesund werden und ich sehe Khan wieder."

"Dann sage ich dir nicht Lebewohl, sondern gute Reise."

Noch einmal sahen sie einander an; Joachim umarmte den Sterblichen und flüsterte, "Danke, Joe, danke für alles." Dann löste er sich und nickte Methos zu, der in einiger Entfernung wartete. Zwischen ihnen war alles gesagt worden.

Joachim ging langsam den Strand hinunter, den Blick auf die Weite des Pazifiks und die leuchtenden Sterne gerichtet, doch er war sich dieser Umgebung kaum noch bewusst. Stattdessen fühlte er Khans Wärme und Nähe so deutlich, als müsse er nur noch eine Tür öffnen um wieder bei ihm zu sein.

Lass mich zu ihm gehen, Methos, dachte er, bitte, lass mich gehen.

Am Rande des Ozeans kniete er schließlich nieder, um sich dem Schwert des anderen Unsterblichen darzubieten.

Methos und Joe waren ihm langsam gefolgt. Der Beobachter hatte erst etwas zurückbleiben wollen, doch die Unsicherheit in Methos' Bewegungen beunruhigte ihn. Und als sein Freund hinter Joachim trat und das Schwert hob, wusste Joe, dass er es nicht schaffen würde, ihn mit einem einzigen Hieb schmerzfrei zu töten. Methos war zu schwach - er würde hacken und stochern... Großer Gott, das hatte Joachim nicht verdient! Und jedes Empfinden ganz bewusst ausschaltend riss Joe Joachims Schwert hoch und ließ es blitzschnell und mit aller Kraft heruntersausen. Joachim war tot, noch bevor das Nervensystem einen Schmerzimpuls an das Gehirn senden konnte. Der Kopf rollte ein Stück durch den Sand, während der Körper langsam zur Seite kippte. Sofort zog sich Joe zurück um dem Quickening zu entgehen, das nun jeden Moment einsetzen musste. Und es kam. Zuerst strömte es nur wie weißer Nebel aus der Halsöffnung des Toten und suchte seinen Weg zu Methos. Dann folgten Blitze und Funkensprühende Entladungen. Joe stand still und ergeben bei seinem Wagen und konnte nur zusehen. Nie fühlte er sich hilfloser als ihn den Momenten, in denen einer seiner Freunde ein Quickening empfing. Er sah ihre Schmerzen und konnte doch nichts tun. Das war allein Sache der Unsterblichen. Er war hinterher immer nur überrascht, wie schnell sie die Qual vergessen hatten. Methos war bereits beim ersten Schlag zu Boden gesunken und schrie auf. Einen Augenblick lang versuchte er noch, einen Teil der Entladungen mit seinem Schwert aufzunehmen, doch schließlich lag er reglos und ließ es einfach geschehen. Endlich war es vorüber. Joe erwartete, dass Methos aufstehen würde, doch dazu war er offensichtlich noch zu schwach. Also konnte man nur abwarten, denn stören würde er jetzt nicht - die meisten Unsterblichen wollten nach dem Quickening eine Weile allein sein.

Joe reinigte das Schwert und legte es auf die Rückbank des Jeeps. Dann nahm er das rote Seidentuch, ging schwerfällig zu der Stelle, an der Joachims Kopf lag, hüllte ihn behutsam ein und trug ihn die wenigen Meter zum Wasser. Die Ebbe würde den Toten weit hinaus ins offene Meer ziehen, und in wenigen Stunden würde die auflaufende Flut alle Blut-, Reifen- und Fußspuren auslöschen. Als er auch den Körper holen wollte, kam Methos mühsam auf die Beine. Schweigend fassten sie jeder einen Arm und übergaben auch den Rumpf dem Ozean. Dann faltete Joe die Hände, sprach ein stilles Gebet für den Toten und schloss mit dem Kreuzzeichen. Methos nickte zufrieden. Joachim war von Joe aus dieser Welt verabschiedet worden - ein würdigeres Ende konnte er sich nicht vorstellen.

Joachim hatte den Hieb nicht gespürt, der seinem Leben ein blitzschnelles Ende bereitet hatte. Er hatte zu den Sternen hinausgesehen und auf einen von ihnen schien er nun zuzufliegen. Losgelöst und ohne Angst sah er das silberne Licht sich vergrößern... und dort, ja, dort wartete Khan! Es war nicht der Jüngling, dem er im Nebental des Indus zum ersten Mal begegnet war, und nicht der Greis, an dessen Sterbebett er gesessen hatte. Und doch verkörperte die alterslose Gestalt all das, was Joachim einst an seinem Fürsten geliebt hatte. Ein nie gekanntes Glücksgefühl ergriff ihn, als er Khans Willkommen spürte. Er hatte sein Versprechen gehalten; und er, Joachim, durfte nun zu ihm heimkehren. Sein Blick glitt noch einmal zurück über den silbernen Strand, um den beiden Menschen einen letzten Gruß zu senden. Dann erhob er sich in die sternenhelle Sphäre, um für immer mit Khan zu verschmelzen.

Am Strand der Lukannon-Bucht blickte Joe noch immer auf den Ozean hinaus, der Joachims Grab geworden war. Ganz bewusst versuchte er das Bedauern zu verdrängen und sich nur über Methos' Rettung zu freuen. Sein Freund stand neben ihm und berührte ihn leicht am Arm. "Ist alles in Ordnung, Joe?"

Dawson nickte. "Ich denke schon."

Etwas streifte sein Bewusstsein und Joe spürte einen warmen Hauch aus Dankbarkeit und Glück. Er wandte sich seinem Freund zu und lächelte. "Ja, Methos, es ist alles in Ordnung."



-5-

Eine Woche war nun seit jener Nacht in der Lukannon-Bucht vergangen und Joe fügte in seinem Büro der Akte Donelaitis den Abschlußbericht hinzu. Sie hatten beraten, wem die Enthauptung zugeordnet werden sollte und sich schließlich für den bewährten Adam Pierson entschieden. Das kam der Wahrheit so nahe wie möglich, ohne Methos' wirkliche Identität aufzudecken.

Der älteste Unsterbliche war inzwischen völlig wiederhergestellt und wurde von Tag zu Tag kräftiger. Nicht einmal eine Narbe erinnerte noch an die Beinahe-Enthauptung durch Cassandra. Das starke Quickening hatte ihm seine alte Kraft zurückgegeben. Und nicht nur das. Wenn Methos in diesen ersten Tagen in sich hineinhorchte und nach jenem Teil Joachims suchte, der in ihn übergegangen war, dann fand er vor allem eine unendliche Liebe und Hingabe. Das Gefühl würde vergehen, doch Methos wollte die Erinnerung daran bewahren. In den fünftausend Jahren seines Lebens hatte er mehr Köpfe genommen als er zählen konnte, und nicht immer war nur Gutes in ihn übergeflossen. Wenn er an die Zeit mit Kronos, Silas und Caspian zurückdachte, erkannte er sich selbst kaum wieder. Was nun von Joachim in ihn übergegangen war würde ihn nur besser machen. Und es lag bei ihm, wie er dieses Vermächtnis nutzen würde.

Joe hatte den Text gespeichert und blickte noch einige Augenblicke auf Joachim Donelaitis' Foto. Dann schaltete er den Computer aus.

"Lass uns eine Weile wegfahren, Joe.", schlug Methos vor, "Ich glaube, wir könnten jetzt beide einen kleinen Urlaub vertragen. Was meinst du?"

Dawson lehnte sich zurück. Urlaub mit Methos versprach eine manchmal mühsame, aber immer unterhaltsame Angelegenheit zu werden. Und der Unsterbliche hatte Recht - etwas Abwechslung würde ihnen gut tun. Er grinste zu Methos hinauf, der neben seinem Computer lässig an der Wand lehnte.

"Wenn es ohne Kühe und Schlittenfahren abgeht, bin ich dabei!", erklärte er, "Wo möchtest du denn hin?"

Methos zuckte die Schultern. "Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Aber ich kann Simone anrufen, sie findet bestimmt ein schönes Plätzchen für uns..."


Ende